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Geplantes blockübergreifendes Friedenswochenende in Berlin

23. September 1985
Information Nr. 399/85 über ein geplantes sogenanntes blockübergreifendes Friedenswochenende mit Beteiligung gegnerischer und feindlich-negativer Kräfte in der Hauptstadt der DDR, Berlin

[Faksimile vom Deckblatt zu Information 399/85]

Nach dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen planen Exponenten politischer Untergrundtätigkeit in der DDR im Zusammenwirken mit gegnerischen Kräften aus der BRD und Westberlin am 28. und 29. September 1985 in kirchlichen Räumen der evangelischen Sophiengemeinde in der Hauptstadt der DDR, Berlin, ein als »Friedenswochenende« deklariertes sogenanntes blockübergreifendes1 Seminar durchzuführen.

Als Hauptorganisatoren fungieren der wegen seiner feindlich-negativen Aktivitäten hinlänglich bekannte Pfarrer Eppelmann2 (Berlin) und der als Dozent für Konflikt- und Friedensforschung an der »Freien Universität« Westberlin tätige Professor Ulrich Albrecht.3

Ausgehend von einer Forderung Albrechts, das »Seminar« müsse politischen Charakter tragen und mit konkreten Festlegungen abgeschlossen werden, sollen folgende thematische Schwerpunkte in den Mittelpunkt der geplanten Beratung gestellt werden:

»Ost-West-Dialog (reale Einflussmöglichkeiten – irreale Partnerschaften)«; »Die deutsche Verantwortung«; »Friedensbewegung und Entspannung (Perspektive und Strategie)«; »Pazifismus und soziale Verantwortung«; »Atompazifismus«. Albrecht verfolge – nach eigenen Äußerungen – mit dem »Seminar« die Absicht, der »Friedensbewegung« einen »anderen Inhalt« zu geben, vom einseitigen inhaltlichen Schwerpunkt »Abrüstung« deutlicher auf das Problem »soziale Verteidigung« zu orientieren.

In Vorbereitung des »Seminars« wurde von Pfarrer Eppelmann ein Programmentwurf vorbereitet (Anlage 1).

Eppelmann zeichnete auch verantwortlich für die Einladung von vorgesehenen Teilnehmern (ca. 50) aus der BRD und Westberlin (Anlage 2), darunter die ehemaligen Regierenden Bürgermeister von Westberlin, Pfarrer Heinrich Albertz4 und Dietrich Stobbe,5 die Bundestagsabgeordneten der Partei »Die Grünen« der BRD, Petra Kelly6 und Dr. Henning Schierholz,7 und von Teilnehmern aus der DDR. Bei Letzteren handelt es sich fast ausschließlich um Exponenten politischer Untergrundtätigkeit wie Bärbel Bohley,8 Martin Böttger,9 Heiko Lietz10 und Gerd Poppe.11 Die vorgesehene Teilnahme des Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Becker,12 von Altbischof Schönherr13 und Rechtsanwalt Schnur14 ist als Alibifunktion zu betrachten.

Nach weiter vorliegenden Hinweisen beabsichtigt Pfarrer Eppelmann, den in der DDR akkreditierten Korrespondenten des Evangelischen Pressedienstes Westberlin (epd), Röder,15 über Verlauf und Ergebnisse des »Seminars« in Kenntnis zu setzen, um entsprechende Veröffentlichungen in westlichen Massenmedien zu erreichen. Geplant sei ferner eine Veröffentlichung im Pressedienst der Partei »Die Grünen« der BRD.

Wie weiter bekannt wurde, hat das norwegische Fernsehen (NRK) in Realisierung eines »Eurovisions-Vorhabens« zum UNO-»Jahr des Friedens«16 beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR einen Antrag zur Realisierung von Filmaufnahmen vom »Friedenswochenende« eingereicht.

(In Abstimmung mit dem Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR und der Abteilung Kirchenfragen beim ZK der SED wurde diesem journalistischen Vorhaben nicht zugestimmt.)

Zur vorbeugenden Verhinderung des politischen Missbrauchs des sogenannten Friedenswochenendes wird vorgeschlagen:

  • 1.

    Der Abteilungsleiter im Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR, Dr. Wilke,17 sollte in einem Gespräch Generalsuperintendent Krusche/Berlin18 mit Nachdruck auffordern, seinen persönlichen Einfluss geltend zu machen, damit die in kirchlichen Einrichtungen durchgeführte Veranstaltung nicht politisch missbraucht werden kann.

  • 2.

    Mit dem Ziel der persönlichen positiven Einflussnahme auf Teilnehmer der geplanten Veranstaltung und dem Verhindern eines möglichen politischen Missbrauchs dieser Veranstaltung sollte in Gesprächen mit Altbischof Schönherr (durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR) und mit Präses Becker (durch die Akademie der Wissenschaften der DDR) die diesbezügliche staatliche Erwartungshaltung erläutert werden.

  • 3.

    Gegen die in der Anlage 2 aufgeführten Personen Prof. Ulrich Albrecht, Ingrid Moest,19 Hilde Schramm20 und Albert Statz21 sollten für den Zeitraum vom 26. bis 30. September 1985 Einreisesperrmaßnahmen in die DDR einschließlich der Hauptstadt, Berlin, verfügt werden.

Durch das MfS sind mit dem Ziel der vorbeugenden Verhinderung des politischen Missbrauchs komplexe Maßnahmen zur weiteren Aufklärung im Zusammenhang mit dem genannten »Friedenswochenende« stehenden Plänen und Absichten von Organisatoren und möglichen Teilnehmern sowie darüber hinaus zur Erarbeitung von Informationen über Verlauf und Ergebnisse dieser Veranstaltung eingeleitet.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!

Anlage 1 zur Information Nr. 399/85

Programmentwurf zum »Friedenswochenende«

Sonnabend, der 28.9.1985

9.00 Uhr:

  • 1.

    Begrüßung und Einleitung

  • 2.

    Kurzreferat

  • 3.

    Plenum

  • 11.00 Uhr: Tagung der Arbeitsgruppen entsprechend den Vorstellungen der westlichen Seite mit folgenden Themenvorschlägen:

    • 1. Welt- und Blockpolitik,

    • 2. Die deutsche Verantwortung,

    • 3. Was man im Lande machen kann.

  • 12.30 Uhr: Mittagessen

  • 14.00 Uhr: Fortsetzung der Gruppenarbeit

  • 17.30 Uhr: Plenum mit Zwischenberichten

  • 18.00 Uhr: Ende der inhaltlichen Veranstaltung am Sonnabend

  • 20.00 Uhr: voraussichtlicher Auftritt eines Liedermachers

Nach dem offiziellen Abschluss der Veranstaltung am Sonnabend soll die Möglichkeit von individuellen Absprachen bis gegen 23.00 Uhr in den Räumlichkeiten der Gemeinde ermöglicht werden.

Sonntag, der 29.9.1985

  • 10.00 Uhr: Gottesdienst mit Predigt (Eppelmann), anschließend Kaffeetrinken mit der Gemeinde

  • 12.00 Uhr: Mittagessen

  • 13.00 Uhr: Fortsetzung der Gruppenarbeit

  • 15.30 Uhr: Kaffeepause

  • 16.00 Uhr: Plenum mit Vorschlägen und Verabredungen

  • 18.00 Uhr: Ende der Veranstaltung

Anlage 2 zur Information Nr. 399/85

Bisher bekannt gewordene eingeladene Teilnehmer aus der BRD und Westberlin

  • 1.

    Albertz, Heinrich (70), Westberlin, Pfarrer, ehemaliger Regierender Bürgermeister von Westberlin

  • 2.

    Prof. Dr. theol. Gollwitzer, Helmut (76), Westberlin, Mitglied des PEN-Zentrums der BRD

  • 3.

    Prof. Dr. phil. Jungk, Robert (72), Wien/Österreich und Westberlin, freischaffender Schriftsteller, »Friedensforscher«, Mitglied des PEN-Zentrums der BRD

  • 4.

    Kelly, Petra (38), Nürnberg, Bundestagsabgeordnete der »Grünen«

  • 5.

    Scharf, Kurt (83), Westberlin, Altbischof

  • 6.

    Dr. Schierholz, Henning (36), Hannover, Bundestagsabgeordneter der »Grünen« und »deutschlandpolitischer« Sprecher der Bundestagsfraktion der »Grünen«, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Forschung und Technologie

  • 7.

    Stobbe, Dietrich (47), Westberlin, ehemaliger Regierender Bürgermeister von Westberlin, Mitglied des Bundestages/SPD

  • 8.

    Prof. Dr. Albrecht, Ulrich (44), Westberlin, Vizepräsident der »Freien Universität« Westberlin und Dozent im Fachbereich »Politische Wissenschaft«, »Friedensforscher« und exponierter Vertreter der »blockübergreifenden Friedensbewegung«

  • 9.

    Moest, Ingrid (31), Westberlin, Kontaktpartnerin zu Pfarrer Eppelmann

  • 10.

    Schramm, Hilde (49), Westberlin, Privatdozentin, Mitglied der AL Westberlin und Redaktionsmitglied der »Berliner Friedenszeitung (FRIZ)«

  • 11.

    Statz, Albert (39), Westberlin, »Friedensforscher«, Mitglied der AG »Westeuropäische Friedenspolitik« im Fachbereich »Politische Wissenschaft« an der »Freien Universität« Westberlin, Mitglied der AL Westberlin

  1. Zum nächsten Dokument Reaktion der Bevölkerung zum Treffen Honecker– Willy Brandt

    23. September 1985
    Erste Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf das Treffen des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, mit dem Vorsitzenden der SPD, Willy Brandt [O/149]

  2. Zum vorherigen Dokument Einnahmen Mindestumtausch, 9.–15.9.1985

    18. September 1985
    Information Nr. 389/85 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 9. September 1985 bis 15. September 1985