Demonstration westlicher Friedensaktivisten auf Alexanderplatz
30. März 1985
Information Nr. 135/85 über das demonstrative Auftreten von fünf Mitgliedern der Friedensbewegung der BRD in der Hauptstadt der DDR, Berlin, am 29. März 1985
[Faksimile vom Flugblatt Mutlanger Blockierer/innen zu Information 135/85]
Am 29. März 1985, gegen 12.00 Uhr traten in Höhe des Brunnens der Völkerfreundschaft auf dem Alexanderplatz in der Hauptstadt der DDR, Berlin, fünf – in der Folge als Bürger der BRD identifizierte – Personen kurzzeitig demonstrativ in Erscheinung. Sie entrollten ein Spruchband (ca. 3 m × 1,50 m) mit dem Text »Gegen die Verfolgung der Friedensbewegung in Ost und West. Mutlangen – Blockierer/innen«1 und dem Symbol einer Friedenstaube hinter Gittern. Gleichzeitig verbreiteten sie Flugblätter (Format A5, beidseitig bedruckt), in denen Aktionen der »Mutlanger Friedensbewegung« und der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung in der DDR propagiert und staatliche Vorgehensweisen gegen die Akteure derartiger Aktionen in der BRD und der DDR aufgezeigt werden (Kopie des Flugblattes als Anlage).2
Durch sofort einschreitende Sicherungskräfte wurde die demonstrative Aktion unterbunden: Die genannten Personen wurden vorläufig festgenommen und zum Präsidium der Volkspolizei Berlin zugeführt.
Dabei hielten sich die BRD-Bürger an den Händen fest und sangen ein in der BRD bekanntes Friedenslied (»Frieden soll die Botschaft sein«).
Das demonstrative Auftreten der genannten BRD-Bürger und ihre Zuführung wurden von zwei Kamerateams der ARD/Fernsehen der BRD gefilmt. Anwesend war auch der in der DDR akkreditierte dpa-Korrespondent Jennerjahn.3
Im Ergebnis der Personenidentifizierung und Befragung wurde bekannt: Die fünf BRD-Bürger im Alter zwischen 20 und 27 Jahren, darunter zwei Studenten und zwei Personen ohne Arbeitsrechtsverhältnis (zwei Personen gehören der Partei »Die Grünen« in der BRD an), kennen sich von gemeinsamen Aktionen der »Mutlanger Friedensbewegung« und kamen angeblich Ende Januar/Anfang Februar 1985 überein, im März 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, unter Einbeziehung des Fernsehens und der Presse der BRD, eine öffentliche Aktion durchzuführen und dabei ihre Auffassungen von der Anwendung staatlicher Zwangsmaßnahmen gegen Angehörige der Friedensbewegung in der BRD und Mitglieder der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung in der DDR darzustellen.
Nachdem sie entsprechend ihrem Vorhaben Fernseh- und Pressevertreter der BRD in ihren Plan eingeschaltet hatten, begaben sie sich auf unterschiedliche Weise nach Berlin (West). Dort ließen sie in einer Druckerei ca. 50 Exemplare des bereits in Mutlangen verfassten Flugblattes herstellen und fertigten gleichfalls das bereits dargestellte Transparent an. Unter Mitnahme der Flugblätter und des Transparentes reisten sie am 29. März 1985 getrennt über die GÜST Bahnhof Friedrichstraße in die Hauptstadt der DDR ein und trafen gegen 10.00 Uhr an der Marienkirche in Berlin-Mitte zusammen. Vereinbarungsgemäß begaben sie sich gegen 12.00 Uhr zur Durchführung ihrer Aktion zum Alexanderplatz.
Alle fünf BRD-Bürger wurden nach eingehender Belehrung am 29. März 1985 um 15.40 Uhr über die GÜST Bahnhof Friedrichstraße zur Ausreise nach Berlin (West) gebracht.
Gegen sie wurden Reisesperrmaßnahmen verfügt.
Anlage zur Information Nr. 135/85
Mutlanger Blockierer/innen grüßen die unabhängige Friedensbewegung in der DDR
Das gegenwärtige Wettrüsten bedroht täglich das Leben der Menschen in Ost und West, bedroht die ganze Schöpfung. Schon heute tötet die Aufrüstungspolitik von NATO und Warschauer Pakt,4 indem sie die Mittel verschlingt, die zur Bekämpfung des Welthungers und für Programme der Weltgesundheitsorganisation dringend gebraucht werden.
Der Weltkirchenrat hat es 1983 in Vancouver deutlich gesagt: Die Herstellung, Bereithaltung und Anwendung von Atomwaffen ist ein Verbrechen gegen die Menschheit.5
Millionen von Menschen in der BRD drückten mit Großdemonstrationen, Unterschriftensammlungen, Informationsveranstaltungen, Mahnwachen und Fastenaktionen ihren Protest gegen die Stationierung der neuen Mittelstreckenraketen aus. Dennoch setzte sich die Bundesregierung über den Willen der Mehrheit hinweg.
Seit dem Beginn der Stationierung der Pershing-II-Raketen leisten wir deshalb gewaltfreien Widerstand, indem wir uns der Kriegsmaschinerie in den Weg setzen und immer wieder die Zufahrtswege zu Pershing-Depots, wie z. B. in Mutlangen, blockieren.
Viele Tausende sind bei diesen Blockaden festgenommen und wegen sogenannter Nötigung (§ 240 Strafgesetzbuch)6 verurteilt worden,
Wir wurden zu folgenden Strafen verurteilt:
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Hinrich Olsen zu 150 Tagessätzen
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Bernhard Friedrich zu 20 Tagessätzen
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Rüdiger Müller zu 80 Tagessätzen
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Andrea Drosihn zu 20 Tagessätzen
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[Vorname Name], wegen zwei Blockaden zu 40 Tagessätzen verurteilt, wollte an der Aktion teilnehmen, wurde aber vorher verhaftet und sitzt zurzeit im Heidelberger Gefängnis.
Da wir nicht bereit sind zu zahlen, werden wir die Haft in der nächsten Zeit antreten müssen.
Andrea Drosihn saß bereits 20 Tage im Frauengefängnis Schwäbisch Gmünd ab.
Sobald wir den von unserer Regierung abgesteckten Spielraum (Demos, Flugblattverteilen, Unterschriftensammlungen …) verlassen, werden wir kriminalisiert. Wir dürfen zwar sagen, was wir denken, – denn das Recht auf freie Meinungsäußerung bringt unserem Regime Prestigegewinn – doch wenn wir anfangen zu handeln, sind wir auch staatlicher Verfolgung ausgesetzt.
In der DDR nimmt der Protest gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft und gegen die Stationierung neuer Massenvernichtungswaffen seit ca. 1981 öffentliche Formen an.
Dies, obwohl es in der DDR ungleich mehr Mut erfordert, sich für die Sache des Friedens einzusetzen, außerhalb des Rahmens, den die SED setzt.
Eine erste große Aktion war anlässlich des 37. Jahrestages der Bombardierung Dresdens eine Friedensdemonstration mit 6 000 Teilnehmern in Dresden.7
Einige weitere bekannte Daten waren:
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25.1.1982 Berliner Appell8
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27.5.1982 Friedensseminar in Königswalde (»Den Aufnäher können sie uns wegnehmen, nicht aber unsere Haltung«)9
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1.9.1983 Menschenkette zwischen den Botschaften der USA und der UdSSR am Weltfriedenstag10
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22.10.1983 Versuch einer ähnlichen Aktion auf dem Alexanderplatz (300 Personen wurden schon am Vorabend festgenommen.)11
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11.11.1983 Rostocker Appell12
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1.2.1985 offener Brief von Jugendlichen an die DDR-Regierung mit u. a. der Forderung nach »Entmilitarisierung des öffentlichen Lebens«13
Die Staatsorgane versuchen, die Bewegung zu unterdrücken und Menschen von einem Engagement abzuhalten, indem sie bekannte Personen der unabhängigen Friedensbewegung aus der DDR ausweisen oder sie zu jahrelangen Haftstrafen verurteilen.
So sitzen zurzeit in DDR-Gefängnissen (wir nennen zwei stellvertretend für viele) Petra Heinrich, Mitglied der unabhängigen Friedensbewegung in Dresden, wegen angeblichen Fluchtversuchs zu 18 Monaten Haft verurteilt, Peter Nowick, seit November 1982 im Cottbusser Gefängnis.
40 Jahre nach Kriegsende sind BRD und DDR wieder hochgerüstet, Pershing-II und SS-20 bedrohen den Frieden in Europa.
40 Jahre nach Kriegsende werden Menschen, die sich gegen diese Hochrüstung wehren, kriminalisiert.
Wenn es darum geht, zu verhindern, dass sich die Betroffenen von Militarisierung und Raketenstationierung über die Grenze hinweg miteinander solidarisieren und zusammenarbeiten, sind sich die Herrschenden in Ost und West einig.
Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden weiterhin für das Leben und gegen den Tod einstehen.
Wir werden uns auch weiterhin für einseitige Abrüstungsschritte einsetzen, für die Entwicklung von Konzepten zur sozialen Verteidigung, die das Töten von Menschen ausschließt und nicht auf Gewalt basiert.
Denn unsere Zukunft wird gewaltfrei sein oder es wird keine Zukunft mehr geben!
Mut zum Frieden