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Äußerungen aus dem Vatikan zum Honecker-Besuch beim Papst

[ohne Datum]
Information Nr. 172/85 über Meinungsäußerungen aus leitenden vatikanischen Kreisen zum bevorstehenden Gespräch zwischen dem Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, mit Papst Johannes Paul II

Streng internen Hinweisen zufolge äußerten sich mehrere Kardinäle, Erzbischöfe, Prälaten und andere leitende Mitarbeiter des vatikanischen Staatssekretariats in vertraulichen Gesprächen zu den Vorbereitungen des Vatikans auf die Zusammenkunft des Genossen Erich Honecker1 mit dem Papst.2

Danach sei der Papst in Sachfragen gut auf das Gespräch vorbereitet. In leitenden vatikanischen Kreisen würde als entscheidendstes positives Moment das Zustandekommen dieses Gesprächs hervorgehoben.

Der Papst halte daran fest, Probleme der gemeinsamen Verantwortung zur Erhaltung des Friedens und der Menschheit zu erörtern (siehe Information des MfS Nr. 139/85 vom 11. April 1985). Darauf sei auch die Ansprache des Papstes zur Begrüßung des Genossen Erich Honecker ausgerichtet.

Weiteren streng internen Hinweisen zufolge würde dem Papst ein aktuelles umfangreiches Material zur Situation der katholischen Kirche in der DDR von der »Berliner Bischofskonferenz« vorliegen, für das Kardinal Meisner3 und Bischof Schaffran4 verantwortlich zeichnen. Dieses Material beinhalte auch eine Art »Problemspiegel« in Form von offenen »Sachfragen« (u. a. Kirchenneubau in Neubaugebieten, Erhöhung der Papierlieferungen für Druckereien zum innerkirchlichen Gebrauch, Auflagenerhöhungen katholischer Sendungen im Fernsehen der DDR, Genehmigungen für Studienplätze in Rom), verbunden mit der Anregung, diese Probleme gegenüber dem Genossen Erich Honecker mit zur Sprache zu bringen.

Der Papst beabsichtige jedoch nach wie vor nicht, während des Treffens auf diese Probleme einzugehen. In einem vertraulichen Gespräch habe der Papst geäußert, er würde eine Erörterung oder Lösung dieser Fragen durch Kardinal Meisner persönlich, analog des Gesprächs Genossen Honecker – Bischof Hempel,5 für günstiger halten, wobei eine endgültige Klärung anstehender Probleme auf »Expertenebene« in der DDR erfolgen könnte.6

Das vatikanische Staatssekretariat gehe in der Beurteilung der Lage Staat – katholische Kirche in der DDR insbesondere von folgenden Ausgangspunkten aus:

In der DDR habe es – im Gegensatz zu anderen sozialistischen Staaten – keine Prozesse gegen die Kirche, keine Inhaftierungen katholischer Geistlicher und keine Ordensverbote gegeben; der Papst habe bisher ohne staatlichen Einspruch Bischöfe in der DDR ernennen können.

Mit Genugtuung habe der Papst zur Kenntnis genommen, dass im »Handbuch DDR« Angaben und Übersichten über die katholische Kirche in der DDR enthalten seien.

Die in der DDR angewandte Praxis, Sachfragen zu diskutieren, »wenn sie herangereift« wären, sei »ein gangbarer Weg« und auch für andere sozialistische Länder empfehlens- und wünschenswert.

Zu begrüßen sei, dass sich die DDR nicht vordergründig als »atheistischer« Staat, sondern als »Staat aller seiner Bürger« verstehe.

Der Papst habe geäußert, das Festhalten der katholischen Kirche in der DDR an der »Konkordatspolitik« (Berufung auf das »Reichskonkordat«) sei zwar bisher richtig gewesen, jedoch jetzt überholt, da es mit den politischen Realitäten nicht mehr übereinstimme.7 Gegebenenfalls müsse von vatikanischer Seite geprüft werden, ob »das gesamte Instrumentarium« der Konkordate und Abkommen – bezogen auf die sozialistischen Länder – noch realitätsbezogen sei.

Insgesamt messe der Papst der bevorstehenden Begegnung große Bedeutung bei. Er habe sich mehrfach über die Vorbereitungen entsprechend dem protokollarisch festgelegten Ablauf berichten lassen.

In Rom hätten sich inzwischen zahlreiche Journalisten, darunter eine große Zahl der in der DDR akkreditierten Journalisten westlicher Länder angekündigt. Dabei seien vordergründig Fragen nach einer Pressekonferenz gestellt worden.

Von leitenden Mitarbeitern des vatikanischen Staatssekretariats wurde mehrfach vertraulich geäußert, die Aktivitäten des Vatikans gegenüber den sozialistischen Ländern hätten sich verstärkt und seien gegenwärtig als umfangreich einzuschätzen. Nach dem Besuch des sowjetischen Außenministers Gromyko8 in Rom würden die Aktivitäten auch von Ungarn, Bulgarien, Polen und Rumänien erwidert.

Das zeige sich u. a. in der gegenwärtig stattfindenden offiziellen Reise des »Ostexperten« des Vatikans, Kardinal Bukovsky,9 mit Begleitern in die Ungarische Volksrepublik.

Der Besuch des Genossen Gromyko im Vatikan werde im Vatikan positiv beurteilt und als Zeichen gewertet, die offiziellen Kontakte nicht abreißen zu lassen.

Die »Verstimmung« des Papstes nach dem Nichtzustandekommen seiner vorgesehenen Reise in die Litauische SSR sei beseitigt. Der Papst »habe Hoffnung«, anlässlich der 1000-Jahrfeier der Russisch-Orthodoxen Kirche 1988 eine Einladung in die UdSSR zu erhalten. Gegenwärtig beachte der Vatikan alle Akzente, die nach der Funktionsübernahme des Genossen Gorbatschow10 in der Politik der UdSSR gegenüber den Kirchen zu erkennen seien, um Rückschlüsse auf das weitere Verhältnis Vatikan – sozialistische Länder ziehen zu können.

Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument Verwehrte Einreise eines Grünen-Politikers

    23. April 1985
    Information über die Nichtgewährung einer Einreise des Mitglieds des Landesvorstandes der Partei »Die Grünen« Baden-Württemberg-BRD, Maier, Jürgen [K 1/150]

  2. Zum vorherigen Dokument Geplante Aktivitäten Gert Bastians in Torgau am 25.4.1985

    22. April 1985
    Information Nr. 171/85 über beabsichtigte Aktivitäten des Generals a. D. Bastian, Gert während seines Aufenthaltes anlässlich des Treffens in Torgau am 25. April 1985