Friedensseminar in Königswalde
17. Juni 1985
Information Nr. 254/85 über die Durchführung eines »Friedensseminars« in Königswalde, Kreis Werdau, Bezirk Karl-Marx-Stadt
Nach dem MfS intern vorliegenden Hinweisen wurde am 18. Mai 1985 in der Jakobikirche in Königswalde zum wiederholten Mal ein sogenanntes Friedensseminar mit ca. 450 Teilnehmern, darunter Personen aus der BRD, den Niederlanden, der Schweiz und aus Südafrika durchgeführt. Es stand unter dem Motto »Gewaltfreiheit im Friedensdienst«.1
(Das »Friedensseminar Königswalde« wurde im Jahre 1972 als Zusammenschluss ehemaliger aktiver bzw. künftiger Bausoldaten2 gebildet und steht unter Leitung des Hansjörg Weigel,3 Kfz-Elektriker, Mitglied der Arbeitsgruppe »Kirche und Gesellschaft« im Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, ehemaliger Bausoldat.
Erkennbare Zielsetzung dieses jährlich in Form von zwei bis drei »Seminaren« stattfindenden »Friedensseminars« ist die pseudopazifistische und immer stärker feindlich-negativ orientierte Beeinflussung kirchlich gebundener Jugendlicher und deren Ausrichtung, in der Öffentlichkeit als Multiplikatoren während der »Seminare« vorgetragener und diskutierter Auffassungen zu wirken.
In diesem Sinne sind bestimmte Grundsatzdarlegungen gedacht, die von kirchenleitenden Kräften bzw. anderweitig im kirchlichen Dienst hauptamtlich tätigen Personen vorgetragen werden.
Das »Friedensseminar Königswalde« beteiligte sich zu Beginn der 80er-Jahre durch entsprechende Aufrufe und weitere Aktivitäten aktiv an der zielgerichteten Schaffung einer größeren Anzahl von »Friedensarbeitskreisen« im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens; der Leiter des »Friedensseminars Königswalde« unterhält Verbindungen zu derartigen Gruppierungen und beteiligt sich an zentralen bzw. territorialen Treffen.
Bisher ist es den zuständigen staatlichen Organen sowie gesellschaftlichen Organisationen und Kräften noch nicht im ausreichenden Maße gelungen, die zunehmende feindlich-negative inhaltliche Profilierung dieser kirchlichen Veranstaltungen zu unterbinden bzw. einzuschränken und die Organisatoren wirkungsvoll zu disziplinieren.
Inhalt und Verlauf des am 18. Mai 1985 durchgeführten »Friedensseminars Königswalde« bestätigten die Tendenz der weiteren politisch-negativen Profilierung. Dazu trug das Grundsatzreferat des Referenten für Friedensfragen der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR, Joachim Garstecki,4 zum Thema »Gewaltfreiheit im Friedensdienst« nicht unwesentlich bei. Die Thesen von Garstecki bildeten den Ausgangspunkt der Diskussionen in den Gesprächsgruppen und von weitergehenden Überlegungen, wie mit Mitteln und Methoden der »Gewaltfreiheit« in der DDR die »eigenständige Friedensarbeit« der Kirche organisiert werden könne, wie das »zeichenhafte Handeln für den Frieden« zu gestalten sei.
Das Referat war untergliedert in die Schwerpunkte »Gewaltfreiheit – ein Traum, den wir träumen«, »Gewaltfreiheit – ein Programm, das wir brauchen« und »Sicherheit kann nicht mehr errüstet werden«.
Angriffe gegen die Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR zeigten sich dabei in folgenden Aussagen:
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»Es gilt, ein Fragezeichen an die Logik zu setzen, wonach Menschen, die im Militärdienst eine unmittelbare Mitwirkung am Gebrauch von Waffen, an bewaffneter Gewalt haben, den Frieden schützen und sicherer machen.
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Die Wehrdienstfrage wird für viele Menschen zum Testfall der Gewaltfreiheit und des gewaltfreien Handelns überhaupt, da die heutigen militärischen Mittel offensichtlich immer untauglicher geworden sind, um den Frieden zu schützen und sicherer zu machen. Gerade die Bausoldaten und Totalverweigerer5 sind geeignet, um tieferes Nachdenken zu erreichen.
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Die Notwendigkeit eines Programms der Gewaltfreiheit liegt darin begründet, dass die heutigen Waffen den Frieden bedrohen, die Verteidigung unmöglich machen und die früher verwandte Strategie der militärischen Abschreckung heute nicht mehr akzeptabel ist, da beide gesellschaftlichen Systeme eine Strategie der Kriegsführung und des Angriffs betreiben. (Es gibt keine gerechten Kriege mehr.) Sicherheit kann nicht mehr errüstet werden.
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Persönliche Entscheidungen zum gewaltfreien Handeln sind in jedem Fall politisch motiviert und können den bestehenden politisch-militärischen Status quo in Europa und in der Welt verunsichern.
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Es gilt, durch persönliche Zeichen gewaltfreien Handelns den politisch Verantwortlichen zu verdeutlichen und sie einzuladen und herauszufordern, sich auf die bessere Alternative der Gewaltfreiheit einzulassen.
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Eine gute Friedenspolitik ist nur dann gut, wenn sie die utopischen Friedenszeichen, das prophetische Friedenssymbol zulässt. Auf die Frage, ob unsere gute Friedenspolitik so souverän ist, dass sie die Größe hat, sich selbst zu relativieren und Überschusshandeln zu erlauben, muss ich sagen: Im Lichte solcher Überlegungen muss heute im Bereich von Wehrdienst und Waffendienst eigentlich nicht mehr derjenige seine Gründe geltend machen, der den Waffendienst verweigert, sondern umgekehrt derjenige, der den Waffendienst noch tut.«
Garstecki forderte die Anwesenden dazu auf, nach neuen aktuellen Formen und Methoden zeichenhaften Handelns zu suchen, um damit die »Politiker unter Druck« zu setzen, sie zu zwingen, auf derartige »Zeichen« zu achten, »ihre Politik« diesem unterzuordnen bzw. zu entsprechen.
(Garstecki ließ mit diesem Grundsatzreferat deutlicher seine tatsächliche politische Haltung erkennen; durch seine weitergehenden Vorstellungen zur kirchlichen Friedensarbeit unterstützt er letztlich auch Bestrebungen nicht kirchlich gebundener oppositioneller Kräfte, unter dem Dach der Kirche wirksam zu werden. Seine diesbezüglichen Auffassungen werden nach dem MfS dazu vorliegenden Hinweisen von der Mehrzahl kirchenleitender Amtsträger und Gremien der evangelischen Kirchen in der DDR nicht geteilt.)
Das »Friedensseminar« wurde in insgesamt zehn Gesprächsgruppen fortgesetzt. Dabei konnten die Teilnehmer von acht Gruppen alternativ aus mehreren von den Organisatoren vorbereiteten Themen ein sie interessierendes Gesprächsthema auswählen.
Wesentlich unter dem Eindruck des Grundsatzreferates entschieden sich die Jugendlichen vorrangig für die Themen: »Was geschieht, wenn der Traum der Gewaltfreiheit Hände und Füße bekommt?« und »Argumente gegen die Gewalt«. Eine weitere Gesprächsgruppe beinhaltete Probleme des Wehrdienstes/»waffenlosen Dienstes«, lediglich eine war von den Organisatoren ausschließlich religiösen Themenstellungen gewidmet.
In den Diskussionen gelangten die Seminarteilnehmer u. a. zu Auffassungen wie
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Politik und Kirche seien nicht mehr zu trennen; durch Zeichensetzung und Vorleben (wie es Jesus tat) muss »von einem selbst« Frieden ausgehen.
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Es sei möglich, persönliche »Zeichen der Handlung« zu setzen, die bis dahin reichen, bereits die Kinder gewaltlos zu erziehen, ihnen den Beitritt in die Pionierorganisation bzw. den Jugendlichen die Mitgliedschaft in der FDJ zu verwehren; im Rahmen der kirchlichen Arbeit (Veranstaltungen) müsse man ebenfalls – entsprechend den Darlegungen des Grundsatzreferates – offen für »Gewaltlosigkeit« eintreten.
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Notwendig sei es, außerhalb der Kirche mehr und »breitere« Aktivitäten zu entwickeln (die Kirche sei inzwischen in der DDR eine Kraft geworden, auf die der Staat Rücksicht nehmen müsse), ungeachtet dessen, dass man mit derartigen Schritten nicht mit der »staatlichen Linie« übereinstimme und persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen habe. Zielstrebig müsse man die vorhandenen Möglichkeiten, u. a. die Eingabetätigkeit nutzen.
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Jeder solle sein verfassungsmäßiges Recht in Anspruch nehmen können, den Wehrdienst mit der Waffe zu verweigern.
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Die Kirche müsse sich noch stärker für den Frieden einsetzen – dabei sei zu beachten, dass mit »Kirche« nicht nur die Kirchenleitung gemeint sei, sondern alle Mitglieder.
Das nachfolgende Plenum mit allen Teilnehmern bestätigte, dass sich auch die Organisatoren des »Friedensseminars Königswalde« an Organisations- und Veranstaltungsformen anlehnen, die bei zentralen und anderen Treffen kirchlicher und oppositioneller Kräfte (»Friedenskreise«, »Frauen-« und »Umweltgruppen«) üblich sind. So wurden zusammengefasst die »Ergebnisse« der Diskussion in den einzelnen Gruppen allen Teilnehmern bekannt gegeben. Die Reminiszenz einer Gesprächsgruppe beinhaltete z. B.: Zeichen und zeichenhaftes Handeln seien als sinnvolle Provokation notwendig; sie sollten erhöhte Gesprächsbereitschaften auslösen, jedoch nicht der Aggression oder bloßen Rechthaberei dienen.
Ein Jugendlicher dankte dem teilnehmenden Rechtsanwalt Schnur/Binz6 für dessen »Erläuterungen rechtlicher Möglichkeiten der Verweigerung des Wehrdienstes mit der Waffe«, die »Mut gemacht« haben.
Das »Friedensseminar Königswalde« fand seinen Abschluss mit einem Programm der Sängerin Barbara Thalheim/Berlin.7 Ihre Liedtexte beinhalteten vorwiegend politisch indifferente und tendenziöse Aussagen.
Insgesamt wurde das »Friedensseminar Königswalde« nicht öffentlichkeitswirksam. Alle Veranstaltungen fanden in geschlossenen kirchlichen Räumen statt. Die Teilnehmer waren von den Organisatoren ausgewählt und schriftlich eingeladen worden; erneut wurde eine Anwesenheitsliste geführt.
In Auswertung bisher gewonnener Erkenntnisse zum »Friedensseminar Königswalde« und zum Auftreten des Garstecki wird vorgeschlagen:
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Seitens der zuständigen staatlichen Organe sollte eine wirksame Einflussnahme auf kirchenleitende Amtsträger der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ausgeübt werden mit dem Ziel, künftig den politischen Missbrauch des »Friedensseminars Königswalde« für Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR zu unterbinden und eine innerkirchliche Disziplinierung des Weigel und weiterer Organisatoren dieser Veranstaltung zu erreichen.
Ausgewählte staatliche und gesellschaftliche Kräfte im Einzugsbereich der genannten Veranstaltung sollten in geeigneter Form mobilisiert und befähigt werden, die gezielte politisch-ideologische Auseinandersetzung besonders mit jugendlichen Teilnehmern des »Friedensseminars« in deren Arbeitsstellen zu führen, um künftig den personellen Zulauf zu dieser Veranstaltung einzuschränken und zurückzudrängen.
- 2.
Kirchenleitende Amtsträger und Gremien sollten in geeigneter Form veranlasst werden, ihren Einfluss auf die Organisatoren derartiger Veranstaltungen wie das »Friedensseminar Königswalde« geltend zu machen, damit Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin dazu weder eingeladen werden noch ihren Aufenthalt in der DDR zu einer Teilnahme daran nutzen können.
Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin, zu denen Hinweise vorliegen bzw. bei denen zu erwarten ist, dass sie ihren Aufenthalt in der DDR im Zusammenhang mit der Teilnahme an derartigen Veranstaltungen zu politisch-negativen Aktivitäten zu missbrauchen versuchen, sollte die Einreise in die DDR nicht gestattet werden.
- 3.
Durch den Hauptabteilungsleiter im Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR, Genossen Heinrich,8 sollte in einem Gespräch der Leiter des Sekretariats des BEK in der DDR, Oberkirchenrat Ziegler,9 darüber informiert werden, dass das Auftreten des Referenten für Friedensfragen der Theologischen Studienabteilung beim BEK, Garstecki, auf dem »Friedensseminar Königswalde« nicht den staatlichen Erwartungen entspricht.
Oberkirchenrat Ziegler sollte darauf hingewiesen werden, dass Garstecki mit seinen fortgesetzten Angriffen gegen die Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR dazu beiträgt, besonders kirchlich gebundene Jugendliche zu gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR gerichteten Haltungen sowie Aktionen zu inspirieren, die das Verhältnis Staat – Kirche belasten könnten.
Unter Bezugnahme auf die Tätigkeit des Garstecki beim BEK der DDR sollte die Verantwortung dieses Gremiums für dessen Auftreten, Verhalten und erforderlichen Disziplinierung unterstrichen werden.
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