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Herbstsynoden Greifswald und Anhalt

18. November 1985
Information Nr. 468/85 über die Herbstsynoden der Evangelischen Landeskirche Greifswald (31.10. bis 3.11.1985 in Züssow) und der Evangelischen Landeskirche Anhalts (1. bis 2.11.1985 in Dessau)

Die 9. ordentliche Tagung der VII. Landessynode der Evangelischen Landeskirche Greifswald fand in der Zeit vom 31.10. bis 3.11.1985 in Züssow statt. Es nahmen 67 der 77 gewählten und berufenen Synodalen teil.

Teilnehmer aus der BRD waren Vertreter der Bremischen Evangelischen Kirche, der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und der Westfälischen Evangelischen Kirche.

Landeskirchenrat Markert/Bielefeld/BRD1 betonte in seiner Ansprache die »Gemeinschaft« der Evangelischen Landeskirche Greifswald und der Westfälischen Evangelischen Kirche innerhalb der Evangelischen Kirche der Union2 und hob die Notwendigkeit ihres weiteren Ausbaus hervor.

Vertreter westlicher Massenmedien nahmen an der Synodaltagung nicht teil.

Im Mittelpunkt der Beratungen der Synode standen die Berichte des Präsidiums der Landessynode, der Kirchenleitung, des Bischofs der Landeskirche, Gienke,3 der Bericht über den Verlauf und die Ergebnisse der Tagung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR (September 1985) sowie ein Bericht der Evangelischen Studentengemeinde Greifswald.

Inhalt und Verlauf der Synode lassen erkennen, dass die großzügige Unterstützung des Staates im Rahmen der kirchlichen Bugenhagen-Ehrungen4 bei zahlreichen Synodalen nachhaltige Wirkung hinterlassen hat.5 Politisch realistische kirchenleitende Kräfte und Synodalen artikulierten sich stärker als auf vorangegangenen Synoden und beteiligten sich aktiv an der Zurückweisung von in einzelnen Diskussionsbeiträgen enthaltenen politisch negativen Aussagen.

Durch ihren Einfluss gelang es u. a., in die Stellungnahme zum Bericht der Kirchenleitung und in Beschlussvorlagen der Synode noch eindeutigere politisch realistische Aussagen zu solchen Grundfragen wie Erhaltung des Friedens und Kampf um Abrüstung aufzunehmen.

Die während der Synodaltagung gegebenen Berichte waren in starkem Maße auf innerkirchliche Probleme ausgerichtet. Mit Ausnahme des Berichts der Evangelischen Studentengemeinde Greifswald – der politisch negative Aussagen zur Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR enthielt – waren die Einschätzungen im Wesentlichen sachlich gehalten. Sie beinhalteten in Anlehnung an die Aussagen der Synode des Bundes (September 1985) in einigen Fällen bekannte kirchliche Standpunkte zu aktuellen politischen Fragen und zur Politik von Partei und Regierung, jedoch wesentlich versachlicht formuliert.6 Sichtbar wurde das Bemühen, keine Belastung des Verhältnisses Staat – Kirche zuzulassen.

So fanden die von der Synode des Bundes (September 1985) formulierten Problemkreise wie Forderung nach Gesprächen mit staatlichen Stellen zum »zivilen Ersatzdienst«, zur Gleichberechtigung von Bausoldaten7 bei Studienzulassungen, Wehrdienstfragen u. a. keinen Eingang in Berichte, Vorlagen und Diskussionen vor dem Plenum der Synode.

Der Bericht über die Synode des Bundes (September 1985) war gekennzeichnet durch politisch realistische Aussagen und Sachlichkeit. Politisch negative Positionen und Forderungen der Synode des Bundes wurden nicht vorgetragen.

Im Bericht der Kirchenleitung wurden die Notwendigkeit von Abrüstungsschritten betont, die Abrüstungsvorschläge der SU unterstützt,8 das SDI-Programm der USA9 abgelehnt und Hoffnungen auf positive Ergebnisse bei den bevorstehenden Gesprächen Gorbatschow10-Reagan11 zum Ausdruck gebracht.

Der Bericht enthielt aber auch die Forderung nach »vordringlichen Sachgesprächen« zu Problemen der Volksbildung und den Wunsch nach Abbau der »Reisebeschränkungen« für Bürger der DDR.

Zu beachten ist die besondere Hervorhebung der engen Beziehungen zu den Partnerkirchen in der BRD im Bericht des Präsidiums der Landessynode.

In Anlehnung an frühere Aussagen und Formulierungen wird in diesem Bericht auch erneut betont, dass eine »Identitätsfindung« als Kirche im Sozialismus12 nur als »Pommersche Kirche«13 möglich wäre, ohne näher auf diesen Begriff einzugehen.

Im Bericht des Bischofs wurde u. a. das staatliche Entgegenkommen im Zusammenhang mit den kirchlichen Bugenhagen-Ehrungen als »neue Qualität der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche« gewertet. Die Führungsrolle der marxistischen Arbeiterpartei in der sozialistischen Gesellschaft wird im Bericht anerkannt.

Trotz der Bemühungen um Sachlichkeit und Realität seitens der Verantwortlichen für die Vorbereitung und den Verlauf der Synode wurde deutlich, dass in einigen Fällen politisch negative Kräfte in der Synode versuchten, ihre Grundauffassungen zu artikulieren und durchzusetzen. Das spiegelte sich in einigen Formulierungen in Berichten, Stellungnahmen und Anträgen sowie in ihren Diskussionen wider. Die von ihnen angestrebten Wirkungen wurden jedoch nicht erzielt.

Vordergründig politisch negative Aussagen enthielt der Bericht der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) Greifswald. Hervorgehoben werden darin »vorhandene Spannungen« mit dem Staat, bezogen auf Wehrsport,14 Werbung von Reserveoffiziersanwärtern und »Gleichberechtigung« im Bildungswesen. Verwiesen wird auf eine »Beeinträchtigung der freien Religionsausübung« im Rahmen der ESG; gefordert werden »die Offenheit der ESG für Nichtchristen« und damit im Zusammenhang »die kirchliche Legitimierung für Verletzungen staatlicher Festlegungen«.

Die geführten Aussprachen zu den einzelnen Berichten konzentrierten sich vor allem auf innerkirchliche Themen (Haushaltsplan, Kirchengesetz zur Änderung der Kirchenordnung usw.) und waren überwiegend durch sachliche Unterstützung politisch realer Aussagen gekennzeichnet.

Die im Bericht der ESG Greifswald enthaltenen politisch negativen Aussagen wurden in der Diskussion vor dem Plenum nicht aufgegriffen.

Lediglich Pfarrer Wutzke/Gartz15 trat in der Aussprache zu den Berichten der Kirchenleitung und des Bischofs politisch negativ in Erscheinung mit polemischen Behauptungen hinsichtlich »der eingeschränkten Reisemöglichkeiten« für DDR-Bürger und einer »Unterdrückung von Christen« in der DDR. Er fand jedoch keine Zustimmung.

Im Mittelpunkt der Diskussion zu den Beschlussvorlagen stand die Stellungnahme der Synode zu den Berichten des Präsidiums und der Kirchenleitung.

In dieser Stellungnahme werden politisch realistische Aussagen aus dem Bericht der Kirchenleitung noch eindeutiger zum Ausdruck gebracht.

So wird die Verantwortung für den Frieden als »zentrale Frage christlichen Zeugnisses« bezeichnet und die Erwartung der Synode ausgesprochen, dass die »atomwaffenfreie Zone in Europa Wirklichkeit wird«, die »chemiewaffenfreie Zone in Europa nicht Utopie bleibt«, die »von Gorbatschow in Paris angebotene Reduzierung der vorhandenen Atomwaffen um 50 % akzeptiert und der Anfang nachfolgender Abrüstungsschritte wird« und die »drohende Militarisierung des Weltraumes (SDI) unterbleibt«. Die Stellungnahme bringt ferner »die Hoffnung auf stärkere Unterstützung der Dritten Welt« zum Ausdruck und befürwortet ein »Konzil des Friedens«. Unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Konsistorialpräsident Stolpe16 auf der Synode des Bundes wird aber auch der »Wunsch nach Erweiterung der bestehenden Reisemöglichkeiten« ausgedrückt.

Zur Gewährleistung der Gleichachtung und Gleichberechtigung aller Bürger im Bereich der Volksbildung stellt die Stellungnahme »gewisse Verbesserungen« fest, weist aber gleichzeitig darauf hin, »dass dies nicht überall der Fall ist«. Die Kirchenleitung wird beauftragt, auftretenden Benachteiligungen »sorgsam nachzugehen, damit entstandenes Vertrauen nicht wieder zerstört wird«. Die im Bericht der Kirchenleitung formulierte Notwendigkeit eines »grundsätzlichen Sachgespräches« wird durch die Stellungnahme nicht unterstützt.

In der Diskussion zur Stellungnahme traten Propst Haberecht/Rubkow17 und der Synodale Niemann/Damgarten18 (beide Mitglieder der Kirchenleitung) politisch negativ in Erscheinung mit nachdrücklichen Forderungen nach »schärferen Formulierungen zur fehlenden Gleichachtung und Gleichberechtigung« von Christen im Volksbildungsbereich, da die in der Stellungnahme enthaltenen Aussagen »die Situation und Betroffenheit der Kinder und Eltern völlig ungenügend widerspiegelt«.

Eine offene Zurückweisung des offiziellen Antrages von Haberecht, die Formulierung »Betroffenheit der Synode zur Situation in der Volksbildung« in die Stellungnahme aufzunehmen, erfolgte durch Oberkirchenrat Harder/Greifswald,19 Oberkirchenrat Plath/Greifswald20 und Synodalen Hirsch/Stralsund.21

Der Antrag Haberechts wurde daraufhin durch die Synode abgelehnt.

Durch Anträge der Synodalen Hildebrand/Greifswald22 und Fiedler/Richtenberg23 erreichten politisch negative Kräfte der Synode eine Formulierungsänderung in der Stellungnahme dahingehend, dass in der gegen die Militarisierung des Weltraumes gerichteten Passage die konkrete Aussage »gegen das SDI-Programm« gestrichen wurde.

Als Synodale für die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR wurden Pfarrer Springborn/Greifswald,24 Archivar Wächter/Greifswald25 und Architekt Hirsch/Stralsund gewählt. Der als politisch negativ bekannte Pfarrer Wutzke (Bundessynodale der IV. Legislaturperiode 1980 bis 1985) wurde von politisch-operativen Kräften erneut als Kandidat für die V. Legislaturperiode 1986 bis 1990 vorgeschlagen, erlitt jedoch bei der Abstimmung eine knappe Wahlniederlage und wurde nicht als Bundessynodale wiedergewählt.

Die 8. Tagung der XVIII. Landessynode der Evangelischen Landeskirche Anhalts fand am 1. und 2.11.1985 im Landeskirchenamt Dessau statt.

Es nahmen 38 der 39 gewählten und berufenen Synodalen teil.

Aufgrund des Charakters der Tagung als geschlossene Synode waren keine ökumenischen Gäste, Journalisten oder Vertreter staatlicher Organe zugegen.

Die Synode in Dessau nahm Berichte über Verlauf und Ergebnisse der Synode des Bundes (September 1985), über die Arbeit des Diakonischen Rates (Vorlage einer neuen Ordnung für das Diakonische Werk der Evangelischen Landeskirche Anhalts) sowie zu innerkirchlichen und theologischen Fragen (u. a. Haushaltsplan der Landeskirche 1986) entgegen.

Fast durchgängig waren Inhalt und Verlauf der Synode darauf gerichtet, keine Konfrontation mit dem Staat zuzulassen. Insbesondere Kirchenpräsident Natho26 setzte sich – offensichtlich in Respektierung der ihm gegenüber seitens zuständiger staatlicher Vertreter zum Ausdruck gebrachten staatlichen Erwartungshaltung – dafür ein, dass politisch negative Beeinflussungsversuche einzelner Synodalen zurückgedrängt wurden und in der Synode keine Unterstützung fanden.

Verlauf und Ergebnisse der Synodaltagung in Dessau widerspiegelten den uneingeschränkten Einfluss von Kirchenpräsident Natho auf dieses Gremium.

Gleichzeitig verdeutlichte die Synode die Widersprüchlichkeit des Kirchenpräsidenten in wichtigen Grundpositionen.

Er nutzte die sachliche und auf reine Wiedergabe ohne eigene Stellungnahme ausgerichtete Berichterstattung der Synodalen des Bundes Hanff/Köthen27 und Franke/Zerbst28 zum Inhalt und Verlauf der Synode des Bundes (September 1985), um sich daran anschließend zum vom Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi,29 mit ihm geführten Gespräch zu äußern.

Natho führte aus, der Staatssekretär für Kirchenfragen habe ihm ungerechtfertigt Vorwürfe dahingehend gemacht, dass er – Natho – während der Bundessynode nicht gegen bestimmte Aussagen, insbesondere zur Problematik Menschenrechte, aufgetreten sei. Natho erklärte dazu, die vom Staat konkret beanstandeten Formulierungen seien jedoch »nicht Erfindung der Kirche«, sondern würden auch in offiziellen staatlichen Dokumenten verwendet bzw. seien »daran angelehnt«.

Natho drückte Bedauern dahingehend aus, der Staatssekretär und seine Mitarbeiter würden Inhalt und Resonanz der Bundessynode auf der Grundlage westlicher Pressemeldungen messen. Die Synode sei jedoch »gut verlaufen«, man müsse das gesamte Spektrum der Tagung beurteilen und nicht nur einzelne Interpretationen. Den Kirchen stünden die Quellen Westmedien nicht mehr zur Verfügung; deshalb habe sie die Vorhaltungen des Staates unerwartet getroffen.

Ferner betonte Natho in diesem Zusammenhang, die Haltungen und Positionen kirchenleitender Gremien zu Vorwürfen, die vom Staat gegen die Kirche erhoben würden, seien nicht in allen Punkten übereinstimmend, wobei er auf »sichtbar werdende unterschiedliche Positionen« der Konferenz der Kirchenleitungen und des Berichtsausschusses der Bundessynode zur Entwicklung des Verhältnisses Staat – Kirche verwies. Vieles müsse von beiden Seiten neu durchdacht werden.

Im Verlauf der Synode in Dessau wurden ein Antrag und eine Eingabe, gerichtet an die Synode, behandelt.

Der Antrag der Synodalen Assmann/Dessau30 mit der Forderung, zu künftigen öffentlichen Tagungen der Landessynode einen »Markt der Möglichkeiten« für Basisgruppen einzurichten, scheiterte an der ablehnenden Haltung von Natho. Die Assmann zog daraufhin ihren Antrag selbst zurück.

Bei der Eingabe handelt es sich um die Forderung von 21 Studenten des Theologischen Seminars Leipzig, »überholte und zu enge« innerkirchliche Auffassungen zum Leben von homosexuellen Pfarrern und lesbischen Pastorinnen zu revidieren und sich schriftlich dazu zu artikulieren. Durch Natho wurde die Eingabe mit dem Hinweis, sie könne nicht zum Gegenstand der Synode gemacht werden, zurückgewiesen.

Hervorgehoben werden muss der Diskussionsbeitrag und die Forderung des Synodalen Richter/Zerbst,31 bestimmte politisch negativ zu wertende Aussagen der Synode des Bundes, insbesondere zum Problem »Menschenrechte« in der DDR, in die Vorlagen der Synode in Dessau zu übernehmen. Durch Einfluss Nathos fand Richter in der Synode keine Unterstützung.

Alle Materialien der Synoden in Züssow und Dessau liegen dem MfS vor und können bei Bedarf angefordert werden.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument Probleme bei der Energieversorgung (2)

    19. November 1985
    Information Nr. 467/85 über die wesentlichsten Probleme im Zusammenhang mit der Energieversorgung im Winterhalbjahr 1985/1986

  2. Zum vorherigen Dokument Einnahmen Mindestumtausch, 4.–10.11.1985

    13. November 1985
    Information Nr. 466/85 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 4. November 1985 bis 10. November 1985