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Herbstsynoden Landeskirche Sachsen und Kirchenprovinz Sachsen

6. November 1985
Information Nr. 453/85 über die Herbstsynoden der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (12. bis 16. Oktober 1985 in Dresden) und der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (24. bis 27. Oktober 1985 in Magdeburg)

Die Herbsttagung der 22. Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens fand vom 12. bis 16. Oktober 1985 in Dresden statt.

In der Zeit vor der Synode erfolgten in Koordinierung staatlicher Organe und gesellschaftlicher Kräfte differenzierte Maßnahmen zur Einflussnahme auf Inhalt und Verlauf der Synodaltagung. In einer Reihe Gesprächen – u. a. seitens des Sektorenleiters Staatspolitik in Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Dresden mit Bischof Hempel1 sowie seitens verantwortlicher Mitarbeiter des Staatsapparates mit Synodalen auf örtlicher Ebene – wurde in Auswertung der 5. Tagung der IV. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR (20. bis 24. September 1985 in Dresden)2 die staatliche Erwartungshaltung zum Ausdruck gebracht, während der Synode keine Belastungen im Verhältnis Staat – Kirche zuzulassen.

Verlauf und Ergebnisse der Synode bestätigten die Wirksamkeit dieser Maßnahmen. In einem individuellen Gespräch äußerte Bischof Hempel, Form und Inhalt der seitens des Staatsapparates geführten Gespräche habe er als Unterstützung seiner eigenen Position und nicht als Einmischung empfunden.

Progressive und loyale Kräfte in der Synode wurden durch die Gespräche gestärkt. Alle Synodalen, mit denen Gespräche geführt wurden, traten in Diskussionen im Verlauf der Synode sachlich auf, darunter auch solche, die während der IV. Synode des BEK negativ aufgetreten waren (z. B. Pilz/Mittelherwigsdorf3 und Bretschneider/Dresden4).

Insgesamt war die Tagung von der Behandlung innerkirchlicher Probleme geprägt und durch das Bemühen kirchenleitender Kräfte gekennzeichnet, keine Belastung des Verhältnisses Staat – Kirche zuzulassen.

An der 22. Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens nahmen aus der BRD kirchenleitende Personen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Braunschweigs und Hannovers teil. Sie traten während der Synode nicht offiziell in Erscheinung.

Die Berichterstattung des BRD-Korrespondenten Röder,5 der mit Arbeitserlaubnis des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten an der Synode teilnahm, war erneut durch einen tendenziösen, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der DDR diffamierenden Charakter gekennzeichnet.

Schwerpunkte der Tagesordnung der Synode bildeten die Berichte des Bischofs, des Landeskirchenamtes und der Äußeren Mission, die Plenaraussprache zu diesen Berichten und die Wahlen von Bundessynodalen.

Zu Beginn der Synodaltagung wurde über den Eingang von insgesamt zwölf Eingaben und Anträgen informiert, von denen sich acht mit innerkirchlichen und theologischen Fragen beschäftigten. Vier Eingaben mit gesellschaftspolitischen Bezügen sind als realistisch und das Verhältnis Staat – Kirche nicht belastend einzuschätzen. (Forderung nach Einbeziehung konkreter Friedensvorschläge der Sowjetunion6 in Synodalerörterungen, Verurteilung des SDI-Programms,7 Forderung nach sachlicher Erwähnung des gegenwärtigen Verhältnisses Staat – Kirche in Synodenpapieren mit dem Ziel der Informierung der Synodalen.)

Bischof Hempel behandelte in seinem theologisch gehaltenen Bericht zum Thema »Vorstellungen über die Kirche in der Zukunft« fast ausschließlich innerkirchliche Probleme. Im Bericht des Bischofs, der keine negativen oder provokatorischen Aussagen enthielt, wurde die Notwendigkeit der Überwindung der »innerkirchlichen Krisensituation« und des »zermürbenden ethischen Pluralismus« hervorgehoben und betont, für die Probleme in der Kirche wäre die Kirche selbst und nicht die Gesellschaft verantwortlich; Konflikte unter Amtsträgern und kirchlichen Angestellten würden der kirchlichen Substanz mehr Schaden zufügen als der Atheismus.

Im Bericht des Landeskirchenamtes wurden neben einer Vielzahl innerkirchlicher und theologischer Fragen auch gesellschaftspolitische Probleme angesprochen.

Im Mittelpunkt dieser Aussagen stand analog bereits früher getroffener Aussagen die Feststellung, dass im Verhältnis Staat – Kirche in der DDR die Frage der Erhaltung des Frieden primären Charakter gegenüber allen anderen Fragen besitzt.

Dabei wurde zustimmend auf das Gespräch des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Honecker,8 mit Bischof Hempel vom 13. Februar 19859 sowie die Gespräche von Vertretern der Räte der Bezirke mit kirchenleitenden Amtsträgern – u. a. im Zusammenhang mit dem 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus10 – verwiesen.

Der Bericht enthält Aussagen zu Problemen der Volksbildung, des kirchlichen Baugeschehens und zu ökumenischen Kontakten (ähnlich der Aussagen während der Bundessynode 1985). Verwiesen wird auf 41 »Fälle« von »mangelnder Gleichberechtigung und Gleichachtung« von Christen in Schule und Ausbildung. Gleichzeitig wurde im Bericht betont, diese seien zumeist auf den Ebenen der zuständigen staatlichen Stellen geklärt worden. (Letztgenannte Aussage ist erstmalig in einem Synodenbericht enthalten.)

Erneut beinhaltete der Bericht Forderungen nach mehr staatlicher Baukapazität in Mark der DDR für Werterhaltung kirchlicher Bausubstanz sowie Aussagen dahingehend, Missverhältnisse zwischen bilanzierter Baukapazität und realisierter Bauleistung würden zu Folgeschäden und Substanzverfall bis zur Gefahr des Verlustes übernommenen Kulturbesitzes führen.

Im Bericht wird Bedauern ausgesprochen, dass Einreisen von kirchlichen Amtsträgern aus der BRD und Westberlin in die DDR auf Kreis- und Bezirksebene staatlicherseits nicht als »Dienstreisen« anerkannt würden und damit keine Befreiung vom verbindlichen Mindestumtausch11 erfolgt. Nichteinverständnis bestehe über staatliche Ablehnungen von Gruppeneinreisen aus der BRD zu sogenannten Partnergemeinden in der DDR.

Der Bericht der Äußeren Mission trug rein theologischen Charakter. Er beinhaltete Fragen religiösen Selbstverständnisses von Missionstätigkeit und Solidarität der Kirchen mit den Armen in der Welt.

In der Plenardebatte zu den Berichten sprachen 15 Synodalen vorwiegend zu innerkirchlichen Problemen.

So forderten die Synodalen Kinze/Dresden12 und Pilz/Mittelherwegsdorf größeres Verständnis seitens leitender kirchlicher Gremien gegenüber Problemen der kirchlichen Basis.

Beachtenswert ist der Beitrag von Präsident Domsch/Dresden,13 der im Zusammenhang mit der Haltung der Kirche zur Wehrdienstverweigerung aus Glaubens- und Gewissensfragen erklärte, die Kirche sollte sich stärker für die Erforschung und Diskussion der »Gewissensgründe« verwenden.14 Er forderte die Synodalen auf, über bekanntwerdende »Fälle« das Landeskirchenamt zu informieren.

Die Anfrage aus der Synode, ob die »Problematik der Aussteiger« durch die Kirche »gesteuert« werde, verneinte Landesjugendpfarrer Bretschneider. Er erklärte, die Jugendlichen hätten viele gute Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. Trotzdem werde die Frage nach dem Sinn des Lebens von Jugendlichen immer wieder neu gestellt; die Kirche sei verpflichtet, nach Antworten zu suchen, wenn sie gefragt werde.

In der Zusammenfassung der Diskussion forderte Bischof Hempel die Laiensynodalen zur stärkeren Meinungsäußerung und zu sichtbareren Aktivitäten im kirchlichen Sinne auf, da die Kirche »Impulse von der Basis« benötige.

In der von der Synode am 12. Oktober 1985 mit ca. 30 Teilnehmern durchgeführten öffentlichen »Fragestunde« vertraten die kirchenleitenden Kräfte zu Fragen mit gesellschaftspolitischen Bezügen realistische Positionen.

So antwortete Bischof Hempel auf die Anfrage, warum in den Materialien zur »Friedensdekade 1985«15 der Gedanke der Hilfe für die Dritte Welt so wenig Raum erhalten habe, die Regierung der DDR unternehme viel, und er wünsche ihr weitere Ideen für die Hilfe armer Länder. Hempel erklärte in diesem Zusammenhang, es wäre günstig, wenn die Regierung der DDR auch Erleichterungen im Reiseverkehr für ihre Bürger in Länder der Dritten Welt in Erwägung ziehen würde. Eine solche Maßnahme könnte die Standortbestimmung des Bürgers der DDR unterstützen und seine Hilfeleistung forcieren.

Auf eine weitere Frage bzw. »Feststellung« dergestalt, inwieweit Kirche und Staat »noch getrennt« seien (der Fragesteller verwies dabei auf das »prostaatliche« Auftreten von Pfarrern in Sendungen des DDR-Fernsehens und erklärte, es wäre für die Kirche wichtiger, sich legal mit dem Staat auseinanderzusetzen, z. B. in der Frage »der nach wie vor existierenden Schikanierungen« der Bausoldaten16) antwortete Bischof Hempel, die Trennung Staat – Kirche sei garantiert, und es herrsche ein »Arbeitsverhältnis«; »Schikanierungen« von Bausoldaten gebe es nicht, obwohl es gelte, Einzelfälle zu klären.

Kirchenpräsident Domsch erklärte dazu ergänzend, die Kirche könne keinem Pfarrer verwehren, Interviews zu geben; vorherige Konsultationen der Betreffenden mit zuständigen Amtsträgern im Landeskirchenamt wären jedoch angebracht.

Ein Teilnehmer der »Fragestunde« forderte die Delegierung von kirchlichen Laien zu ökumenischen Veranstaltungen in andere, auch nichtsozialistische Länder.

Präsident Domsch antwortete, derartige »Dienstreisen« würden ausnahmslos von »Fachleuten« wahrgenommen.

Das Verlangen eines weiteren Teilnehmers der »Fragestunde« nach Einberufung einer »Sondersynode für Frieden und Umwelt« wurde von den kirchenleitenden Amtsträgern mit dem Hinweis auf die »Woche der Schöpfungsverantwortung«17 und die »Friedensdekade« abgelehnt.

Die Synode fasste eine Anzahl innerkirchlicher Beschlüsse, darunter zur Unterstützung der Vorbereitung eines »Konzils des Friedens«18 (entsprechend der Erklärung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR – September 1985) und zur Regelung bestimmter innerkirchlicher dienstrechtlicher Verhältnisse und Regimefragen.

Die Synode verabschiedete mit sieben Gegenstimmen einen Brief an die Gemeinden der Landeskirche, in dem die Hoffnung für positive Ergebnisse der Abrüstungsverhandlungen zwischen der UdSSR und den USA zum Ausdruck gebracht wird.19 Er beinhaltet die Aufforderung, für alle Friedensverhandlungen zu beten.

(Alle Materialien der Synode liegen dem MfS vor und können bei Bedarf angefordert werden.)

Die nächsten Tagungen der Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens finden vom 15. bis 19. März 1986 und vom 11. bis 15. Oktober 1986 statt.

Die 4. Tagung der X. Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen fand vom 24. bis 27. Oktober 1985 in Magdeburg statt.

Die in der Zeit vor der 4. Tagung der X. Synode durchgeführten umfangreichen und abgestimmten differenzierten Maßnahmen staatlicher Organe und gesellschaftlicher Kräfte zur Einflussnahme auf Inhalt und Verlauf der Tagung zeigten Wirkungen dahingehend, dass seitens kirchenleitender Kräfte eine offene Konfrontation Staat – Kirche nicht zugelassen wurde.

(Diese Maßnahmen erfolgten auch unter Berücksichtigung der in der Zeit vom 13. bis 16. Juni 1985 in Erfurt stattgefundenen »Sondersynode« der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, auf der es feindlich-negativen Kräften mit Unterstützung maßgeblicher reaktionärer kirchenleitender Amtsträger sowie unter Ausnutzung der insgesamt widersprüchlichen Positionen kirchenleitender Kräfte der Landeskirche gelungen war, übereinstimmend mit gegen den Staat gerichteten Positionen aufzutreten. Siehe dazu Information des MfS Nr. 289/85 vom 8. Juli 1985.)

Im Mittelpunkt der 4. Synodaltagung standen theologische und innerkirchliche Probleme.

Streng internen Hinweisen zufolge wurden in Vorbereitung der Synode und im Prozess der Ausarbeitung der Synodenpapiere interne Auseinandersetzungen zwischen reaktionären kirchlichen Amtsträgern (Propst Falcke/Erfurt,20 Pfarrer Bohley/Magdeburg,21 Pastorin Höppner/Magdeburg,22 Propst Treu/Halle,23 Propst Brinksmeier/Wittenberg24) und loyal auftretenden Kräften (Bischof Demke/Magdeburg,25 Konsistorialpräsident Kramer/Magdeburg,26 Oberkirchenrat Schultze/Magdeburg27) geführt.

Den Erstgenannten gelang es im Prozess der Erarbeitung des Rechenschaftsberichtes, die durch realistisch denkende Kräfte vorgenommene Entschärfung der Aussagen zu gesellschaftspolitischen Fragen zu revidieren und zum Teil noch nach erfolgter Beschlussfassung in der Kirchenleitung sogenannte Problemfelder einzuarbeiten.

Das betrifft insbesondere die Probleme:

  • Reisebeschränkung ins sozialistische Ausland (eingebracht durch Pfarrer Bohley),

  • Wehrdienstfragen und vormilitärische Ausbildung (eingebracht durch Pfarrer Bohley und Pfarrer Buchenau28 – Magdeburg),

  • Wirken sogenannter Friedens- und Umweltkreise (eingebracht durch Pfarrer Bohley, Präses Höppner29 und Propst Falcke).

Sichtbar wurde, dass diese »Problemfelder« aus der Unzufriedenheit dieser Kräfte mit den Beschlüssen der Tagung der Synode des Bundes (September 1985) resultieren, die »bei Globalaussagen stehengeblieben« sei und keine konkreten Sachverhalte/Sachkomplexe dargestellt habe.

Die Aufnahme solcher konkreten »Sachfragen« in den Rechenschaftsbericht der Kirchenleitung stellt eine offene Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten dar und geht weit über Aussagen der Synode des Bundes hinaus, obwohl die ausdrückliche Bezugnahme darauf eine Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Synode des Bundes vortäuschen soll.

Positive Aussagen zum Verhältnis Staat – Kirche, zur Friedenspolitik der DDR und der diesbezüglichen Initiativen der sozialistischen Staatengemeinschaft fehlen im Bericht der Kirchenleitung an die Synode.

lm Verlauf der Tagung wurde das Bemühen der realistischen Kräfte deutlich, versachlichend auf die Gesamtaussagen der Synode einzuwirken, was sich insbesondere in den durch die Synode gefassten Beschlüssen niederschlug.

In diesem Sinne wirkten vor allem Bischof Demke, Oberkirchenrat Schultze und Konsistorialrat Kramer.

Beachtenswert hinsichtlich des Verlaufs und der Gesamtbewertung der Synode erscheint das widersprüchliche Auftreten von Pfarrer Schorlemmer/Wittenberg.30

Einerseits würdigte er die kontinuierliche Politik von Partei und Regierung in Kirchenfragen und sprach sich für eine Unterstützung der Friedenspolitik der sozialistischen Staaten aus.

Andererseits forderte er die Synode auf, die Volksaussprachen im Vorfeld des XI. Parteitages der SED31 zu nutzen, eine »Veränderung der Hauptaufgabe« in Richtung einer stärkeren Einbeziehung von Problemen des Umweltschutzes zu erreichen.32

Offensichtlich verfolgt Schorlemmer damit die Absicht, besonders sogenannten Ökologie-Basisgruppen inhaltliche Orientierungen für ein öffentlichkeitswirksames Auftreten unter missbräuchlicher Nutzung offizieller staatlicher Verlautbarungen und Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Vorbereitung des XI. Parteitages der SED zu geben.

Die von Schorlemmer vorgetragenen Positionen wurden inhaltlich in den Beschluss zum Bericht der Kirchenleitung übernommen.

Inhalt und Verlauf der Synode lassen erkennen, dass unter kirchenleitenden Kräften ein Prozess des Umdenkens und Neubewertens der außenpolitischen Standpunkte und Aktivitäten der sozialistischen Staaten speziell zur Friedenssicherung eingesetzt hat, der sich einordnet in den Prozess einer weiteren Positionsbestimmung der Kirche im Sozialismus.33

Zum Verlauf der 4. Tagung der X. Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen ist bemerkenswert:

Als ökumenische Gäste wurden Vertreter der evangelischen Kirchen aus Westberlin, Kassel (BRD) und Lund (Schweden) begrüßt. Ihre Grußworte hatten keine gesellschaftlichen Bezüge.

Der BRD-Korrespondent Röder hielt sich mit staatlicher Genehmigung zeitweilig am Tagungsort auf und nutzte dies erneut für eine tendenziöse Berichterstattung.

Im Mittelpunkt der Tagung standen der Rechenschaftsbericht der Kirchenleitung, die Plenaraussprache dazu, Anträge und Eingaben an die Synode – darunter die Behandlung von zwei Beschlussvorlagen der 3. Tagung der X. Synode/Juni 1985 (Thematik »Frieden-Gerechtigkeit-Verantwortung für die Schöpfung« mit politisch-negativen Grundpositionen zu Fragen der Verteidigungs-, Bildungs-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik) – sowie innerkirchliche und theologische Probleme.

Der Rechenschaftsbericht der Kirchenleitung beinhaltete neben einer Vielzahl innerkirchlicher und theologischer Fragen im Abschnitt »Erinnerung und Zukunftsverantwortung – Kirche und Gesellschaft« beachtenswerte gesellschaftspolitische Aussagen, u. a. bezogen auf

  • das »Gedenken an Kriegsende und Befreiung«,

  • die Verantwortung für die »Bewahrung der Schöpfung« (hervorgehoben wurden die von staatlichen und gesellschaftlichen Organen gebotenen Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes),

  • die kirchliche Mitverantwortung in der Gesellschaft. Dabei wurde ohne Benennung von Einzelfällen auf folgende »Konfliktbereiche« verwiesen:

    Mitwirkung von kirchlichen Mitarbeitern in Elternaktiven, Einführung von Gottesdiensten in Altersheimen, praktizierte Einschränkung von Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger nach der Ungarischen VR und der ČSSR einschließlich diesbezüglicher Maßnahmen der Deutschen Volkspolizei, durch welche die Freizügigkeit der Bürger eingeschränkt würde.34

    Die Kirchenleitung unterstützte in diesem Zusammenhang die von der Synode des Bundes (September 1985) verabschiedete »Erklärung«, wonach die »Praktizierung der Menschenrechte erweitert oder deutlicher wahrgenommen werden soll«, insbesondere hinsichtlich der Gleichberechtigung und Gleichachtung aller Bürger, der Erweiterung der Reisemöglichkeiten, im Umgang mit den Bürgern bei Eingaben und Beschwerden,

  • das kirchliche Friedenszeugnis und Waffendienst.

    In Anlehnung an die Aussage der Synode des Bundes sprach sich die Kirchenleitung für eine stärkere Berücksichtigung der Gewissens- und Glaubensfreiheit in den Fragen des Wehrdienstes und der vormilitärischen Ausbildung35 aus. Es wird die Forderung erhoben, die in der vormilitärischen Ausbildung an den Schulen und Berufsschulen »praktisch bereits modifiziert gehandhabten und großzügiger ausgelegten« staatlichen Festlegungen generell zu rechtlichen Regelungen zu erheben und so zur allgemein verbindlichen gesellschaftlichen Praxis werden zu lassen,

  • den konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung.

    Damit wurde die Erklärung der Synode des Bundes zur Vorbereitung eines »Konzils des Friedens« unterstützt.

Im Rahmen der Plenaraussprache zum Rechenschaftsbericht der Kirchenleitung wurden durch dem MfS namentlich bekannte Synodalen die im Kirchenleitungsbericht enthaltenen politisch negativen Aussagen zu gesellschaftspolitischen Bereichen (Verteidigungs- und Bildungspolitik, Erweiterung der Reisemöglichkeiten u. a.) erneut angesprochen, ohne eine Eskalation herbeizuführen.

So forderte der Synodale Superintendent Wegner/Erfurt36 die Synode auf, die Probleme der Volksbildung auf die Tagesordnung der Gespräche zwischen Staat und Kirche in der DDR zu setzen.

Der Synodale Wollmann/Benzhausen37 unterstützte nachdrücklich den im Kirchenleitungsbericht enthaltenen Vorschlag nach einer sowohl Eltern, Lehrern und Schülern als auch Betrieben zugänglichen Veröffentlichung mit klaren und allgemeingültigen Orientierungen zum Verhalten von Christen gegenüber staatlichen Forderungen im Rahmen der Wehrpflicht und vormilitärischen Ausbildung.

Pfarrer Winkelmann/Bischofrod38 informierte in seinem Diskussionsbeitrag über eine beabsichtigte Eingabe der »Ökologie-Basisgruppe« Suhl39 an den XI. Parteitag der SED, um die »Integrierung der Umweltpolitik in die Hauptaufgabe« der Politik von Partei und Regierung anzuregen.

Im Rahmen der Diskussion wurden des Weiteren durch die Synodalen Steiger/Krippehna40 und Pfarrer Buchenau/Magdeburg Anträge politisch negativen Charakters in die Synode eingebracht, die über den Rahmen der inhaltlichen Schwerpunkte des Kirchenleitungsberichtes hinausgehen. So brachte der Synodale Steiger den Antrag ein, des 10. Todestages von Pfarrer Brüsewitz41 1986 zu gedenken.

Pfarrer Buchenau führte aus, die »steigende Anzahl« der durch staatliche Organe mit Synodalen geführten Gespräche würden zunehmend als Belastung empfunden und stellte den Antrag, Maßnahmen zur Unterbindung einzuleiten. Eindeutig wurde damit versucht, offensiven Maßnahmen staatlicher Organe entgegenzuwirken.

(Beide Anträge wurden durch Mitglieder der Kirchenleitung zurückgewiesen und an den synodalen Berichtsausschuss weitergeleitet.)

Propst Falcke/Erfurt erklärte zum Antrag des Synodalen Steiger, inhaltlich sei er für die Beschlussvorlage nicht geeignet; er halte es jedoch für zweckmäßig, dass Kirchenleitung und Bischof geeignete Schritte zur Prüfung dieses Anlasses unternehmen sollten.

Einen Schwerpunkt im Rahmen der Synodaltagung stellte die Erörterung der an die Synode eingegangenen Anträge und Eingaben dar.

Neben einer Vielzahl von Anträgen und Eingaben zu spezifischen theologischen und innerkirchlichen Fragen bildete insbesondere der Antrag des Kirchenmusikdirektors Mücksch/Wittenberg42 einen Schwerpunkt der Diskussion.

Mücksch stellte den Antrag, die Anstellung von arbeitslosen BRD-Pfarrern in der DDR kirchlicherseits in Erwägung zu ziehen.

Die Diskussion im Plenum der Synode ließ Übereinstimmung mit dem Grundanliegen des Antrages erkennen, machte jedoch gleichzeitig deutlich, dass er unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht realistisch sei.

Die Beschlussvorlagen der Sondertagung der X. Synode im Juni 1985 (»Frieden-Gerechtigkeit-Verantwortung für die Schöpfung«; »Gleichberechtigung junger Christen«), die im Juni 1985 zur weiteren Behandlung an die Kirchenleitung verwiesen worden waren und der 4. Tagung der X. Synode zur erneuten Behandlung vorgelegt wurden, wurden ohne Diskussion an den Berichtsausschuss überwiesen.

Im Ergebnis der Synodaltagung wurden von der Synode neben innerkirchlichen und theologischen folgende beachtenswerte Beschlüsse mit gesellschaftspolitischen Bezügen verabschiedet:

  • Beschluss zur Friedensverantwortung.

    Darin werden neben der Unterstützung der Vorschläge zur Schaffung einer »Chemiewaffenfreien Zone in Europa«43 und einer »Atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa«44 alle im Kirchenleitungsbericht und in der Diskussion zum Kirchenleitungsbericht enthaltenen und hinlänglich bekannten politisch negativen Aussagen zur Verteidigungspolitik erneut aufgegriffen (u. a. Einsatz von Bausoldaten an zivilen Objekten; Einrichtung eines zivilen Wehrersatzdienstes; Gewissens- und Glaubensfreiheit im Blick auf den Wehrdienst und die vormilitärische Ausbildung; Möglichkeit eines waffenlosen Dienstes für vereidigte Reservisten usw.).

  • Beschluss zum Bericht der Kirchenleitung.

    Er enthält neben politisch realistischen Aussagen zur Friedenspolitik der sozialistischen Staaten und zum Verhältnis Staat – Kirche auch die im Bericht der Kirchenleitung angesprochenen Fragen zur Bildungspolitik, zur Erweiterung der Reisemöglichkeiten sowie zur Durchsetzung der Gleichachtung und Gleichberechtigung christlicher Bürger.

    Beschluss zur Unterstützung der Vorbereitung eines »Konzils des Friedens« (analog der Beschlussfassung der Synode des Bundes im September 1985).

(Alle Materialien der Synodaltagung liegen dem MfS vor und können bei Bedarf angefordert werden.)

Auf der Grundlage zentraler Festlegungen über die Führung von Gesprächen mit kirchenleitenden Amtsträgern wird vorgeschlagen, die Herbsttagungen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in Dresden und der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg in geeigneter Form mit auszuwerten durch den Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden für Inneres mit Präsident Domsch/Dresden und den Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Magdeburg für Inneres mit Konsistorialpräsident Kramer. Gegenüber Domsch sollte vor allem die Form von ständigen »Falldiskussionen« und die unrealistische Darstellung angeblich eingeschränkter Einreisemöglichkeiten entschieden zurückgewiesen werden.

Gegenüber Kramer sollte u. a. eine Zurückweisung der politisch negativen, gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR gerichteten Aussagen sowie der Einmischungsversuche in innerstaatliche Angelegenheiten erfolgen.

In diesem Zusammenhang sollte nachdrücklich die staatliche Erwartungshaltung zum Ausdruck gebracht werden, wonach die Tätigkeit der Kirchen ausschließlich auf die ihr in der Verfassung der DDR eingeräumten Rechte auszurichten ist, kein politisches Mitspracherecht besteht und ein politischer Missbrauch der Kirchen nicht zuzulassen ist.

Es sollte weiter erwogen werden, jeweils bezogen auf die Kirchengebiete der Landeskirchen, halbjährlich Koordinierungsberatungen zwischen den zuständigen Vertretern staatlicher Organe und Einrichtungen sowie gesellschaftlichen Kräften durchzuführen, in denen der Prozess der differenzierten Einflussnahme auf kirchliche Amtsträger, Synodalen und Laiensynodalen zielgerichtet fortgesetzt wird.

Zur weiteren Forcierung des innerkirchlichen Differenzierungsprozesses und zur Stärkung politisch realistischer Synodalen sollte die verstärkte Einbeziehung und das offensive Auftreten von Vertretern der Sektion Theologie der Karl-Marx-Universität Leipzig, der Martin-Luther-Universität Halle sowie von Mitarbeitern bezirksgeleiteter Presseorgane der CDU erfolgen.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument Einnahmen Mindestumtausch, 28.10.–3.11.1985

    6. November 1985
    Information Nr. 454/85 die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 28. Oktober 1985 bis 3. November 1985

  2. Zum vorherigen Dokument Vorkommnisse westliche Besatzungstruppen (4)

    6. November 1985
    Information Nr. 444/85 über Aktivitäten, Vorkommnisse und rechtswidrige Handlungen von Angehörigen der in Westberlin stationierten westlichen Besatzungstruppen bei der Einreise und dem Aufenthalt in der Hauptstadt der DDR, Berlin, im Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 1985