Herbstsynoden Mecklenburg und Thüringen
16. Dezember 1985
Information Nr. 499/85 über die Herbstsynoden der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs (14. bis 17. November 1985 in Schwerin) und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen (28. November bis 1. Dezember 1985 in Eisenach)
An der 8. Tagung der X. ordentlichen Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs nahmen 48 der insgesamt 58 gewählten und berufenen Synodalen teil. Als Gäste aus der BRD waren je ein Vertreter der Nordelbisch Evangelisch-Lutherischen Kirche und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern sowie der in der DDR akkreditierte Korrespondent Röder1 (epd) anwesend.
Die von den ökumenischen Gästen aus der BRD übermittelten Grußworte an die Synode trugen innerkirchlichen und theologischen Charakter. Beide betonten aber auch die sich kontinuierlich entwickelnde Zusammenarbeit ihrer Kirchen mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und die sich dabei fortsetzende Tendenz der »herzlichen Kontaktbeziehungen« zwischen den Menschen.
Im Mittelpunkt der Synode standen die
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Berichterstattung zur Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR (20. bis 24. September 1985 in Dresden),2
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Berichterstattung zur Jugendversammlung und zur Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes3 (Budapest 1984),4
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Behandlung und Beschlussfassung zu an die Synode gerichteten Eingaben.
In der Berichterstattung zur Synode des BEK durch Professor Dr. Kiesow/Rostock5 wurden gezielt politisch negative Aussagen der Bundessynode ausgeklammert. Andeutungsweise wurde festgestellt,
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dass einige »problematische Fragen« zur Sprache gekommen seien, die auch in westlichen Medien eine Rolle gespielt hätten,
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es Äußerungen von Synodalen gegeben habe, die »nicht der Verantwortung einer Bundessynode« entsprächen,
ohne dass dazu detaillierte Aussagen erfolgten.
In der Synodalaussprache erfolgte lediglich durch den Synodalen Dr. Seite/Neubrandenburg6 der Versuch, politisch negative Standpunkte aufzugreifen. Er forderte auf, in gesellschaftliche Bereiche und bei staatlichen Stellen verstärkt solche Probleme einzubringen, wie Forderung nach
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Gleichberechtigung und Gleichachtung aller Bürger in allen Bereichen und auf allen Ebenen,
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Einsatz von Bausoldaten7 an Sozialobjekten, im Umwelt- und Katastrophenschutz,
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Einrichtung eines zivilen Wehrersatzdienstes,8 Erweiterung der Reisemöglichkeiten,
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Verbesserung des Umgangs mit den Bürgern bei Eingaben und Beschwerden.
Seine Ausführungen wurden jedoch nicht durch andere Synodalen aufgegriffen.
Die Berichterstattung zur Jugendversammlung und zur Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Budapest 1984 erfolgte durch den Jugenddelegierten Günther/Ludwigslust,9 zurzeit Bausoldat der NVA.
Günther, der keine politisch negativen Standpunkte vertrat, betonte, das unmittelbare Erleben »armer und reicher Mitgliedskirchen«. des LWB habe bei ihm tiefe Eindrücke hinterlassen, die andere Betrachtungsweisen der kirchlichen Entwicklung in der DDR bewirkten. Aus dieser Sicht würde das, was sich in der DDR als Problem darstelle, wesentlich an Bedeutung verlieren.
Von den insgesamt 17 an die Synode gerichteten Eingaben beinhalteten vier gesellschaftspolitische Problemstellungen:
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Eingabe des hinlänglich bekannten Pastor Meckel/Vipperow10 mit der Forderung an die Synode, sich erneut bei staatlichen Stellen für die Einrichtung eines »zivilen Ersatzdienstes« einzusetzen.
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Eingabe der Pastorin Bräutigam/Güstrow11 mit der Forderung, die Synode solle sich gegen die Herstellung und den Verkauf von Kinderspielzeug militärischen Charakters aussprechen und einsetzen.
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Eingabe von vier Mitgliedern der Jungen Gemeinde Warin, [Kreis] Sternberg mit der Bitte, eine hauptamtliche Pfarrstelle für Friedensfragen in der Landeskirche zu schaffen.
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Eingabe von Pastor Hübener/Rambow,12 in der die Synode aufgefordert wird, über den BEK in der DDR kritische Auseinandersetzungen mit der ungarischen evangelischen Kirche zu führen, da diese sich zu wenig für Wehrdienstverweigerer in ihrem Land einsetzen würde.
Der Antrag der Mitglieder der Jungen Gemeinde Warin wurde von der Synode abgelehnt. Es wurde festgelegt, die anderen Eingaben an die zuständigen kirchlichen Institutionen weiterzuleiten. Damit wurde vor der Synode dazu keine Diskussion zugelassen.
Anträge der Synodalen Dr. Schönfelder/Schwerin13 und Dr. Stoeßel/Bützow,14 positive Aussagen zur Problematik Friedenssicherung unter dem Aspekt sozialistischer Friedenspolitik in die Synodenpapiere einzubringen, wurden durch den Synodalen Dr. Seite durch einen Vorschlag dahingehend unterstützt, in diesem Sinne einen Brief zu verfassen und an den Generalsekretär des ZK der KPdSU, Gorbatschow,15 sowie an den Präsidenten der USA, Reagan,16 zu senden. In der Diskussion wurde dieser Vorschlag unterstützt und mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass ein solcher Brief an die Repräsentanten dieser beiden Staaten aus christlicher Friedensverantwortung resultiere.
In dem mit Datum vom 16. November 1985 verfassten Brief wird u. a. zum Ausdruck gebracht, dass in die Beratungen in Genf17 große Erwartungen gesetzt werden und die Forderung ausgesprochen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um zu Abrüstung und Frieden zu gelangen.18
Durch das Präsidium der Synode wurde während der Synodaltagung mitgeteilt, dass der Jugendsynodale Krischer, Hans/Rostock19 der Einberufung zum Wehrdienst in der NVA nicht Folge leistete und als Wehrdienstverweigerer20 inhaftiert worden sei.
Auf Antrag des Synodalen Dürr/Neubrandenburg21 beschloss daraufhin die Synode (47 Stimmen dafür, eine Stimmenthaltung), dem Krischer eine Grußbotschaft zu übermitteln. In der Grußbotschaft der Synode hieß es u. a.: »In Schwerin hörten wir von ihrer Verhaftung. Wir wünschen Ihnen von Herzen, dass sie die Zeit der Inhaftierung geistig und körperlieh gesund durchstehen.«
(Bei dem Krischer handelt es sich um einen dem MfS bekannten Vertreter der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung. Krischer ist gemeinsam mit seiner Ehefrau Antragsteller auf Übersiedlung nach der BRD und war wegen Wehrdienstverweigerung zeitweilig inhaftiert worden.)
Die von Bischof Stier/Schwerin22 am letzten Tag der Synode gehaltene Predigt trug fast ausschließlich theologischen Charakter. In die zur Predigt gehörende Fürbitte bezog er die Personen ein, »die in der DDR wegen Wehrdienstverweigerung inhaftiert sind«, ohne jedoch weitergehende Aussagen zu machen.
Insgesamt ist einzuschätzen, dass die 8. Tagung der X. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs im Vergleich zu vorhergehenden Synodaltagungen in stärkerem Maße auf innerkirchliche und theologische Fragen und Problemstellungen konzentriert war. Trotz des Vorliegens einer Reihe von gesellschaftspolitisch relevanten Eingaben an die Synode kam es nicht zur breiten Diskussion über solche Themen, die zur Belastung des Verhältnisses Staat – Kirche in der DDR führen könnten.
An der 3. Tagung der VII. Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen nahmen 63 der 66 gewählten und berufenen Synodalen teil. (Seitens kirchenleitender Amtsträger fehlte lediglich Oberkirchenrat Mitzenheim/Eisenach,23 der sich als Volkskammerabgeordneter auf der zeitlich parallel laufenden Volkskammertagung befand.)
Aufgrund der traditionell unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Tagung der Synode waren weder staatliche Gäste noch Vertreter westlicher Massenmedien anwesend, lediglich ökumenische Gäste aus der Evangelischen Landeskirche Württemberg/BRD.
Im Mittelpunkt der Synode standen der Bericht von Bischof Leich/Eisenach,24 der Bericht von Superintendent Große/Saalfeld25 über das am 2. Mai 1985 staatlicherseits mit kirchenleitenden Amtsträgern geführte Arbeitsgespräch zu Umweltfragen sowie Berichte zu innerkirchlichen und theologischen Fragen.26
Die Tagung wurde im Wesentlichen geprägt durch eine inhaltliche und organisatorische Ausrichtung auf die Aufarbeitung und politische Wertung der Geschichte der Thüringer Landeskirche sowie durch ein eindeutiges Bekenntnis der Kirchenleitung zur Friedenspolitik der sozialistischen Staaten. In einigen Fällen unternommene Versuche seitens dem MfS bekannter Kräfte, Wehrdienst- und Umweltprobleme in die Synode hineinzutragen, scheiterten im Wesentlichen am offensiven Auftreten realistischer Kräfte.
Der Synode lagen acht Eingaben und Anträge vor. Drei Eingaben von dem MfS bekannten Personen beinhalteten politisch bezogene Sachverhalte wie die Forderung nach stärkerer Unterstützung von Bausoldaten, die Durchführung einer Sondersynode »Für Frieden, Gerechtigkeit und Ökologie« und einer »Umweltwoche in Thüringen«. Diese Eingaben wurden im innerkirchlichen Verfahrensweg behandelt und die in ihnen erhobenen Forderungen abgelehnt bzw. mit einem Beschluss zu Umweltfragen erledigt. Die anderen Eingaben enthielten innerkirchliche Probleme.
Der Verlauf der Synode wurde insgesamt wesentlich durch die realistische Berichterstattung von Bischof Leich beeinflusst, insbesondere durch positive gesellschaftspolitische Aussagen und Wertungen zur Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen (Abrechnung mit der »Entartung der Kirche« und ihrem »besonders katastrophalen Verfall« in der Nazizeit) und durch Würdigung des kirchlichen Widerstandes gegen die faschistische Barbarei.
Leich betonte u. a., der Weg der Landeskirche sei bestimmt worden von den Grundentscheidungen der Männer und Frauen des Widerstandes und Neubeginns. Die weitere Entwicklung als Kirche im sozialistischen Staat müsse in der Bindung an diese Entscheidungen erfolgen.
Bedeutsam sind weiterhin die positiven Aussagen und Wertungen von Leich zu aktuell-politischen Fragen, insbesondere zum Genfer Gipfeltreffen. Er identifizierte sich offen mit den Grundaussagen des Generalsekretärs des ZK der KPdSU und begrüßte die erreichten Ergebnisse. Die Ausführlichkeit der Darlegungen hierzu und die demonstrierte Haltung des Bischofs im Bericht prägte nachhaltig das Auftreten einer Reihe von Synodalen in der Plenaraussprache sowie in den Ausschüssen der Synode.
In den Aussprachen, Diskussionsbeiträgen und Stellungnahmen der Ausschüsse zum Bischofsbericht akzeptierten und unterstützten alle kirchenleitenden Amtsträger und die Mehrheit der Synodalen die getroffenen Aussagen und Wertungen.
Die Mitteilung über die Entlassung von inhaftierten Wehrdienstverweigerern wurde positiv aufgenommen.
Feindlich-negativ eingestellte Synodalen verblieben unter der gegebenen Kräftekonstellation allgemein in einer passiven Haltung.
Der hinlänglich bekannte Superintendent Große/Saalfeld äußerte, Bischof Leich würde das Genfer Treffen »zu sehr in den Vordergrund stellen«. Er verstehe die Arroganz nicht, mit der »die beiden Männlein« in Genf aufgetreten seien und »die Welt diktieren wollten«. Große betonte, die Gespräche in Sachen Wehrdienstverweigerung müssten weitergeführt werden, da ein Staat, der von Christen verlange, die Waffe gegen andere zu erheben, kritikwürdig sei. Große fand Unterstützung durch die Synodalen Wolfram/Tanna27 und Pfarrer Modersohn/Hoheneiche.28
In seinem Bericht über das staatlicherseits am 2. Mai 1985 mit kirchenleitenden Amtsträgern geführte Sachgespräch zu Umweltfragen informierte Superintendent Große/Saalfeld demgegenüber sachlich und hielt sich allgemein an die Fakten.
Auf der Grundlage dieses Berichtes beschloss die Synode eine Vorlage, wonach sie feststellt, dass für eine Mitarbeit von Gemeindegliedern, Gruppen und Gemeinden zu Umweltfragen eine Reihe von Möglichkeiten von Staat und Gesellschaft angeboten würden. Es wurde empfohlen, die damit gegebenen Chancen der Mitarbeit zu nutzen.
Der Beschluss verweist auf
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eine Mitarbeit innerhalb staatlicher und gesellschaftlicher Aktivitäten für eine gesunde Umwelt;
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eine Partnerschaft zwischen kirchlichen Umweltgruppen und staatlichen Stellen;
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die Sicherung eines Umweltdatenschutzes, um die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen nicht zu gefährden;
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die Notwendigkeit der Schaffung einer zentralen Umschlagstelle für Erfahrungsaustausche und Rechtsberatung in Umweltfragen auf Bundesebene (eventuell kirchliches Forschungsheim Wittenberg29);
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die Notwendigkeit der Abrüstung zur spürbaren Entlastung der Umwelt.
Neben einer Vielzahl innerkirchlicher und theologischer Beschlussfassungen der Synode verabschiedete die Synodaltagung folgende weitere gesellschaftspolitisch bedeutsame Beschlüsse:
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Unterstützung der Vorbereitung eines »Konzils des Friedens« in Anlehnung an den Beschluss der Synode des BEK in der DDR (20. bis 24. September 1985 in Dresden)30
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Beschluss zur Überarbeitung des Entwurfs zur Anpassung der Verfassung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (VELK) in der DDR an die Ordnung des BEK in der DDR.
Die Beschlüsse enthalten keine negativen Aussagen.
Die schriftlichen Materialien der beiden Synoden liegen dem MfS im Wortlaut vor und können bei Bedarf angefordert werden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.