Direkt zum Seiteninhalt springen

Diebstahl durch den Betriebsschutz im VEB Chemische Werke Buna

8. Oktober 1985
Information Nr. 413/85 über die Ergebnisse der Untersuchung von Diebstahlshandlungen durch Angehörige des Betriebsschutzamtes Schkopau im Kombinat VEB Chemische Werke Buna

Im Ergebnis der intensiven Prüfung von Hinweisen wegen des Verdachtes von Diebstahlshandlungen wurden durch das MfS gegen zehn Angehörige der Deutschen Volkspolizei des Betriebsschutzamts1 Schkopau im Kombinat VEB Chemische Werke Buna (zwei Leutnante, ein Offiziersschüler, fünf Wachtmeisterdienstgrade, zwei ehemalige VP-Angehörige; darunter acht Mitglieder und ein Kandidat der SED, ein APO-Sekretär, APO-Leitungsmitglieder und Parteigruppenorganisatoren) wegen verbrecherischen Diebstahls zum Nachteil sozialistischen Eigentums, gemäß §§ 1582 und 1663 StGB Ermittlungsverfahren eingeleitet und gegen drei Täter Haftbefehle erlassen.

Die Ermittlungsverfahren wurden auf der Grundlage von Untersuchungsergebnissen gegen vier Täter wegen Diebstahl persönlichen und privaten Eigentums und Hehlerei, gemäß § 177,4 1815 und 234 StGB6 sowie gegen drei Täter wegen Diebstahl persönlichen und privaten Eigentums erweitert.

Darüber hinaus wurden gegen drei weitere Angehörige des operativen Dienstes des Betriebsschutzamtes Schkopau Disziplinarverfahren durchgeführt, wobei ein Angehöriger aus den Reihen der Deutschen Volkspolizei entlassen und zwei Angehörigen ein »Strenger Verweis« bzw. »Verweis« ausgesprochen wurde.

Mit Angehörigen der Deutschen Volkspolizei, denen Verfehlungen nachgewiesen werden konnten, wurden erzieherische Gespräche geführt.

Durch die BdVP Halle wurden Disziplinarverfahren gegen den Leiter und zwei leitende Offiziere des Betriebsschutzamtes wegen der Verletzung von Kontrollpflichten durchgeführt.

Im Verlauf der geführten Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass die Täter von 1977 bis August 1985 als Angehörige des Betriebsschutzamtes Schkopau mit unterschiedlicher Intensität, teils als Alleintäter oder in Mittäterschaft handelnd, in über 180 Fällen Einbruchs- und andere Diebstähle begangen haben. Als Streifenposten des genannten Betriebsschutzamtes drangen sie wiederholt unbemerkt in Objekte, Büroräume, Unterkünfte, Lager und Werkstätten des Kombinates VEB Chemische Werke Buna sowie in Verkaufseinrichtungen des HO-Kreisbetriebes Merseburg ein. Dabei verwendeten sie vorgefundene bzw. bei vorangegangenen Diebstahlshandlungen angeeignete Schlüssel sowie schlossfremde Schließwerkzeuge. Sie öffneten teils unter Gewaltanwendung Schreibtische, Schränke, Stahlblechschränke und Kassetten mit vorgefundenen Schlüsseln, Nachschlüsseln oder mit zu diesem Zweck mitgeführten Werkzeugen und eigneten sich rechtswidrig im sozialistischen und persönlichen Eigentum stehende Bargeldbeträge in einer Höhe zwischen 20 und 3 000 Mark, Kofferradios, Taschenrechner, Glas- und Porzellangegenstände, Werkzeuge, Haushaltgeräte und -waren, Büromaterialien, andere Gebrauchsgegenstände, Nahrungs- und Genussmittel sowie Baumaterialien an. Der durch sie verursachte Gesamtschaden zum Nachteil sozialistischen sowie persönlichen und privaten Eigentums beträgt ca. 50 000 Mark.

Alle Täter handelten in Bereicherungsabsicht und nutzten bewusst ihre dienstliche Vertrauensstellung zur Begehung der Straftaten aus.

Ein als stellvertretender Diensthabender einer Schicht eingesetzter Täter (41, Obermeister der VP) missbrauchte seine Dienststellung dazu, um die Einteilung der Streifenbereiche, insbesondere bei Nacht- und Wochenenddiensten, so vorzunehmen, dass die Mittäter an solchen Objekten als Streifen eingesetzt wurden, wo etwas »zu holen« war. Darüber hinaus bestimmte er auch während gemeinsam durchgeführter Streifen ein unberechtigtes Verlassen des Streifenbereiches mit dem Ziel, dort solche kriminellen Handlungen zu begehen.

Die Zusammensetzung von Streifenpaaren wurde durch o. g. Täter so vorgenommen, dass solche Gruppen entstanden, die ein weiteres kriminelles Handeln ermöglichten. Dabei wurde er durch den Diensthabenden im Betriebsschutzamt (36, Leutnant der VP) aktiv unterstützt.

Im Ergebnis der Untersuchungen wurden folgende Umstände und Bedingungen herausgearbeitet, die die Begehung der Straftaten und deren lange Latenz begünstigten:

Es erfolgte keine konsequente klassenmäßige Erziehung.

Die politisch-ideologische Arbeit wurde nur auf allgemeine Grundpositionen ausgerichtet und erreichte damit nicht alle Angehörigen. Durch die Leiter, Vorgesetzten und Parteifunktionäre wurde im Rahmen der individuellen politischen Erziehungsarbeit nicht im erforderlichen Maße Einfluss auf die Herausbildung und Festigung politisch-moralischer Grundhaltungen der ihnen unterstellten Wachtmeister und Offiziere genommen.

Sie vertrauten auf verbale Bekenntnisse einzelner Angehöriger, schenkten der Einheit von Wort und Tat wenig Beachtung und überbewerteten erreichte Arbeitsergebnisse. Das führte dazu, dass dem Dienstkollektiv, dem die Täter angehörten, anlässlich der »Woche der Jugend und Sportler«7 1984 das »Ehrenzeichen der Deutschen Volkspolizei«8 verliehen und einem Täter anlässlich des Nationalen Jugendfestivals9 das »Programm der SED« mit der persönlichen Widmung des Generalsekretärs des ZK der SED, Genossen Honecker,10 überreicht wurde.

Bereits vorhandene offensichtliche Anzeichen einer mangelhaften Einstellung zum sozialistischen und persönlichen Eigentum sowie vorhandene bzw. sich entwickelnde kleinbürgerliche Denk- und Verhaltensweisen, insbesondere Bereicherungssucht und Geltungsbedürfnis, wurden in der Erziehungsarbeit ungenügend beachtet.

Hinweise über die Begehung strafbarer Handlungen durch Angehörige des Betriebsschutzamtes wurden – entgegen bestehender Anweisung des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei – nicht weitergemeldet.

Die Anleitungs- und Kontrolltätigkeit im Betriebsschutzamt entsprach nicht den Befehlen, Weisungen und Dienstvorschriften des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei. Die nach der Aufklärung der bereits 1984 durch einen ehemaligen Angehörigen des Betriebsschutzamtes begangenen Diebstahlshandlungen getroffenen Festlegungen der verstärkten Kontrolle wurden inkonsequent realisiert. Nur unzureichend wurden Hausbesuche dazu genutzt, den Wohn- und Freizeitbereich in die Beurteilung der Gesamtentwicklung der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei einzubeziehen. Auch die seit November 1984 durch die BdVP Halle verstärkt durchgeführten Komplexkontrollen, Kontrollgruppeneinsätze und Einzelkontrollen erreichten nicht die erforderliche Wirksamkeit.

Mängel in der kriminalpolizeilichen Arbeit des Betriebsschutzamtes, welche die lange Latenz der Straftaten begünstigten, bestanden insbesondere in der unzureichenden analytischen Tätigkeit bei Häufigkeitsstraftaten im Bereich dieses Betriebsschutzamtes, einer unqualifizierten Anzeigenbearbeitung und Tatortarbeit, der Unterlassung der Auswertung gesicherter Spuren sowie einer nicht den Erfordernissen entsprechenden Zusammenarbeit mit dem VPKA Merseburg zur Aufklärung angezeigter Diebstahlshandlungen in den an das Kombinat angrenzenden Versorgungseinrichtungen der HO.

Hinzu kam, dass die Täter teilweise zur Absicherung von Ereignisorten eingesetzt waren und durch bewusst falsche Hinweise die Tatortarbeit erschwerten.

In verantwortlichen Dienststellungen eingesetzten Tätern war es durch häufigen Aufenthalt im Dienstzimmer des Operativen Diensthabenden und das Lesen von Rapporten und Lagefilmen möglich, sich Kenntnis über den Stand der Aufklärung ihrer Diebstahlshandlungen zu verschaffen, weitere Straftaten zielgerichtet zu steuern und ihre Verhaltensweisen darauf einzurichten.

Die Straftaten wurden darüber hinaus durch eine ungenügende Durchsetzung von Sicherheit und Ordnung in einigen Bereichen des Kombinates VEB Chemische Werke Buna begünstigt. So wurden private Pkw von Angehörigen des Betriebsschutzamtes bei Ausfahrt aus dem Kombinat keiner Kontrolle durch die Torposten unterzogen, sodass dadurch umfangreiches Diebesgut ungehindert abtransportiert werden konnte. Schlüssel für Objekte und Räume wurden für jedermann zugänglich über Eingangstüren an Nägeln angehängt, Schlüssel für Stahlblechschränke, Kassetten und Büroschränke auf oder in Schreibtischen abgelegt, größere Geldbeträge in Briefumschlägen zum Teil offen aufbewahrt.

Es bestand kein exakter Nachweis über vorhandene Bestände an Baumaterialien, elektrischen Haushaltsgeräten, Werkzeugen und anderen Gebrauchsgegenständen, sodass durch Diebstähle entstandene Differenzen zum Teil erst bei Inventuren feststellbar waren, die dann einfach »abgeschrieben« wurden. Diebstähle von Geldbeträgen aus unberechtigt geführten Gemeinschaftskassen kamen wegen ihrer nicht gestatteten Existenz nicht zur Anzeige.

Auf der Grundlage eines Briefes des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei vom 22. August 1985 an die Chefs der BDVP wurden durch den Chef der BDVP Halle Maßnahmen festgelegt, welche die Beseitigung der geschilderten begünstigenden Bedingungen und Umstände, insbesondere die Erhöhung der Wirksamkeit der politischen und fachlichen Führungs- und Leitungstätigkeit, zum Inhalt haben. Darin sind u. a. konkrete Maßnahmen zur Erhöhung der Wirksamkeit der Kontrolltätigkeit der Inspektion der BDVP, der Fachabteilungen und der Leiter der Dienststellen des Betriebsschutzes des Bezirkes enthalten, mit deren Realisierung begonnen wurde.

  1. Zum nächsten Dokument Hinweise zu Problemen bei der Energieversorgung

    8. Oktober 1985
    Hinweis zu einigen Problemen der Versorgung der Volkswirtschaft und der Bevölkerung mit Energieträgern [K 1/160]

  2. Zum vorherigen Dokument 5. Tagung der IV.Synode des BEK in Dresden

    8. Oktober 1985
    Information Nr. 412/85 über die 5. ordentliche Tagung der IV. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR vom 20. bis 24. September 1985 in Dresden