Direkt zum Seiteninhalt springen

Aufenthalt von Grünen-Politikern in Ostberlin am 19.12.1984s

[ohne Datum]
Information Nr. 13/85 über den Aufenthalt der Bundestagsabgeordneten der Partei »Die Grünen« der BRD, Dirk Schneider und Antje Vollmer, am 19. Dezember 1984 in der Hauptstadt der DDR, Berlin

Am 19. Dezember 1984 reisten die Mitglieder des Bundestages der BRD, Dirk Schneider1 (»Alternative Liste«/Westberlin) und Antje Vollmer2 (»Die Grünen«/BRD), zu einem Tagesaufenthalt in die Hauptstadt der DDR, Berlin, ein.

Wie dem MfS streng intern bekannt wurde, begaben sich beide Personen unmittelbar nach ihrer Einreise kurzzeitig in die Wohnung des hinlänglich bekannten Pfarrers Eppelmann3 und anschließend mit diesem gemeinsam zum Evangelischen Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, 1020 Berlin, Neue Grünstraße. Dort kam es zu einem Treffen mit namentlich bekannten kirchlichen Amtsträgern und der wegen ihrer feindlich-negativen Haltung bekannten Bärbel Bohley.4

Streng vertraulichen Informationen zufolge gab die Vollmer eine Selbstdarstellung der Partei »Die Grünen« in der BRD unter besonderem Verweis auf die am 10. März 1985 in Westberlin stattfindenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus. »Die Grünen« planen dazu in Westberlin öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen.

Bezogen auf die Ergebnisse des Bundesratstreffens der Partei »Die Grünen« Anfang Dezember 1984 in Hamburg5 erklärte die Vollmer, seitens der Grünen würde Interesse an der Herstellung und dem Ausbau von Verbindungen zu kirchenleitenden Personen in der DDR bestehen, da sie die Kirchen in der DDR als einen kompetenten Gesprächspartner ansehen. Sie selbst unterstütze diese Orientierung und sehe ihren Beitrag zur Herstellung derartiger »Partnerschaften« als wichtige Stütze für ihr persönliches Auftreten in ihrer Partei und im Bundestag der BRD. Indem sie sich von den Aktivitäten der Führungskräfte der Partei »Die Grünen« der BRD, Petra Kelly6 und Gert Bastian,7 zur Unterstützung oppositioneller Kräfte in der DDR distanzierte (dazu wurde durch das MfS bereits informiert), wies sie ihre Gesprächspartner darauf hin, die »Amtskirche« in der DDR nicht durch unüberlegte Aktionen zu belasten. Eine gleiche Aufforderung richtete sie an die anwesende Bärbel Bohley – bezogen auf deren »Anhang«. Ihrer Meinung nach müsse für die Friedenserhaltung »jeder in seinem gesellschaftspolitischen Bereich« tätig werden; gewisse Gemeinsamkeiten, besonders ideeller Art, würden davon nicht berührt.

Seitens der kirchlichen Amtsträger sind die Ausführungen bzw. Positionen der Vollmer mit gewisser Enttäuschung aufgenommen worden. Die »Grünen« seien nach ihrer Auffassung keine verlässlichen Partner für »blockübergreifende« Aktivitäten.8

Einer internen Meinungsäußerung der Vollmer zu den geführten Gesprächen im Konsistorium zufolge hätten sich in den Darlegungen und Haltungen der DDR-Teilnehmer »Konzeptionslosigkeit und Ausverkaufsstimmung« gezeigt.

Während sich die Vollmer danach mit Eppelmann erneut in dessen Wohnung begab und von dort aus gegen 19.00 Uhr nach Westberlin ausreiste, traf sich Schneider in der Folge in zwei verschiedenen Wohnungen mit hinlänglich bekannten und im Sinne der Inspirierung und Organisierung politischer Untergrundtätigkeit agierenden feindlich-negativen Kräften. Eine Reihe dieser Personen war bereits an mehreren Treffen mit Führungskräften der Partei »Die Grünen« beteiligt, so u. a. mit Petra Kelly und Gert Bastian am 4. Dezember 1984 (vgl. Information des MfS Nr. 461/84 vom 6. Dezember 1984).

Dirk Schneider traf sich nach vorliegenden streng internen Informationen vereinbarungsgemäß in der Wohnung des wegen seiner feindlich-negativen Aktivitäten bekannten Nachwuchsschriftstellers Lutz Rathenow9 mit vier weiteren dem MfS namentlich bekannten Personen. Während dieses mehrstündigen Gesprächs, das insgesamt als Informationsaustausch zu werten ist, waren Rathenow und die anwesenden Personen bestrebt, folgende Probleme zu erörtern:

  • Verhältnis der Grünen zur Kultur;

  • Umweltfragen;

  • Fragen sogenannter menschlicher Erleichterungen;

  • Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten.

Schneider vertrat im Prinzip durchgängig die von ihm bekannten politischen Positionen und Forderungen wie

  • völkerrechtliche Anerkennung der DDR,

  • Respektierung der Staatsbürgerschaft der DDR,10

  • Auflösung der Erfassungsstelle Salzgitter11 und des Bundesministeriums für Innerdeutsche Beziehungen und

  • Abschaffung des RIAS.

Weiter äußerte er, der sich weiter verstärkende »äußere reaktionäre« Druck der BRD auf die DDR in wirtschaftlicher, kultureller und juristischer Hinsicht würde zur Verschärfung der Beziehungen beitragen. Diese reaktionäre Politik müsse beseitigt werden – erst dann würden sich die inneren Verhältnisse der DDR ändern und mehr Freiräume für den einzelnen entstehen.

Rathenow vertrat u. a. den Standpunkt, mit der Respektierung der Staatsbürgerschaft der DDR durch die BRD würde sich der »diktatorische Druck nach innen« verschärfen. Seiner Auffassung nach sollte gleichzeitig mit der Forderung der Auflösung der Erfassungsstelle Salzgitter auch die Beseitigung des § 99 StGB der DDR verlangt werden (landesverräterische Nachrichtenübermittlung).12

Während der Zusammenkunft wurden keine feindlich-negativen Aktivitäten beraten bzw. geplant; es kam zu keinen Festlegungen hinsichtlich von Fortsetzungsgesprächen.

In der Zeit von 19.00 Uhr bis gegen Mitternacht traf sich Schneider in der Wohnung der hinlänglich bekannten Bärbel Bohley mit weiteren vierzehn dem MfS namentlich bekannten Bürgern der DDR. Anwesend war eine italienische Staatsbürgerin. Streng intern wurde in diesem Zusammenhang bekannt, dass folgende inhaltliche Probleme im Mittelpunkt der Gespräche standen:

  • Möglichkeiten, in Fragen der »deutsch-deutschen Politik« mit den Grünen gemeinsame Positionen zu finden und zu publizieren,

  • Möglichkeiten, eine ständige Zusammenarbeit vor allem hinsichtlich des Austausches von Informationen zu organisieren,

  • Möglichkeiten, gemeinsame Zielstellungen zu grundlegenden Fragen (Raketenstationierung,13 Abrüstungsaktivitäten, Umweltschutz) zu formulieren, z. B. Verzicht auf Forderung nach einseitiger Abrüstung bzw. Befürwortung der »Abrüstung beider Militärblöcke«,

  • Standpunktfindung zur Durchführung gemeinsamer Aktionen, ihrer Zweckmäßigkeit und der Zeitpunkte ihrer Durchführung.

Die Teilnehmer der Zusammenkunft brachten zum Ausdruck, weder vonseiten der Grünen noch von bestimmten oppositionellen Kräften in der DDR seien gegenwärtig gemeinsame Aktionen geplant. Schneider schränkte jedoch ein, dass ein derartiges Vorgehen zwischen solchen Kräften der Grünen, die eine »persönliche Politik« betreiben – er nannte in diesem Zusammenhang Petra Kelly und Gert Bastian – und bestimmten oppositionellen Kräften in der DDR nicht auszuschließen wäre. Besonders die Kelly und Bastian würden derartige Vorhaben nicht mit der Bundestagsfraktion der Partei »Die Grünen« in der BRD abstimmen. Er selbst trete grundsätzlich für gemeinsame Aktionen ein, diese müssten allerdings entsprechend beraten und abgestimmt worden sein. Probleme sehe er diesbezüglich in den eingeschränkten Einreisemöglichkeiten für Mitglieder der Basisbewegung der Grünen in die DDR.14

Schneider informierte ferner über einen Anfang des Jahres 1985 geplanten Informationsbesuch einer Frauendelegation der Grünen in die DDR. Ein anwesender DDR-Bürger unterbreitete den Vorschlag, dieser Delegation Adressenmaterial sogenannter unabhängiger Frauengruppen15 in der DDR zuzuleiten. (Nach bisher vorliegenden Hinweisen beabsichtigt auf Einladung des DFD16 in der Zeit vom 21. bis 25. Januar 1985 eine Delegation bestehend aus Abgeordneten des Bundestages bzw. Mitarbeiterinnen der Bundestagsfraktion der Partei »Die Grünen« der BRD die DDR zu besuchen. Dieser Delegation sollen angehören: Waltraud Schoppe,17 Heidemarie Dann,18 Hannelore Saibold,19 Birgit Arkenstette,20 Hanne Birckenbach,21 [Vorname Name].)

Die geführten Gespräche zwischen Schneider und den DDR-Bürgern machten deutlich, dass zu den aufgeworfenen Problemen keine Übereinstimmungen bestanden und auch nicht erzielt wurden.

Zu der am Treffen teilgenommenen italienischen Staatsbürgerin liegen dem MfS folgende interne Hinweise vor: Sie gehört angeblich der »Regenbogenfraktion«22 des sogenannten Europaparlaments (Formaler Zusammenschluss im Sinne einer Fraktion der im »Europaparlament« vertretenen Abgeordneten von Grünen und Alternativen aus westeuropäischen Staaten) an und sei für »Ostkontakte« zuständig. Unmittelbar vor ihrer Einreise in die DDR zu dem genannten Zusammentreffen sei sie mit dem in Westberlin lebenden hinlänglich bekannten ehemaligen DDR-Bürger Roland Jahn23 zusammengekommen.

Die »Regenbogenfraktion« des sogenannten Europaparlaments erarbeite gegenwärtig eine politische Position u. a. zu Fragen der Rüstung und Umweltproblematik. Durch Kontakte und Verbindungen von Angehörigen der »Regenbogenfraktion« aus verschiedenen westeuropäischen Staaten zu »Partnern« aus der DDR würde das Ziel verfolgt, gemeinsame Grundpositionen zu finden und in einem entsprechenden Grundsatzpapier zu formulieren, dessen Entwurf Anfang Januar 1985 fertiggestellt werden und mit »Personen der internationalen Szene« besprochen und erforderlichenfalls präzisiert werden solle.

In diesem Zusammenhang wurde auf angeblich bestehende diesbezügliche Kontakte zwischen beteiligten DDR-Bürgern und Mitgliedern der »Charta 77«24 in der ČSSR verwiesen.

Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument Aufklärung Bahnbetriebsunfall vom 20.6.1984 bei Delitzsch

    16. Januar 1985
    Information Nr. 16/85 über einige im Zusammenhang mit der Aufklärung der Ursachen eines Bahnbetriebsunfalles im Streckenabschnitt Hohenroda–Delitzsch am 20. Juni 1984 festgestellte Verletzungen der Dienstvorschrift zur Verhütung und Bekämpfung von Bahnbetriebsunfällen im Verantwortungsbereich der Reichsbahndirektion Halle

  2. Zum vorherigen Dokument Einnahmen Mindestumtausch, 7.–13.1.1985

    15. Januar 1985
    Information Nr. 37/85 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 7. Januar 1985 bis 13. Januar 1985