Friedensseminar in Vipperow und mobiles Friedensseminar
24. August 1985
Information Nr. 360/85 über Inhalt und Verlauf des »Friedensseminars« in Vipperow, [Bezirk] Neubrandenburg und der »Sommerwanderung« (»Mobiles Friedensseminar«) in Rostock und Orten des Bezirkes Schwerin
Im Zeitraum vom 3. bis 11. August 1985 fanden im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs – in Orten des Bezirkes Neubrandenburg sowie in Rostock und in Orten des Bezirkes Schwerin – ein »Friedensseminar«1 des »Friedenskreises« Vipperow,2 [Bezirk] Neubrandenburg bzw. das ursprünglich als »Sommerwanderung« bezeichnete »Mobile Friedensseminar« der »Schalom-Gemeinschaft« Rostock3 aus Anlass des 40. Jahrestages des Atombombenabwurfes auf Hiroshima und Nagasaki4 statt. (Durch das MfS wurde in der Information Nr. 320/85 vom 26. Juli 1985 über geplante Aktivitäten berichtet.)
Die zur vorbeugenden Verhinderung des politischen Missbrauchs der genannten Veranstaltungen durch die zuständigen staatlichen Organe im Zusammenwirken mit dem MfS realisierten umfassenden, differenzierten Maßnahmen, insbesondere die mit kirchenleitenden Personen, Organisatoren der Veranstaltungen, Pfarrern und progressiven Gemeindekirchenratsmitgliedern geführten Gespräche trugen dazu bei, reaktionäre kirchliche und andere feindlich-negative Kräfte in ihren Aktivitäten einzuschränken und die von ihnen angestrebte Öffenlichkeitswirksamkeit zu begrenzen.
Von der Mehrzahl der kirchlichen Amtsträger in den Gesprächen gegebene Zusicherungen, Einfluss auf die Wahrung des religiösen Charakters der Veranstaltungen nehmen zu wollen, wurden von ihnen hauptsächlich im Verantwortungsbereich des Landessuperintendenten Goldenbaum/Rostock5 im Wesentlichen eingehalten. Er erteilte Auflagen gegenüber den Organisatoren und Pfarrern in den Veranstaltungsorten (u. a. verlangte er, keine Provokationen durch ausländische Teilnehmer zuzulassen, untersagte er »Fürbitten«), deren Einhaltung er teilweise persönlich kontrollierte.
Trotz vielfältiger Einflussnahme gelang es jedoch nicht, die Inspiratoren und Organisatoren zum Unterlassen des politischen Missbrauchs beider Veranstaltungen zu veranlassen. Wie bereits auf analogen Zusammenkünften im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs im Jahre 1984 (»Mecklenburger Friedensseminar« – 3. bis 12. August 1984) traten insbesondere solche hinlänglich bekannten Personen wie Heiko Lietz/Güstrow,6 die Pfarrer Gutzeit/Schwarz,7 Kreis Neustrelitz, Meckel/Vipperow8 und Pastorin Misselwitz9 sowie ihr Ehemann10 (beide »Friedenskreis« Berlin-Pankow11) erneut mit feindlich-negativen Auffassungen und zum Teil mit offenen Angriffen gegen den Sozialismus in Erscheinung. Die von ihnen vertretenen Positionen widerspiegeln sich u. a. in einigen schriftlich vorgelegten und Teilnehmern des »Friedensseminars« in Vipperow zur Unterschriftsleistung übergebenen »Arbeitsmaterialien«.
Entsprechend zentraler Festlegungen wurde sieben niederländischen Bürgern, die bereits bei zurückliegenden Aufenthalten in der DDR politisch-negativ in Erscheinung getreten waren und die erneut beabsichtigten, an den Veranstaltungen in den Bezirken Neubrandenburg, Rostock und Schwerin aktiv teilzunehmen, für den Veranstaltungszeitraum die Einreise in die DDR nicht gestattet.
Zu einigen beachtenswerten Aspekten des »Friedensseminars« in Vipperow:
An den Veranstaltungen nahmen insgesamt 83 namentlich bekannte Personen – überwiegend Vertreter von »Friedenskreisen« aus der Hauptstadt der DDR, Berlin (35) und dem Bezirk Neubrandenburg (24) sowie aus den Bezirken Schwerin, Potsdam, Dresden, Leipzig und Cottbus – teil.
Außerdem befanden sich unter den Anwesenden sechs BRD-Bürger, zwei Bürger aus Großbritannien und eine Person aus Westberlin, die erstmalig an einer solchen Zusammenkunft in der DDR teilnahmen.
Der Programmablauf (dezentralisierte Gesprächsgruppen in mehreren Kirchengemeinden des Bezirkes Neubrandenburg, Gedenkveranstaltungen und Gottesdienste) entsprach im Wesentlichen dem geplanten Vorhaben der Organisatoren (siehe Information des MfS Nr. 320/85 vom 26. Juli 1985).
Es wurden Bestrebungen der Initiatoren sichtbar, sogenannte Basisgruppen über den Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs hinausgehend im Sinne einer »staatlich unabhängigen Friedensbewegung« zusammenzuführen und ihre Arbeit zu koordinieren, einheitliche inhaltliche Schwerpunkte für deren weiteres Vorgehen vorzugeben und sie damit zugleich für neue Aktivitäten zu motivieren.
Grundlage für die Diskussion in den dezentralisierten Gesprächsgruppen bildete ein von den Veranstaltern herausgegebenes Arbeitsmaterial, das im Wesentlichen eine Zusammenstellung von Äußerungen feindlich-negativer Kräfte in der DDR, bürgerlichen Politikern, »Friedensforschern«, Historikern und Literaten zu solchen Problemen wie Demokratieverständnis, Abrüstung, Vergangenheitsbewältigung, Ökologie, Emanzipation und Wissenschaftsethik aus westlicher Sicht enthält.12
Es beinhaltet unterschwellig, teilweise religiös verbrämt, Angriffe gegen Teilbereiche der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung.
Charakteristisch vor allem für die Anfangsphase der Arbeit der Gesprächsgruppen waren Erscheinungen der Unzufriedenheit und Resignation bei zahlreichen Teilnehmern, ursächlich bedingt durch gravierende organisatorische Mängel und eine geringe Vorbereitung der Anwesenden.
Die politisch-negativen Inhalte der Diskussionen wurden maßgeblich von den Leitern der Gesprächsgruppen in Schwarz (Pfarrer Gutzeit), Vipperow (Pfarrer Meckel) und in Röbel (Pastorin Misselwitz) sowie von weiteren Mitgliedern des »Friedenskreises« Berlin-Pankow inspiriert. Sie richteten sich hauptsächlich gegen die Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR.
Wiederholt wurde geäußert, die »Abwanderung« der Kräfte aus dem »Bereich der Friedensbewegung« in den »Bereich der Ökologie« führe zur Schwächung der »Friedensarbeit« und die »ökologische Bewegung« verliere durch Einbindung in staatliche Interessen ihre oppositionelle Kraft. Außerdem warnten Teilnehmer vor der »Vereinnahmung und tödlichen Umarmung der Kirche«. Sie argumentierten, zwischen Staat und Kirche gebe es eine Koordinierung zur »Niederhaltung der Friedensbewegung und zur Umfunktionierung der Friedenskreise in Gemeindekreise«.
Im Ergebnis der Diskussion wurden zwei »Arbeitsmaterialien« verabschiedet und den Teilnehmern zugänglich gemacht, deren Entwürfe bereits vor dem »Friedensseminar« von den Initiatoren der Veranstaltung im Zusammenwirken mit feindlich-negativen Kräften aus der Hauptstadt erarbeitet worden waren.
Beide Papiere tragen analog bereits anderer verfasster Materialien auf stattgefundenen überregionalen Treffen und Zusammenkünften im Jahre 1985 den Charakter sogenannter Forderungskataloge, in denen Ziel und Inhalt der weiteren Arbeit der »Basisgruppen« bestimmt werden.
Mit der »Initiative« zur Einführung eines »zivilen Ersatzdienstes« (Anlage 1) wird der Versuch unternommen, die in den zurückliegenden Jahren von feindlich-negativen Kräften erhobenen Forderungen nach Einführung eines »Sozialen Friedensdienstes« (SOFD)13 in modifizierter Form erneut aufzugreifen.
Das Arbeitsmaterial zu »Sicherheitsfragen« (Anlage 2) widerspiegelt die Absicht der Organisatoren, Probleme der sogenannten Friedensarbeit mit der Menschenrechtsproblematik zu verknüpfen und den »Basisgruppen« Orientierungen zur Erweiterung ihrer Wirkungsmöglichkeiten zu geben.
Streng internen Hinweisen zufolge inspirierte ein namentlich bekannter Teilnehmer aus der BRD die Diskussionsgruppe in Vipperow zur Erarbeitung von zwei Briefen, gerichtet an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker,14 und an Bundeskanzler Kohl15 (Anlage 3), in denen der Abschluss eines Vertrages über eine chemiewaffenfreie Zone und einseitige Abrüstungsmaßnahmen gefordert werden.
Die im Zeitraum vom 9. bis 11. August 1985 stattgefundenen Veranstaltungen mit allen Teilnehmern des »Friedensseminars« in Röbel und Vipperow anlässlich des 40. Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki enthielten keine politisch-negativen Aussagen. Ein im Rahmen dieser Veranstaltungen gehaltener Vortrag von Dr. Domke/Potsdam16 zum Thema: »Christlicher Glaube und meine Verantwortung als Wissenschaftler« fand bei den Anwesenden nur geringe Resonanz.
Den Abschluss des »Friedensseminars« bildete ein Gottesdienst am 11. August 1985 in Vipperow.
Am »Mobilen Friedensseminar« der »Schalom-Gemeinschaft« Rostock nahmen 23 namentlich bekannte Personen, darunter je ein Vertreter der Friedenskreise Schwerin,17 Güstrow,18 der Samaritergemeinde Berlin-Friedrichshain19 und der Gethsemanegemeinde Berlin-Prenzlauer Berg20 sowie acht Personen aus nichtsozialistischen Staaten (vier Niederländer, drei BRD-Bürger und ein Westberliner) teil, die von Mitgliedern der »Schalom-Gemeinschaft« auf Geheiß des Initiators des »Friedensseminars«, H. Lietz zu einer privaten Besuchsreise eingeladen worden waren. (Lietz hatte mit 30 Teilnehmern, je 15 aus der DDR und aus dem nichtsozialistischen Ausland gerechnet, um damit dem »Friedensseminar« den Charakter eines sogenannten Ost-West-Treffens zu verleihen. Die Verhinderung der Einreise von weiteren niederländischen Bürgern, die maßgeblich in die Gestaltung des Treffens einbezogen werden sollten, führte zu einer Reduzierung des Programms.)
An einzelnen Veranstaltungen beteiligten sich bis zu 70 Personen, darunter je ein Bürger aus Großbritannien und Schweden.
Im gesamten Veranstaltungszeitraum kam es zu keinen öffentlichkeitswirksamen Handlungen in den Veranstaltungsorten. Die zeitweilige Anwesenheit des Landessuperintendenten Goldenbaum und weiterer kirchlicher Amtsträger bei einzelnen Veranstaltungen wirkte disziplinierend.
Der Gesamtverlauf des »Mobilen Friedensseminars« bestätigte erneut die inspirierende Rolle des H. Lietz als Exponenten politischer Untergrundtätigkeit und lässt seine Absicht erkennen, durch entsprechende Einflussnahme auf die im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs bestehenden »Friedenskreise« ein unter seiner Leitung stehendes Zentrum der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung in den Nordbezirken der DDR zu schaffen.
Alle im Rahmen des »Mobilen Friedensseminars« getätigten Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung, insbesondere auf den durchgeführten Seminaren, wurden im Wesentlichen von Lietz initiiert.
Seine dort getätigten Äußerungen und sein enges Zusammenwirken mit anwesenden Teilnehmern aus nichtsozialistischen Staaten offenbarten seine ausgeprägte feindliche Haltung gegenüber dem Sozialismus.
So erklärte Lietz in seinen einführenden Bemerkungen auf dem Seminar zum Thema »Antikommunismus«, dass der Kommunismus infolge seiner Ziele und vorhandener theoretischer und praktischer Widersprüche – er verwies in diesem Zusammenhang auf das »Aufzwingen kommunistischer Strukturen auf eine unreife Gesellschaft« und auf die konterrevolutionären Ereignisse 1953 in der DDR,21 1956 in der Ungarischen VR22 und 1968 in der ČSSR23 – den Antikommunismus selbst hervorbringe.
Ausgelöst durch diesen Beitrag wurde in der Diskussion die gesellschaftliche Entwicklung in den sozialistischen Staaten diffamiert, erfolgte eine Gleichstellung der USA-Politik in Nicaragua24 mit der Haltung der UdSSR gegenüber Afghanistan.25 Als Fazit der Diskussion wurde eingeschätzt, dass der Kommunismus in Gestalt sozialistischer Staaten selbst den Antikommunismus schüre und jeder Pfarrer und Christ antikommunistische Einstellungen besitze, da der Kommunismus die Religion abschaffen wolle.
Ein britischer und ein schwedischer Bürger (beide waren von Lietz ohne Wissen der Vorbereitungsgruppe eingeladen worden) verlasen vor den Teilnehmern in der Petrikirche in Rostock den Wortlaut eines Aufrufes, der u. a. solche Forderungen enthält wie
- –
»Welt ohne Grenzen, freie Kommunikation und Kontakte zwischen allen Strukturen,
- –
Freiheit und Selbstbestimmung für alle Kriegsdienstverweigerer, uneingeschränktes Recht auf Verweigerung aller Kriegsdienste,
- –
Unterstützung der Entwicklung und des Gebrauchs gewaltfreier Formen der Nationalen Verteidigung,
- –
Entwicklung alternativer Lebensformen«.
Die Genannten beteiligten sich auch an dem Seminar zum Thema »Die Bedeutung des 6. August in seiner Kurz- und Langzeitwirkung«, auf dem Lietz seinen Vorschlag zur Einführung eines »Weltgedenktages« am 6. August erneuerte. Niederländische Teilnehmer informierten, dass dieser Vorschlag bereits verschiedenen Friedensorganisationen und Evangelischen Studentengemeinden in den Niederlanden bekannt sei.
(Intern wurde bekannt, dass Lietz beabsichtigt, die Kontakte zur britischen Friedensbewegung über den am Seminar anwesend gewesenen britischen Bürger auszubauen.)
In einer sogenannten Gesprächsrunde zur Friedensarbeit in Ost und West berichteten ein BRD-Bürger und niederländische Teilnehmer über die Lage und Situation der Friedensbewegung in ihren Ländern. In seinen Ausführungen zur »Friedensarbeit in der DDR« betonte Lietz, sie dürfe nicht nur Fragen der Abrüstung, sondern müsse das »gesamte Umfeld der Menschen« beinhalten.
Als wichtigste Aufgabe nannte er das Tätigwerden von »Basisgruppen« auf solchen Gebieten wie Umwelt, Frauenbewegung, Lebensqualität, Homosexualität und Ähnliches. Danach informierte Lietz über folgende geplante Vorhaben:
- –
Treffen von Vertretern der »Friedenskreise« Güstrow, Schwerin und Rostock im September 1985 mit dem Ziel der Abstimmung gemeinsamer Aktionen,
- –
Durchführung eines weiteren »Mobilen Friedensseminars« im August 1986.
Gegen Ende des »Mobilen Friedensseminars« übten Veranstaltungsteilnehmer heftige Kritik an der Arbeit des Lietz. Sie richtete sich hauptsächlich gegen sein »autoritäres« Verhalten gegenüber Mitgliedern der »Schalom-Gemeinschaft« und gegen seine selbstherrlichen Entscheidungen bezüglich des Inhalts und Ablaufs der Veranstaltungen.
Die niederländischen Teilnehmer kündigten an, nach ihrer Rückkehr bei ihrem Außenministerium und der DDR-Botschaft, Beschwerde wegen der Einreiseverweigerung für sieben niederländische Bürger führen zu wollen. Der schwedische Bürger äußerte die Absicht, in der schwedischen Presse über den Verlauf des Treffens berichten zu wollen.
Nach vorliegenden streng internen Hinweisen schätzte Lietz das »Mobile Friedensseminar« als erfolgreich ein. Er betrachtet sein Zustandekommen und die in diesem Zusammenhang zu ihm persönlich gehaltenen Kontakte seitens kirchenleitender Kräfte als Aufwertung seiner Person und der »Schalom-Gemeinschaft«.
Lietz äußerte die Absicht, den Teilnehmerkreis aus nichtsozialistischen Staaten für das im Jahre 1986 geplante »Mobile Friedensseminar« wesentlich zu erweitern (genannt wurden Vertreter aus Dänemark, Frankreich und Italien). Da er mit »Reisesperren« für »bekannte Personen« rechne, wolle er »bisher Unbekannte« einladen. Entscheidend sei für ihn die »internationale Anerkennung«, um damit auch die »Unantastbarkeit« seiner Person zu sichern. Bei künftigen Seminaren sollen – nach seinen Vorstellungen – nicht mehr vorgegebene Themen, sondern persönliche Gespräche mit den ausländischen Teilnehmern und die Erörterung »kleiner praktischer Aktionen« den Vorrang haben.
Es wird vorgeschlagen:
- 1.
Der Staatssekretär für Kirchenfragen, Genosse Gysi,26 sollte in einem Gespräch mit Bischof Stier27 eine umfassende Auswertung der im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs stattgefundenen Veranstaltungen vornehmen.
Darin sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass einzelne kirchliche Amtsträger und andere Kräfte erneut – entgegen von ihnen gegenüber kirchenleitenden Personen gegebenen Zusicherungen – in kirchlichen Einrichtungen durchgeführte Veranstaltungen politisch missbrauchten und teilweise zu offenen Angriffen gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung nutzten. Konsequent sollten insbesondere die Aktivitäten der Pfarrer Gutzeit/Schwarz und Meckel/Vipperow im Zusammenhang mit ihrer Mitwirkung an der Ausarbeitung und Verbreitung schriftlicher Materialien sowie die von H. Lietz getätigten massiven Angriffe gegen den Sozialismus und die von ihm bewusst begangenen Rechtsverletzungen zurückgewiesen werden.
In diesem Zusammenhang sollte Bischof Stier darauf hingewiesen werden, dass derartige Aktivitäten einzelner Personen im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs zu einer erheblichen Belastung des Verhältnisses Staat – Kirche führen können. Bischof Stier sollte veranlasst werden, eine Weiterverbreitung der auf dem sogenannten Friedensseminar in Vipperow gefertigten schriftlichen Materialien und mögliche Unterschriftensammlungen in seinem Verantwortungsbereich zu unterbinden. Er ist davon zu informieren, dass in diesen Materialien enthaltene Forderungen, insbesondere nach Einführung eines »zivilen Ersatzdienstes« eine grobe Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten darstellen. Außerdem sollte er erneut aufgefordert werden, disziplinierend auf die genannten Personen einzuwirken.
Darüber hinaus sollte Bischof Stier nahegelegt werden, dem H. Lietz das Auftreten und Wirken in kirchlichen Einrichtungen strikt zu untersagen.
Unter Hinweis auf den nicht religiösen Charakter der stattgefundenen »Friedensseminare« sollte Bischof Stier mitgeteilt werden, dass weitere geplante Veranstaltungen ähnlichen Charakters entsprechend der Veranstaltungsverordnung anmelde- und genehmigungspflichtig sind.
- 2.
Analoge Gespräche sollten die Stellvertreter für Inneres der Räte der Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg sowie der Räte der Kreise in den betreffenden Territorien mit den jeweils zuständigen kirchenleitenden Kräften führen, wobei unterstrichen werden sollte, dass eine disziplinierende Einflussnahme auf die genannten kirchlichen Amtsträger seitens kirchenleitender Personen die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den zuständigen staatlichen Organen fördern würde.
- 3.
Durch das VPKA Güstrow, Sachgebiet Erlaubniswesen, sollte H. Lietz vorgeladen werden. Unter Hinweis auf den nicht religiösen Charakter des »Mobilen Friedensseminars« müsste ihm die Verletzung von Rechtsvorschriften der DDR, insbesondere der Veranstaltungsverordnung28 vorgehalten werden. In diesem Zusammenhang sollte er aktenkundig belehrt werden, dass derartige Veranstaltungen anmelde- und genehmigungspflichtig sind.
- 4.
Zur weiteren offensiven politischen Auseinandersetzung mit den namentlich identifizierten Teilnehmern am »Friedensseminar« des »Friedenskreises« Vipperow sollten durch die zuständigen staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen bzw. Betriebe differenzierte Gespräche erfolgen.
- 5.
Der Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Hauptstadt der DDR, Berlin, für Inneres, Genosse Hoffmann,29 sollte Generalsuperintendent Krusche/Berlin30 über das feindlich-negative Wirken von Mitgliedern des »Friedenskreises« Berlin-Pankow, insbesondere des Ehepaares Misselwitz, auf dem »Friedensseminar« des »Friedenskreises« Vipperow informieren, verbunden mit der Aufforderung, disziplinierend auf diese Kräfte einzuwirken. Außerdem sollte Generalsuperintendent Krusche nahegelegt werden, Einfluss dahingehend zu nehmen, dass kirchliche Amtsträger der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg nicht in Bereichen anderer Landeskirchen wirksam werden.
- 6.
Gegen die mit politisch-negativen Aktivitäten auf den Veranstaltungen in Erscheinung getretenen Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland sollte Reisesperre verfügt werden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage 1 zur Information Nr. 360/85
Initiative für einen zivilen Ersatzdienst
»1. Wir fordern die Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes31 dringend auf, … 1.9. sich gegen Diskriminierung von Waffendienstverweigerern aus Glaubens- und Gewissensgründen zu wenden und bei ihren Regierungen darauf zu drängen, dass eine solche Verweigerung gesetzlich anerkannt und ein Zivildienst eingerichtet wird, …«
(Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes, Budapest 1984)
Liebe Freunde!
Die Möglichkeit eines waffenlosen Dienstes in den Baueinheiten der NVA stellt für uns, aufgrund der indirekten und der direkten Mitarbeit an militärischen Projekten, keine vertretbare Alternative zum Wehrdienst dar.32 Menschen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern, ihn in seinen bestehenden Formen ablehnen, dürfen nicht kriminalisiert werden, sondern müssen durch die Schaffung eines zivilen Ersatzdienstes die Möglichkeit erhalten, im sozialen Bereich konstruktiv einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Wir betrachten vorhergegangene Initiativen zur Schaffung eines sozialen Friedensdienstes nicht als abgeschlossen, sondern meinen, dass ein langfristiger Dialog bis zu einer Lösung dieser Frage notwendig ist.
Wir möchten Euch bitten, Euch aktiv für folgende Forderung einzusetzen:
Ziviler Ersatzdienst
Als gleichberechtigte Alternative zum Wehrdienst wird ein ziviler Ersatzdienst, als Möglichkeit für jeden Wehrpflichtigen, frei von jeglicher Gewissensprüfung oder ähnlichen Verfahren eingerichtet. Der Zivildienstleistende untersteht, ausgenommen Erfassung und Musterung, nicht dem Ministerium für Nationale Verteidigung. Die Entscheidung über Einsatzzeit, Einsatzort und die Einberufung erfolgt über die zuständigen Stellen im Bereich des Ministeriums für Gesundheitswesen. Dieses Recht darf im Falle einer Mobilmachung nicht außer Kraft gesetzt werden.
Einsatz: erfolgt an sozialen Schwerpunkten wie:
- –
Heimbetreuung (Kinderheime, Altersheime, Pflegeheime, Heime für körperlich und geistig Behinderte)
- –
Hilfsdienste in Krankenhäusern
- –
Sozialfürsorge (Suchtkranke, Jugendhilfe, Resozialisierung)
- –
Volkssolidarität
- –
der Bereich Umweltschutz ist daraufhin zu prüfen.
Dienstzeit: Kann auf 24 Monate festgelegt werden (als zeichenhafte Vorgabe des eigenen Friedenswillens und als Schwelle für »Drückeberger«).
Rechte: Der Zivildienstleistende genießt die gleichen Rechte wie der Wehrdienstleistende (z. B. Versicherung, Entlohnung, Urlaub, Erhalt des früheren Arbeitsplatzes).
Unterbringung: Eine Kasernierung kann vorgesehen werden, um einseitige »Heimschlafvorteile« zu vermeiden.
Ausbildung: Es erfolgt keine Ausbildung mit militärischem Charakter.
Es erfolgt eine spezifische Grundausbildung, dem Einsatzbereich entsprechend.
Zielsetzung: Entlastung von Fachkräften für ihre eigentlichen Aufgaben. Entlastung von Familienvätern und -müttern von Nacht- und Wochenenddiensten.
Wenn Ihr Euch dieser Initiative anschließen könnt, dann stellt bitte die Forderung an Eure Kirchenleitung, sich aktiv für einen zivilen Ersatzdienst einzusetzen und den Dialog über diese Problematik nicht abreißen zu lassen.
Arbeitskreis »Gesellschaft« des Friedens- und Umweltkreises der Pfarr- und Glaubensgemeinschaft Berlin33
Im August 1985 trafen sich in Gemeinden Mecklenburgs engagierte Menschen aus verschiedenen Teilen der DDR zum 4. Mobilen Friedensseminar »Leben in Verantwortung«.
Wir, die Teilnehmer einer Arbeitsgruppe zu Fragen der Sicherheitspolitik diskutieren in diesem Zusammenhang auch über Alternativen zum bestehenden Wehrdienst. Wir begrüßen und unterstützen diese Initiative zur Schaffung eines zivilen Ersatzdienstes.
Anlage 2 zur Information Nr. 360/85
4. Mobiles Friedensseminar »Leben in Verantwortung«
Bericht der Arbeitsgruppe zu Sicherheitsfragen in Schwarz
Das Gefühl, dass wir gegen die Perversion unserer Welt etwas tun müssen, hat uns zusammengeführt. Rüstungswettlauf, Umweltzerstörung, Hunger in der Zwei-Drittel-Welt, soziale Verelendung vieler Menschen verdichten sich zu einem Komplex von Problemen, der allmählich die Lebensgrundlagen der Menschheit untergräbt.
Wir stellten fest, dass wir in einer Welt leben, die von einem ganzen Netz von Ängsten durchzogen ist: einerseits Ängsten, die verursacht sind durch diese globalen Gefahren, andererseits Ängsten, die uns als Bürger dieses Staates hindern, unsere Verantwortung für die Abwendung dieser Gefahren zu erkennen und wahrzunehmen.
Wir fühlen uns bedroht
- –
von der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft;
- –
von Tendenzen, das System der Abschreckung durch militärische Überlegenheit zu überwinden. Wir haben festgestellt, dass die USA zurzeit auf der Ebene der Rüstungspolitik den aggressiveren Kurs verfolgt. Wir haben aber auch festgestellt, dass die Sowjetunion ihr Handeln nach derselben unsinnigen Logik ausrichtet.
- –
Die Hemmschwelle für die Führung eines Atomkrieges wird herabgesetzt. Eine Rolle dabei spielen: zielgenaue Waffen mit Erstschlagsfähigkeit, Pläne für Abwehrsysteme gegen ballistische Raketen (SDI),34 Antisatellitenwaffen. Als Ergebnis dieser Entwicklung könnten Atomwaffen zu einem Mittel der Politik werden. Die militärisch überlegene Seite hätte dann die Möglichkeit, die andere Seite politisch zu erpressen, da als Antwort auf den Einsatz ihrer Atomwaffen ein vernichtender Zweitschlag nicht mehr möglich wäre.
Mechanismen der Entmündigung:
Bei der Analyse unserer Situation erkannten wir gesellschaftliche Strukturen und Haltungen, die verantwortliches Handeln des Einzelnen hemmen. Als solche stellten wir fest:
- –
ungenügende Möglichkeiten, politische Entscheidungen zu beeinflussen;
- –
Mangel an öffentlicher Diskussion;
- –
Benachteiligung von Andersdenkenden;
- –
eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten zu Bürgern anderer Staaten;
- –
Beschränkung des Zugangs zu Information (z. B. im Bereich Umweltschutz);35
- –
Mangel an Dialogbereitschaft in unserer Gesellschaft.
Trotz dieser Mechanismen ist der Einzelne nicht seiner Verantwortung enthoben. Zu unserer größten Angst, der Angst vor der Vernichtung, kommen die Ängste und Zwänge, die unser verantwortungsvolles Handeln hemmen. Zur Überwindung dieser Ängste ist es notwendig, diese konkret anzusprechen und ihre Ursachen zu benennen. Angst darf uns nicht lähmen, sondern muss uns zu verantwortlichem Handeln bewegen.
Was können wir tun? – Möglichkeiten:
- –
gegebene Spielräume müssen ausgenutzt werden (z. B. Besuch gesellschaftlicher Veranstaltungen wie Vorträge, Diskussionsforen in Jugendklubs, Wahlversammlungen usw.), Eingaben;
- –
Konflikten in der gesellschaftlichen Umwelt (Betrieb, Schule) darf nicht ausgewichen werden;
- –
Ängsten vor den Konsequenzen verantwortlichen Handelns wird entgegengewirkt, wenn sich Gleichgesinnte zu Gruppen und Beistandsgemeinschaften zusammenfinden. Beistandsgemeinschaften können Friedens-, Umwelt-, Dritte-Welt-Gruppen, Junge Gemeinden oder auch andere Gruppen sein. Sie schützen den Einzelnen in persönlichen Krisenfällen und vermitteln ihm ein Selbstwertgefühl (Ich werde gebraucht!).
- –
Die Kommunikation zwischen verschiedenen Gruppen und auch Einzelnen muss weiterentwickelt werden. Gegenseitige Information ist Dienst aneinander.
- –
Friedenskreise und andere Gruppen können Anstöße geben und durch Veranstaltungen Raum für die öffentliche Diskussion schaffen.
- –
Die Verweigerung ist eine legitime Möglichkeit verantwortlichen Handelns. (Verweigerung des Waffendienstes in der NVA, der GST, des Wehrunterrichts in den Schulen36 und der Zivilverteidigung, sofern sie den vermeintlichen Schutz im Atomkrieg betrifft.)
Im Verlauf der Diskussion sprachen wir auch über Schritte, die den Prozess der Entspannung und Abrüstung und unser eigenes Friedensengagement fördern können. Als Ergebnis dieser Gespräche formulieren wir folgende Forderungen:
- –
Die Mechanismen der Entmündigung müssen abgebaut werden. Das heißt:
- •
Informationen über die Rüstungsproblematik und andere Problembereiche werden allen zugänglich gemacht (z. B. Angaben über die eigene Rüstung);
- •
Die Kontaktmöglichkeiten zu anderen Völkern werden verbessert;
- •
In der Verfassung garantierte Rechte wie Meinungsfreiheit und Gewissensfreiheit müssen durchgesetzt werden;
- •
- –
Feindbilder müssen abgebaut werden (in der Erziehung von Schule und Kindergarten);
- –
Abschaffung des Kriegsspielzeuges;
- –
keine Bevorzugung von Leuten in militärischen Berufen;
- –
keine Benachteiligung von Andersdenkenden (z. B. Waffendienstverweigerern);
- –
Abschaffung des Wehrunterrichtes und Einführung einer Friedenserziehung mit dem Ziel der Einübungsgewalt freier Konfliktbewältigung;
- –
Einführung eines zivilen Ersatzdienstes;
- –
einseitige vertrauensbildende Maßnahmen mit dem Ziel, Geist und Logik der Abschreckung zu durchbrechen.
- –
Ein wirksamer Schutz der Zivilbevölkerung ist im Atomkrieg nicht mehr möglich. Deshalb lehnen wir den Zivilschutz als eine Vorbereitung auf den Atomkrieg und als Suggerierung falscher Tatsachen ab.
Schritte und Maßnahmen, die unserer Meinung nach diskutiert werden sollten:
- –
Beide deutsche Staaten sollten darauf hinarbeiten, ihr Territorium in eine von atomaren, biologischen und chemischen Waffen freie Zone zu verwandeln. In diesem Zusammenhang unterstützen wir auch einseitige Schritte;
- –
eine Umstellung der Militärdoktrinen auf defensive Verteidigung;
- –
eine Verringerung der Dauer des Wehrdienstes in der DDR auf 15 Monate zu einer Zeit, in der in der BRD eine Verlängerung des Wehrdienstes auf 18 Monate diskutiert wird.
Initiativen, die wir unterstützen sind:
- –
die Bereitschaft der DDR-Regierung, ihr ganzes Territorium für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa zur Verfügung zu stellen;
- –
der Vorschlag der UdSSR, die nuklearen Rüstungen einzufrieren;
- –
die Gespräche von SED und SPD zur Schaffung einer von chemischen Waffen freien Zone;37
- –
den von der UdSSR verkündeten, zeitlich begrenzten Stopp von Atomtestexplosionen.38
Die Gespräche in diesen Tagen haben uns die Gefahren, die uns bedrohen, klar vor Augen geführt. Wir können uns mit diesen Gefahren nicht abfinden, sondern müssen einander helfen, ihnen entschieden entgegenzutreten. Auch wenn sich die Bemühungen für den Frieden als ein langwieriger Prozess zeigen: Wir wollen nicht resignieren!
Anlage 3 zur Information Nr. 360/85
Briefe an Erich Honecker und Helmut Kohl
Sehr geehrter Herr Staatsratsvorsitzender!
Wir sind Teilnehmer eines von der eines von der Evangelischen Kirche organisierten Friedensseminars, das vom 3. bis 11.8.1985 in Mecklenburg stattfand.
Mit großer Aufmerksamkeit haben wir das vorläufige Ergebnis der Verhandlungen von Delegationen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands über die Möglichkeiten eines Vertrages über eine chemiewaffenfreie Zone in Europa zur Kenntnis genommen.
Die bisherigen Erfahrungen solcher Verhandlungen lassen aber auch die Befürchtung zu, dass es bei diesem Stand bleibt.
Im Interesse aller und auch in unserem Interesse liegt es, aus den Verhandlungsergebnissen heraus einen Vertrag über eine chemiewaffenfreie Zone zu entwickeln und zu unterzeichnen, die zumindest die Länder Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik und Tschechoslowakische Sozialistische Republik umfasst.
Diesem Vertrag sollten sich in der Folge auch andere Staaten anschließen.
In diesem Zusammenhang sind wir der Meinung, dass auch, um die Verhandlungen über den Vertragsentwurf nicht zusätzlich zu erschweren, von Ihrem Staat auch einseitig ein Stopp der Neuaufstellung und Verbesserung der vom Territorium der Deutschen Demokratischen Republik lagernden Waffen sofort zu verkünden und durchzuführen.
Sollte aber in absehbarer Zeit ein solcher zwischen den beiden Delegationen erarbeiteter Vertrag nicht abgeschlossen werden, so halten wir es für dringend erforderlich, dass Ihre Regierung ab Januar 1987 als einseitige Maßnahmen das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zur chemiewaffenfreien Zone erklärt und die entsprechenden Maßnahmen einleitet.
Durch eine solche Maßnahme entstünde nach unserer Auffassung kein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik, vielmehr würde ein bestehendes enormes Sicherheitsrisiko beseitigt.
Wir bitten Sie, uns über die weiteren Initiativen Ihrer Regierung zu informieren.
Mit vorzüglicher Hochachtung und in großer Sorge
Die Teilnehmer des Mobilen Friedensseminars 1985
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!
Wir sind Teilnehmer eines kirchlichen Friedensseminars, das vom 3. bis 11.8.1985 in Mecklenburg stattfand.
Wir haben in dieser Zeit die lebensbedrohlichen Probleme, die sich immer wieder weiter fortsetzende Aufrüstung besprochen.
In diesem Zusammenhang haben wir mit großer Aufmerksamkeit das vorläufige Ergebnis der Verhandlungen von Delegationen der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands über die Möglichkeiten eines Vertrages über eine chemiewaffenfreie Zone in Europa zur Kenntnis genommen.
Mit diesem Schreiben wenden wir uns als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik an Sie mit der dringenden Aufforderung, diese Initiative der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aufzugreifen.
In diesem Zusammenhang sind wir der Meinung, dass auch, um die Verhandlungen über den Vertragsentwurf nicht zusätzlich zu erschweren, von Ihrem Staat auch einseitig ein Stopp der Neuaufstellung und Verbesserung der vom Territorium der Bundesrepublik Deutschland lagernden Waffen sofort zu verkünden und durchzuführen.
Sollte aber in absehbarer Zeit ein solcher zwischen den beiden Delegationen erarbeiteter Vertrag nicht abgeschlossen werden, so halten wir es für dringend erforderlich, dass Ihre Regierung ab Januar 1987 als einseitige Maßnahmen das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zur chemiewaffenfreien Zone erklärt und die entsprechenden Maßnahmen einleitet.
Durch eine solche Maßnahme entstünde nach unserer Auffassung kein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, vielmehr würde ein bestehendes enormes Sicherheitsrisiko beseitigt.
Wir bitten Sie, uns über die weiteren Initiativen, Ihrer Regierung zu informieren.
Mit vorzüglicher Hochachtung und in großer Sorge
Die Teilnehmer des Mobilen Friedensseminars 1985