Friedensseminar »Frieden konkret III« in Schwerin (2)
13. März 1985
Information Nr. 103/85 über die Durchführung des sogenannten Friedensseminars von »Friedenskreisen« der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 1. bis 3. März 1985 in Schwerin
In der Zeit vom 1. bis 3. März 1985 wurde im kirchlichen Objekt »Wichernsaal« in Schwerin in Fortführung gleichartiger Veranstaltungen in der Hauptstadt der DDR, Berlin (1983) und in Eisenach (1984) das 3. zentrale »Friedensseminar« von »Friedenskreisen« der evangelischen Kirchen in der DDR durchgeführt.1
Das Thema dieser Veranstaltung lautete: »Konkret für den Frieden III – verantwortlich denken – verbindlich handeln!«
(Über die Vorbereitung des »Friedensseminars« und notwendige differenzierte Maßnahmen zur Unterbindung des politischen Missbrauchs dieser Veranstaltung wurde in der Information des MfS Nr. 70/85 vom 21. Februar 1985 berichtet.)
Als Veranstalter dieses »Friedensseminars« fungierte im Auftrag der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs die Arbeitsgruppe »Frieden« dieser Landeskirche.2
Vorliegenden internen Hinweisen zufolge nahmen am »Friedensseminar« in Schwerin ca. 180 Teilnehmer aus der DDR teil, die insgesamt 32 kirchliche »Friedenskreise« vertraten. (1983 in Berlin ca. 125 Personen als Vertreter von 32 »Friedenskreisen«, 1984 in Eisenach ca. 170 Personen als Vertreter von 29 »Friedenskreisen«.)
Unter den Anwesenden befanden sich solche wegen feindlich-negativer Aktivitäten hinlänglich bekannte Personen wie Pfarrer Meckel/Vipperow,3 Heiko Lietz/Güstrow,4 Hans-Jürgen Misselwitz/Berlin,5 Pfarrer Passauer/Berlin,6 Bärbel Bohley/Berlin,7 Monika Haeger/Berlin,8 Provinzialpfarrer Tschiche/Magdeburg,9 Landesjugendpfarrer Stauss/Magdeburg,10 Dieter Oberländer/Erfurt,11 die Pfarrer Jahr/Altendorf,12 Scriba/Altendorf,13 Wonneberger/Dresden,14 Weigel/Königswalde,15 Bindemann/Rostock.16
Als Vertreter der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs waren zeitweise anwesend: Landesbischof Stier,17 Präsident des Oberkirchenrates Müller/Schwerin,18 Oberkirchenrat Schwerin/Schwerin19 und Präses Wahrmann/Wismar.20
Am »Friedensseminar« nahmen der in der DDR akkreditierte Journalist Röder,21 epd, sowie als Vertreter kirchlicher Publikationen der DDR Gerhard Thomas/Schwerin,22 »Mecklenburgische Kirchenzeitung«, und Hartmut Lorenz/Berlin,23 Evangelischer Nachrichtendienst in der DDR,24 zeitweise teil.
Ebenfalls zeitweilig war der Mitarbeiter im Sekretariat des »Internationalen Versöhnungsbundes«,25 Wiener/Niederlande,26 der sich in der Zeit vom 22. Februar bis 10. März 1985 besuchsweise bei der hinlänglich bekannten Misselwitz/Berlin27 aufhielt, anwesend. Er trat nicht öffentlich in Erscheinung.
Alle zur vorbeugenden Verhinderung des politischen Missbrauchs des »Friedensseminars« festgelegten Maßnahmen wurden durchgeführt. So hatten u. a. mit Landesbischof Stier und dem Präsidenten des Oberkirchenrates Schwerin, Müller, sowie mit den Organisatoren des »Friedensseminars« Pfarrer Bindemann/Rostock, Oberkirchenrat Schwerin/Schwerin, Präses Wahrmann/Wismar und Pfarrer Kuske/Teterow28 Gespräche stattgefunden, in denen die staatliche Erwartungshaltung zum Ausdruck gebracht wurde.
Mit hinlänglich bekannten feindlich-negativen Personen, die als mögliche Teilnehmer bekannt wurden, erfolgten differenzierte Gespräche, in denen sie auf ihre staatsbürgerlichen Pflichten hingewiesen und aufgefordert wurden, das »Friedensseminar« nicht für politisch-negative Zwecke zu missbrauchen.
Im Ergebnis dieser Aussprachen nahmen nach bisher vorliegenden Hinweisen zwölf namentlich bekannte Personen, wie z. B. Liedermacher Bomberg/Berlin,29 Studentenpfarrer Kleemann/Rostock,30 Pfarrer Messlin/Jena31 nicht am »Friedensseminar« teil.
Andere hinlänglich bekannte negative Kräfte, die während des »Seminars« in Eisenach 1984 mit massiven Angriffen gegen die DDR in Erscheinung traten und am »Friedensseminar« Schwerin teilnahmen, verhielten sich nach bisherigen Hinweisen zurückhaltend (z. B. Tschiche, Passauer, Bärbel Bohley, Jahr, Wonneberger).
Im engen Zusammenwirken des MfS mit zuständigen örtlichen Staatsorganen wurde in allen Bezirken darauf Einfluss genommen, die Teilnahme von progressiven und realistischen Kräften am »Friedensseminar« zu ermöglichen.
Die bereits in den staatlicherseits geführten Gesprächen mit kirchenleitenden Kräften um Landesbischof Stier festgestellte mangelnde Bereitschaft, den politischen Missbrauch während des »Friedenseminars« zu unterbinden, spiegelte sich in ihrem Verhalten und Auftreten während des »Seminars« u. a. darin wider, dass sie in diesem Forum vorgetragene Angriffe gegen die DDR, die Sicherheitspolitik der DDR und speziell gegen das MfS nicht zurückwiesen. Der Präsident des Oberkirchenrates Schwerin, Müller, ermunterte durch eigene Beiträge noch diese Angriffe und unterstützte Heiko Lietz in seinen gegen das MfS gerichteten Verleumdungen.
Streng intern wurde bekannt, dass Landesbischof Stier aufgrund der staatlichen Einflussnahme Festlegungen dahingehend traf, wer von kirchenleitenden Personen am »Seminar« teilnimmt, dass eine stärkere theologische Ausprägung entsprechend den Veranstaltungsthemen erfolgt und er selbst die Kontrolle über Herstellung, Vervielfältigung und Verteilung von Schriftstücken während des »Seminars« übernimmt.
Präses Wahrmann brachte zum Ausdruck, er wolle seinen Einfluss dahingehend geltend machen, dass das »Friedensseminar« in keinen Widerspruch zu dem Gespräch des Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Honecker,32 mit Landesbischof Hempel33 am 11.2.1985 gerät.34
Während des Treffens versuchten die dem MfS namentlich bekannten Inspiratoren und Organisatoren bei der Etablierung einer sogenannten staatlich unabhängigen Friedens- und Ökologiebewegung in der DDR erneut, das »Friedensseminar« für politisch-negative Zielstellungen zu missbrauchen.
Es wurden aktive Bestrebungen deutlich, die bestehenden »Basisgruppen« »vernetzend« zusammenzuführen, den Prozess der Zentralisierung der Schaffung fester Organisationsstrukturen und des Ausbaus des Kommunikationssystems fortzusetzen und verstärkt längerfristige konzeptionelle und für alle »Friedenskreise« verbindliche Festlegungen zu treffen.
Das fand seinen Ausdruck u. a. in der Berufung eines »Fortsetzungsausschusses«, der die Aufgabe der weiteren Koordinierung der Arbeit der »Basisgruppen« übernehmen soll, sowie in der Verabschiedung von inoffiziellen Stellungnahmen bzw. Schriftstücken, in denen Probleme der »Basisgruppen« und »Sektionen« des »Seminars« abgearbeitet werden.
Das »Friedensseminar« trug überwiegend den Charakter eines Meinungs- und Erfahrungsaustausches über das praktische Vorgehen der »Basisgruppen«, wobei in einer Reihe Beiträge die Suche nach neuen Formen und Methoden der Arbeit der »Friedenskreise« deutlich wurde mit dem Ziel, Einfluss, Autorität, Öffentlichkeitswirksamkeit, Breitenwirkung und Mitspracherecht zu erhöhen.
Trotz der bisher erreichten Resultate der Einflussnahme, Disziplinierung und des Differenzierungsprozesses hielten die hinlänglich bekannten feindlich-negativen Kräfte hartnäckig an ihrer Zielstellung der Zusammenführung von »Basisgruppen«, deren Koordinierung und Instruierung im Sinne einer staatlich unabhängigen Friedensbewegung in der DDR fest. Weitere Schritte dazu wurden mit der erklärten Absicht, durch eine »Korrespondentengruppe« ein Informationsblatt herauszubringen, unternommen.
Insbesondere in den »Sektionen« des »Friedensseminars« standen Fragen des christlichen Friedensengagements im Mittelpunkt der Gespräche. Ausgehend von theologischen Aspekten wurden dabei bekannte Standpunkte einer eigenständigen kirchlichen Friedensarbeit unterstrichen. Die staatliche Friedenspolitik der DDR fand wiederholt Würdigung. Ungeachtet dessen zeigten sich durchgängig in den Meinungsäußerungen und Ausführungen von Teilnehmern die bekannten pseudopazifistischen und neutralistischen Positionen, insbesondere zu Fragen des Wehrdienstes,35 des Abschlusses »persönlicher Friedensverträge«36 und der Abrüstung.
Aus den Gesprächen in den »Sektionen« war der permanente Versuch der in den »Basisgruppen« etablierten feindlich-negativen Kräfte erkennbar, vorhandene, echte Bedürfnisse von Christen sich für den Frieden zu engagieren, politisch zu missbrauchen und geschickt mit pazifistisch geprägten Darstellungen zu verbinden. Ohne vordergründig auf spektakuläre Aktionen zu orientieren wurde für weitere regionale Veranstaltungen (»Frieden – Umwelt – Gerechtigkeit«) im DDR-Maßstab plädiert.
Weitere, in der Diskussion behandelte Probleme zielten darauf ab, die »Basisgruppen« dem Staat gegenüber als Gesprächspartner zu qualifizieren und aufzuwerten sowie auf eine noch stärkere Festigung und Ausdehnung des Verhältnisses »Basisgruppen« – Kirchenleitungen zu orientieren.
Während des »Friedensseminars« in Schwerin wurden keine Aufrufe, Appelle oder offenen Briefe verfasst.
Die Teilnahme und das Auftreten von auf progressiven und realistischen Positionen stehenden Kräften aus den verschiedensten Bezirken der DDR (u. a. von Mitgliedern der »Christlichen Friedenskonferenz« – CFK37) wirkten sich besonders in den Gesprächsrunden der »Sektionen« positiv aus. Dadurch konnten z. T. Versuche, politisch-negative Aussagen in die Gesprächsrunden zu tragen, zurückgewiesen werden. Der Vorschlag zur Mitwirkung von Mitgliedern der CFK im »Fortsetzungsausschuss« wurde jedoch durch Einspruch von Tschiche/Magdeburg abgelehnt.
Vorliegenden Hinweisen zufolge äußerten Teilnehmer am »Friedensseminar« Zweifel an der Effektivität der Veranstaltung. Ihrer Meinung nach habe eine zu starke Präsenz von Pfarrern, hauptamtlichen kirchlichen Mitarbeitern sowie von Personen, die ohne Mandat einer »Basisgruppe« in Erscheinung getreten seien, die Konstruktivität und Zielstellung der Veranstaltung ungünstig beeinflusst.
In diesem Zusammenhang gab es von Leitungsmitgliedern von »Friedenskreisen« Äußerungen, künftig den Schwerpunkt der Arbeit auf Aktivitäten in kleineren, überschaubareren Gruppen und Gremien zu legen.
Streng internen Hinweisen zufolge war unter einigen Vertretern von »Friedenskreisen« eine gewisse Resignation zu verzeichnen, da ihrer Meinung nach eine zu geringe Wirksamkeit ihrer Arbeit zu spüren sei.
Zum Verlauf des »Friedensseminars« in Schwerin liegen dem MfS nachfolgende streng vertrauliche Hinweise vor:
Am 1. März 1985, um 20.00 Uhr wurde das »Friedensseminar« im Namen der »Arbeitsgruppe Frieden« der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs von Pfarrer Bindemann/Rostock eröffnet.
Landesjugendpfarrer Lohmann/Schwerin38 bezeichnete in einer anschließenden Ansprache das »Friedensseminar« als eine »Basissynode« mit den inhaltlichen Schwerpunkten: »Vernetzung, Standortbestimmung, Gespräche, Inspiration zum verbindlichen Handeln«.
Die »Basissynode« solle für »Friedenskreise«, »Ökologiegruppen« sowie »Gruppen«, die sich noch in der Entwicklung befänden, Erfahrungen zusammenfassen und im Plenum vermitteln.
Landesbischof Stier begrüßte die Teilnehmer im Namen der gastgebenden Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, der Kirchenleitung sowie in seinem eigenen Namen und betonte, dass für die Gestaltung des »Friedensseminars« »alle« verantwortlich seien. Er wünschte »gute, sinnvolle Tage der Gespräche, des Austausches und der Begegnungen« sowie »weiterführende Impulse und Ermutigung«. In weiteren Ausführungen bezeichnete Landesbischof Stier die Aspekte »kontinuierliche« Friedensarbeit, »kirchliche« Friedensarbeit und »konkrete« Friedensarbeit als bedeutsam für das »Friedensseminar«. Bei der Erläuterung der »kontinuierlichen« Friedensarbeit stellte er einen Zusammenhang zwischen den seit 1983 jährlich stattfindenden »Friedensseminaren« und den Aussagen der Synoden des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR zur Friedensverantwortung her. In Bezug auf »kirchliche Friedensarbeit« sprach er sich für eine Übereinstimmung zwischen Gebet und dem Wirken für den Frieden aus und betonte, entscheidend dafür seien offene und kritische Gespräche sowohl zwischen einzelnen »Gruppen« als auch mit Vertretern kirchlicher Institutionen bzw. Synodalen. »Gegenseitige« »Verdächtigungen« würden Kräfte binden, jedoch ein fairer Streit Kräfte freisetzen. Zur »konkreten« Friedensarbeit wünschte Stier den Teilnehmern »viele gute Einfälle für friedensstiftende Worte und friedensförderndes Handeln«.
Er forderte »alle kirchlichen Friedensgruppen, Öko-Gruppen und Dritte-Welt-Gruppen« auf, an einem Ideenwettstreit »Frieden konkret« der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs teilzunehmen. Dazu sollen bis Ende 1985 dem während des »Friedensseminars« zu wählenden »Fortsetzungsausschuss« »friedensfördernde Ideen und Schritte« für die Friedensarbeit vorgeschlagen werden. Zum Abschluss des Ideenwettstreites sei vorgesehen, einer »Gruppe« als Preis einen Wochenendaufenthalt in einem Objekt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs zur Verfügung zu stellen.
Nach der Begrüßungsrede durch Stier wurden »Regionalberichte« aus den evangelischen Landeskirchen vorgetragen.
Aus der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vermittelten die Teilnehmer Rasch/Dresden,39 Meusel/Werdau,40 Fleischhack/Meißen41 und Thomas/Karl-Marx-Stadt42 »Erfahrungen« bei der Organisierung der Arbeit ihres »Friedenskreises« und verwiesen auf Ausstellungen, »Friedensbibliotheken«, Friedensgebete, Dia-Serien u. a.
Aus der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg berichtete der Diplom-Biologe Misselwitz/Berlin über insgesamt 162 in der Zeit seit dem »Friedensseminar« 1984 durchgeführte Veranstaltungen in ca. 20 »Friedenskreisen«. Er betonte, in Berlin bestünden aufgrund der territorialen Besonderheit bessere internationale Begegnungsmöglichkeiten. Veranstaltungen mit hohen Teilnehmerzahlen seien während der »Friedensdekaden«,43 der »Blues-Messen«44 und »Friedenswerkstätten«45 in Berlin besser erreichbar. Der erreichte Stand sei mit das Ergebnis von Hartnäckigkeit, Geduld und Ausdauer. Ein Lernprozess habe den »inneren Zusammenhalt und Glauben« geprägt, was insgesamt ermutigend wirke. Eine besondere Herausforderung an die Tätigkeit der »Basisgruppen« würden die »Friedensdekaden« und Veranstaltungen der »offenen Jugendarbeit«46 darstellen. Auf den »Friedenskreis« in Berlin-Alt-Pankow47 verweisend, führte Misselwitz an, dort sei die »Offenheit« durch die Teilnahme von 10 bis 30 Personen, die nicht in die »kirchliche Friedensarbeit« eingeordnet werden könnten, infrage gestellt.
Aus dem Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen berichtete Pfarrer Scriba (Mitglied des »Altendorfer Friedenskreises«/Gera)48 über Erfahrungen aus der praktischen Arbeit. Gleichzeitig führte er aus, es würden unter Mitgliedern des »Friedenskreises« Erscheinungen der Resignation hinsichtlich eines »Schrumpfungsprozesses« der »Friedenskreise« festgestellt. In einigen Fällen gäbe es »Behinderungen« der Arbeit der »Friedenskreise« durch Superintendenten wie in Jena, Weimar, Gera. Frieden sei nicht mehr Thema Nr. 1, aber nach wie vor wichtig. Friedensprobleme würden immer mehr mit Umweltproblemen verknüpft. Der »Altendorfer Friedenskreis« erachte es weiterhin als notwendig, Wehrpflichtige zu betreuen.
Die Vertreterin der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Schorlemmer/Hausfrau/Wittenberg,49 plädierte für eine noch stärkere Zusammenarbeit zwischen den »Friedenskreisen«.
Launicke/Student50 am Katechetischen Oberseminar Naumburg bestätigte, dass sich Mitglieder von »Friedenskreisen« mit »persönlichen Friedensverträgen« beschäftigen.
Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stehe die beabsichtigte Herausgabe eines »Informationsblattes«. Er informierte, dass am 4. Mai 1985 ein weiteres »Friedensseminar« in Naumburg stattfinde, ohne dessen Zusammensetzung zu nennen.
Feindlich-negative Aussagen, verbunden mit dem Versuch, orientierend auf andere »Basisgruppen« zu wirken, hatte der ausführliche Beitrag des Heiko Lietz/Güstrow, der über Erfahrungen von »Basisgruppen« innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs berichtete, zum Inhalt. Lietz untergliederte seinen Vortrag zum Thema »Dialogfähigkeit und Dialogbereitschaft« in vier Punkte (»Auf die eigene Gruppe bezogen«, »zu den Kirchengemeinden hin«, »in Richtung kirchenleitender Gremien«, »in Richtung Staatlicher Organe und gesellschaftlicher Institutionen«). Er forderte die »Friedenskreise« zu einer noch engeren Zusammenarbeit auf und führte beispielhaft dafür die jährliche »Friedensdekade« an. Kritisch erwähnte er die »abwartende Haltung« der Kirchenleitungen gegenüber den »Basisgruppen« und betonte, dass der Staat die »Basisgruppen« als eigenständige Gesprächspartner nach wie vor nicht akzeptiere. Er forderte dazu auf, sich mit diesem Zustand nicht abzufinden, sondern um gesellschaftliche Anerkennung zu ringen. Das am 11. Februar 1985 geführte Gespräch Honecker – Hempel sei in dieser Hinsicht »zu wenig basisorientiert« und reiche nicht aus, um »kirchliche Erfahrungen vor Ort« zur Sprache zu bringen.
Lietz erklärte dann weiter, die »Basisvertreter« fühlten sich durch staatliche Organe »in die Ecke gedrängt« und forderte in diesem Zusammenhang, »Konflikte« mit staatlichen Organen künftig öffentlich auszutragen.
Im Verlaufe seiner weiteren Ausführungen diffamierte Lietz die Tätigkeit des MfS und verwies dabei auf den Präsidenten des Oberkirchenrates Schwerin, Müller, der bezüglich eines im Dezember 1984 aufgetretenen Ereignisses in Güstrow am »sachkundigsten« sei.51
In Beantwortung einer provokatorisch aufgeworfenen Anfrage des Diplom-Biologen Knapp/Waren,52 Mitglied des Vipperower »Friedenskreises«53 zweifelte Müller den ihm durch leitende Mitarbeiter des Militäroberstaatsanwaltes der DDR mitgeteilten Sachverhalt an und solidarisierte sich mit den von Lietz in Güstrow entwickelten Aktivitäten.
(Seitens des anwesenden epd-Korrespondenten Röder erfolgten auf dieser Grundlage die bekannten Veröffentlichungen in den westlichen Massenmedien.)54
Die Arbeit in den vier »Sektionen« des »Friedensseminars« wurde durch einen Vortrag von Pfarrer Bindemann vor allen Teilnehmern eingeleitet. Er führte u. a. ein Zitat von Wolf Biermann55 an, wonach es für den DDR-Bürger drei Formen der Flucht (in den Tod, in den Westen und in die Kirche) gebe. Es habe sich als ein weiterer Weg »die Flucht in die Basisgruppen« herausgebildet. »Basisgruppen« wären nach seiner Auffassung »kreative Minderheiten«, die in der Gesellschaft neue Werte und Maßstäbe setzten und bereits Konfliktfelder gelöst hätten.
Internen Hinweisen zufolge ist im Zusammenhang mit der »Gruppenarbeit« in den vier »Sektionen«, die sich an die Ausführungen von Bindemann am 2. März 1985 in der Zeit von 10.00 bis 19.00 Uhr anschloss, bemerkenswert:
Sektion I – Leitung: Scriba/Altendorf – »Altendorfer Friedenskreis«
Thema: »Suchet der Stadt Bestes«, bezogen auf »Verantwortung von Regierenden und Regierten in der sozialistischen Demokratie«.
Provinzialjugendpfarrer Stauss/Magdeburg behandelte Aussagen der »Barmer Theologischen Erklärung« von 1934 zur Ordnungsfunktion des Staates, zur Machtfrage sowie zur Stellung und Verantwortung der Christen und Kirchen in der Gesellschaft.56
Stauss teilte die Entwicklung des Verhältnisses Staat – Kirche in der DDR nach 1945 in Etappen ein: Die Etappe bis zum 6. März 1978,57 die bis zum 11. Februar 1985 (Gespräche Staat – Kirche), die er als grundsätzlich positiv bezeichnete, und die nach dem 11. Februar 1985, die noch nicht bewertet werden könne. Unter Verwendung von Zitaten Lenins zur Rolle des Staates wandte sich Stauss gegen eine praktizierte »Verteufelung der politischen Macht der Christen«.
Sektion II – Leitung: Hans-Jürgen Misselwitz/Berlin
Thema: »Liebet Eure Feinde«, bezogen auf »Staatliche Sicherheitspolitik und persönliche Entscheidung«
Seinen grundsätzlichen Ausführungen stellte Pfarrer Passauer/Berlin voran, dass er sein Referat auf der Grundlage von Ausarbeitungen u. a. des Pfarrers Schorlemmer/Wittenberg,58 Propst Falcke/Erfurt59 und des Referenten der Studienabteilung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Garstecki/Berlin,60 erarbeitet habe.
Passauer erläuterte den Begriff »Sicherheitspartnerschaft« und »innerer Zusammenhang zwischen der Sicherheitspolitik eines jeden Staates und dem Verhalten des einzelnen Bürgers«. Er betonte u. a., es gebe »einen Kausalzusammenhang zwischen der wahrnehmbaren und der erlebten Sicherheitspolitik und der nicht mehr wahrnehmbaren und nicht mehr vorstellbaren Sicherheitsanstrengung«.
Was für die Gerechtigkeit getan werde, sei Friedensarbeit. Weiter sprach er sich dafür aus, die Kirchengemeinden sollten »Trainingslager für Gewaltfreiheit« werden. »Flucht in die BRD« sei für ihn kein Lösungsweg für Konflikte.
Sektion III – Leitung – Wollenberger/Berlin61
Thema: »Füllet die Erde und macht sie euch untertan«, bezogen auf »ökologische Krise und eigener Lebensraum«
In der Diskussion wurde das angeblich notwendige christliche Engagement für die Erhaltung der Umwelt begründet. Betont wurde, das Wettrüsten sei mit ökologischen Problemen verbunden. Allgemein wurde dazu aufgerufen, sich mehr für Umweltschutz fragen einzusetzen.
Sektion IV – Leitung – Pfarrer Bindemann/Rostock
Thema: »Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach«, bezogen auf »Internationale Wirtschaftsordnung und unsere Interessen«
Propst Falcke/Erfurt trug aus einem »Arbeitsmaterial« des Facharbeitskreises Diakonie beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR mit dem Titel »Kirche in Solidarität mit den Armen« einzelne Passagen vor.
Im Verlauf der Diskussion wurde der Versuch unternommen, die »Notwendigkeit einer neuen Wirtschaftsordnung« zu begründen, ohne dazu Festlegungen zu treffen.
Breiten Raum nahmen in der Diskussion Einschätzungen zu dem ökonomischen Entwicklungsstand einzelner Entwicklungsländer sowie zur Infrastruktur einzelner Länder Afrikas und Lateinamerikas ein.
Die Ergebnisse der Arbeit in den »Sektionen« wurden vor dem Gesamtteilnehmerkreis jeweils durch Sprecher wie folgt dargestellt:
In der Sektion I seien Probleme zu Fragen der verstärkten Nutzung von Möglichkeiten in Kirche und Gesellschaft, zur Perspektive der menschlichen Gesellschaft, zum Umgang mit der Macht, zur Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit und zum Unterschied zwischen Reglementierung und Entfaltung der eigenen Möglichkeiten vorgetragen worden. Dem Plenum wurde dazu eine Ausarbeitung »Erziehung zur Befreiung« vorgelegt und vorgeschlagen, in den Synoden der evangelischen Kirchen in der DDR Beauftragte für »Friedenskreise« zu benennen.
In der Sektion II sei in der Tätigkeit der »Friedenskreise« Resignation festgestellt worden. Schwerpunkte seien deshalb Fragen zur Überwindung der Resignation, der Erziehung zur Verantwortung, des Adressenaustausches und des stärkeren Zusammenhalts in der Gruppe gewesen. Eine schriftliche Zusammenfassung der Diskussion wurde dem Plenum eingereicht.
In der Sektion III sei herausgestellt worden, dass die Ursachen für ökologische Schäden im »Machtstreben aller Staaten« zu sehen wären. Zur Verhinderung von Schäden trage jeder einzelne Verantwortung. Schriftlich wurde der Vorschlag eingebracht, 1985 ein »Umweltwochenende« durchzuführen.
In der Sektion IV sei festgestellt worden, dass der kirchliche Spielraum innerhalb der von der DDR geleisteten Unterstützung sogenannter Entwicklungsländer zu klein wäre. Es wurde der bekannte Vorschlag erneuert, dass der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR einen »Leitfaden zur Betreuung von in der DDR lebenden Ausländern« herausgeben sollte.
Alle genannten Ausarbeitungen und andere von den »Sektionen« verfasste Papiere wurden nicht als offizielle Dokumente verabschiedet, sind jedoch zur Weiterleitung an die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR sowie die Kirchenleitungen und Synoden der Landeskirchen und interessierende »Friedenskreise« vorgesehen. (Sie liegen dem MfS im Wortlaut vor und können bei Bedarf angefordert werden.)62
Ein während des »Friedensseminars« durchgeführtes Podiumsgespräch wurde geleitet von Oberkirchenrat Müller/Schwerin, Propst Falcke/Erfurt, Präses Becker/Berlin,63 Provinzialjugendpfarrer Stauss/Magdeburg, Bohley/Berlin, Diplom-Psychologin [Name]/Rudolstadt, wobei Stauss vorwiegend als Sprecher fungierte.
Inhaltlich wurden Probleme der »kirchlichen Friedensarbeit«, der Notwendigkeit der Verstärkung der »Basisarbeit« durch die »Friedenskreise« sowie der Verstärkung des Engagements der Kirchenleitungen für die Interessen der »Friedenskreise« angesprochen, wobei die Aussagen pseudopazifistisch geprägt waren.
Bemerkenswert waren die Beiträge von Lietz, Becker, Falcke und Müller mit Forderungen wie: Engagement kirchenleitender Kräfte, Einbindung der »Basisgruppen« in kirchliche Strukturen, Ausrichtung der Arbeit der »Basisgruppen« auf »Langzeitwirkung«.
Falcke betonte, das »Zentrum« könne auch am Rande sein.
Weitere namentlich bekannte Teilnehmer des Podiumsgespräches sprachen sich dafür aus, »durch taktisch kluges Verhalten gegenüber dem Staatsapparat« (z. B. Einholung von Druckgenehmigungen, Einhaltung der Veranstaltungsverordnung) Möglichkeiten für die Gestaltung ihrer Arbeit zu nutzen.
Oberkirchenrat Müller ermutigte die Anwesenden, indem er ausführte, dass die »Gruppen« in die Kirchen integriert seien und »allen Schutz der Kirchenleitungen« hätten.
Ein während des »Friedensseminars« durchgeführter »Liederabend« fand bei den Anwesenden wenig Resonanz, sodass ein Drittel vorzeitig die Veranstaltung verließ.
Während des »Liederabends« wurde durch eine dem MfS namentlich bekannte Vertreterin eines »Friedenskreises« Berlin eine an das »Friedensseminar« Schwerin gerichtete »Grußbotschaft« eines »Friedenskreises« aus Siegen/BRD, der zeitgleich tagte, verlesen. Die »Botschaft« enthält u. a. Aussagen dahingehend, dass Christen beider deutscher Staaten für den Frieden kämpfen sollten und mit diesem Ziel »im Dialog bleiben« müssten. (Der Wortlaut liegt dem MfS vor.)
Durch das Mitglied des »Friedenskreises« der Gethsemane-Kirchgemeinde64 Utpatel/Berlin65 wurde der Text eines an Landesbischof Hempel/Dresden zu richtenden Schreibens verlesen und zur Unterzeichnung ausgelegt. Darin wird die von Hempel im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker vom 11. Februar 1985 bezogene »Stellungnahme zum Pazifismus« kritisiert.
(Konkretere Hinweise dazu werden noch erarbeitet.)
Durch das Abschlussplenum wurde folgender »Fortsetzungsausschuss« berufen: Dr. Knapp/Waren, Rechtsanwalt Schnur/Binz,66 Bohley/Berlin, Präses Becker/Berlin, Diplom-Ingenieur Wollenberger/Berlin,67 Meusel/Dresden,68 Drews/Magdeburg,69 Pfarrer Jahr/Karlsdorf, Garstecki/Berlin – Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR.
(Über die Rolle und Aufgaben des sogenannten Fortsetzungsausschusses wurde in der Information des MfS Nr. 70/65 vom 21. Februar 1985 berichtet.)
Der Abschlussgottesdienst wurde durch Pfarrer Meckel/Vipperow gehalten. Ausgehend von seinen bekannten gesellschaftskritischen Positionen orientierte er theologisch verbrämt u. a. dahingehend, »derjenige, der handele und Konflikte erfahre, müsse lernen, zurückzustehen«. Er verwies darauf, man müsse etwas tun, »damit die Kinder und die Kindeskinder die Früchte davontragen« und sagte, »wenn wir nicht bleiben wollen wie Schlachtvieh, müssen wir kämpfen, predigen und Nachteile, Verhöre, Festnahmen und Kampf auf uns nehmen … Für das Glück einer kommenden Zeit gilt es auch, Opfer auf sich zu nehmen.«
Für ein weiteres zentrales »Friedensseminar« wurden keine Festlegungen getroffen.
In Auswertung gewonnener Erkenntnisse des »Friedensseminars« in Schwerin wird vorgeschlagen:
Der Staatssekretär für Kirchenfragen und der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Schwerin für Inneres sollten in geeigneter Form in Gesprächen mit Landesbischof Stier das provokatorische Auftreten von Lietz/Güstrow sowie Meckel/Vipperow energisch zurückweisen und deren Disziplinierung sowie weitere gezielte Maßnahmen der Einflussnahme fordern.
Das unkorrekte und das konstruktive Verhältnis Staat – Kirche belastende Auftreten des Präsidenten des Oberkirchenrates Müller/Schwerin bezüglich seiner Äußerungen das Vorkommnis in Güstrow betreffend, sind dabei mit auszuwerten und zurückzuweisen.
Die differenzierten Gespräche mit kirchenleitenden Kräften zur vorbeugenden Verhinderung feindlich-negativer Aktivitäten sollten staatlicherseits weiterhin fortgesetzt und intensiviert werden. Auch andere Anlässe sind zielgerichtet zu nutzen. Schwerpunkte sind dabei vor allem die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg und die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen.
Zur weiteren Stärkung des politischen und staatlichen Einflusses in den territorialen Bereichen sollte die Einbeziehung von Betrieben und gesellschaftlichen Organisationen zu Gesprächen mit den hinlänglich als feindlich-negativ bekannten Personen unbedingt beibehalten bzw. vertieft werden.
Dazu werden an die Bezirksleitungen der Partei und an die zuständigen staatlichen Organe, Betriebe und gesellschaftliche Organisationen vom MfS konkrete, auswertbare Hinweise zu Personen übergeben.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.