Geplante feindliche Aktivitäten zum Jahrestag der Atombombenabwürfe
26. Juli 1985
Information Nr. 320/85 über geplante feindlich-negative Aktivitäten anlässlich des 40. Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki
Nach dem MfS vorliegenden internen Hinweisen beabsichtigen reaktionäre kirchliche und andere feindlich-negative Kräfte im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs in den Bezirken Rostock, Schwerin und Neubrandenburg im Zeitraum vom 3. bis 11. August 1985 ein »Friedensseminar« bzw. eine »Sommerwanderung« in Anlehnung an bereits in den zurückliegenden Jahren organisierte Veranstaltungen ähnlichen Charakters durchzuführen.1 Anlass hierfür ist der 40. Jahrestag des Atombombenabwurfes auf Hiroshima und Nagasaki.2 Auf diesbezüglichen Veranstaltungen der Vorjahre traten die Organisatoren und Teilnehmer wiederholt mit Angriffen gegen die Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR in Erscheinung.
Im Einzelnen liegen folgende Hinweise zu den geplanten Aktivitäten vor:
Der »Friedenskreis« Vipperow,3 Kreis Röbel, plant unter dem Motto »… Und leben in Verantwortung – wir haben die Erde nicht geerbt von den Vätern, sondern geborgt von den Kindern« in der Zeit vom 3. bis 11. August 1985 die Durchführung eines »Friedensseminars« – bestehend aus Gesprächsrunden, Gedenkveranstaltungen und Gottesdiensten – in mehreren Kirchengemeinden des Kreises Röbel sowie in einzelnen Kirchengemeinden der Kreise Malchin, Neustrelitz und Waren (alle Bezirk Neubrandenburg), verbunden mit einer Abschlussveranstaltung am 10./11. August 1985 in Vipperow.
Zu den Initiatoren und Organisatoren zählen die durch die Organisierung feindlich-negativer Aktivitäten hinlänglich bekannten Pfarrer Meckel/Vipperow,4 Pfarrer Gutzeit/Schwarz5 und Pfarrer Hübener/Rambow.6
Für die Teilnahme an dem geplanten »Friedensseminar« warben die Organisatoren auf kirchlichen Veranstaltungen. Darüber hinaus wurden Einladungen an sogenannte Friedensarbeitskreise in Magdeburg, Leipzig, Brandenburg und der Hauptstadt der DDR, Berlin, versandt. Zur Täuschung der staatlichen Organe fungierte als Einlader die evangelische Kirchengemeinde Vipperow. Die Veranstalter rechnen mit ca. 120 Teilnehmern, darunter mit dem Liedermacher Bomberg/Berlin7 und mit Pastorin Misselwitz/Berlin8 (»Friedensarbeitskreis« Berlin-Pankow9).
Außerdem sollen – wie in den Vorjahren – Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland, insbesondere aus den Niederlanden und aus den BRD-Partnergemeinden, eingeladen worden sein.
Es ist vorgesehen, dass im Zeitraum vom 3. bis 9. August 1985 in den Kirchengemeinden Röbel, Wredenhagen, Satow, Grüssow, Schwarz, Rambow, Levin und Vipperow Gruppen von jeweils 10 bis 15 Teilnehmern gebildet werden, die sich in sogenannten Gesprächsrunden mit solchen Themen wie »Sicherheitsfragen«, »Umwelt« und »Dritte Welt« beschäftigen.
Außerdem soll zu einer von den Pfarrern Meckel und Gutzeit verfassten und an die Frühjahrssynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs gerichteten Eingabe zum Thema »8. Mai 1945 – unsere Verantwortung für den Frieden und unsere Schuld« (sie beinhaltet u. a. Probleme des Umgangs mit Feindbildern und der »Anpassung und der Angst als lähmende Faktoren des Denkens und Handelns«) Stellung genommen werden.10
Am 9. August 1985 sollen sich alle Gruppen zu einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Atombombenabwurfes in Röbel versammeln und sich danach zu den Abschlussveranstaltungen nach Vipperow (10./11. August 1985) begeben.
Die »Schalom-Gemeinschaft« Rostock11 (im Frühjahr 1984 als Nachfolger des ehemaligen »Friedensarbeitskreises« Rostock, Nord-West gebildet) beabsichtigt, im Zeitraum vom 4. bis 11. August 1985 eine sogenannte Sommerwanderung, beginnend in Rostock und weiterführend in einige Orte des Bezirkes Schwerin, durchzuführen.
Initiatoren dieses Vorhabens sind der zu den Exponenten politischer Untergrundtätigkeit zählen der ehemalige Diakon Heiko Lietz/Güstrow12 sowie Pfarrer Bindemann/Rostock.13 Auch zu dieser Veranstaltung sollen Einladungen zur Teilnahme an Personen aus den Niederlanden und der BRD ergangen sein.
Der Ablaufplan sieht vor, dass im Zeitraum vom 4. bis 6. August 1985 in kirchlichen Einrichtungen in Rostock thematische Veranstaltungen (Gesprächsrunden, Seminare), u. a. zu den Themen »Antikommunismus als friedensgefährdender Faktor«, »Die Bedeutung des 6. August in seiner Kurz- und Langzeitwirkung« sowie ein Arbeitseinsatz, eine Wanderung nach Kessin, [Bezirk] Rostock und Gemeindeabende stattfinden.
Für die Zeit vom 8. bis 10. August 1985 ist die Wanderung in mehrere Orte des Kreises Bützow, [Bezirk] Schwerin vorgesehen, in denen die sogenannte thematische Arbeit fortgesetzt werden soll.
Für den 11. August 1985 ist ein Abschlussgottesdienst in der Kirchengemeinde Bernitt, [Kreis] Bützow beabsichtigt.
Zur vorbeugenden Verhinderung des politischen Missbrauchs der genannten Veranstaltungen wurden in Abstimmung mit dem MfS durch die Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke und Kreise für Inneres sowie weitere verantwortliche Mitarbeiter der Abteilungen Inneres in den betreffenden Territorien unter Einbeziehung von Bürgermeistern der Veranstaltungsorte Gespräche mit kirchenleitenden Personen, mit den Organisatoren der Veranstaltungen und mit Pfarrern der betreffenden Kirchengemeinden geführt, in denen die staatliche Erwartungshaltung zum Ausdruck gebracht wurde.
Gleichzeitig wurden die Gespräche erneut zum Anlass genommen, den kirchlichen Amtsträgern nahezulegen, disziplinierend gegenüber reaktionären kirchlichen Kräften in ihrem Amtsbereich zu wirken. (Intern wurde bekannt, dass Landessuperintendent Goldenbaum/Rostock14 zwei Pfarrer beauftragte, die Aktivitäten des Heiko Lietz zu kontrollieren. Außerdem untersagte er sogenannte Fürbitten im Rahmen von Veranstaltungen der »Sommerwanderung«.)
Entsprechende Maßnahmen zur Kontrolle der Veranstaltungen und zur Verhinderung der Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden eingeleitet.
Über die bisherigen Maßnahmen hinausgehend wird vorgeschlagen, bekanntwerdenden ausländischen Teilnehmern am »Friedensseminar« und an der »Sommerwanderung«, die bereits bei zurückliegenden Aufenthalten in der DDR politisch-negativ in Erscheinung getreten sind, für den Zeitraum vom 2. bis 11. August 1985 die Einreise in die DDR nicht zu gestatten.
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