Kirchentag der Landeskirche Greifswald und Bugenhagen-Ehrung
6. Juli 1985
Information Nr. 288/85 über den 9. Kirchentag der Evangelischen Landeskirche Greifswald und die Bugenhagen-Ehrungen in Greifswald
In der Zeit vom 21. bis 24. Juni 1985 führte die Evangelische Landeskirche Greifswald aus Anlass ihres 450-jährigen Reformationsjubiläums und des 500. Geburtstages des Reformators Johannes Bugenhagen1 unter dem Thema »Durch den Glauben reich sein« ihren 9. Kirchentag sowie Ehrungen des Reformators Bugenhagen in Greifswald durch.2
Am Kirchentag beteiligten sich als sogenannte Dauerteilnehmer nach vorliegenden Hinweisen ca. 1 200 Personen aus allen Evangelischen Landeskirchen der DDR. Mit ca. 4 000 Besuchern war die Abschlussveranstaltung am stärksten frequentiert.
Die Mehrheit der Teilnehmer kam aus dem Bereich der Evangelischen Landeskirche Greifswald; insgesamt relativ hoch ist der Anteil Jugendlicher einzuschätzen.
(Die Beteiligung entsprach den Erwartungen der Veranstalter.)
Als Ausdruck der internationalen Bedeutung und des Interesses an der Gesamtveranstaltung ist die Teilnahme von 181 kirchenleitenden Persönlichkeiten aus 18 Staaten und Westberlin, von vier Botschaftern nichtsozialistischer Staaten in der DDR (Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark) sowie des Leiters der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR und von insgesamt 14 Korrespondenten aus nichtsozialistischen Staaten (ARD, ZDF, epd, Reuters, Deutschlandfunk, Frankfurter Allgemeine Zeitung) einzuschätzen.
Insgesamt 167 der 181 ökumenischen Gäste kamen aus nichtsozialistischen Staaten, 14 aus dem sozialistischen Ausland. Mit 128 Gästen waren die Kirchen aus der BRD und Westberlin am stärksten vertreten.
Unter den Gästen befanden sich Dr. Mau,3 Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes,4 Dr. Dahlgren,5 Europasekretär des Lutherischen Weltbundes, Dr. Williams,6 Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen,7 insgesamt 15 Bischöfe aus verschiedenen Staaten sowie weitere Repräsentanten kirchlicher Gremien.
Verschiedentlich waren Gäste aus der BRD differenziert in die Gestaltung einzelner Kirchentagsveranstaltungen einbezogen worden. In ihren Äußerungen hoben sie u. a. die »grenzüberschreitende Funktion« der Kirche und sogenannte gesamtdeutsche Tendenzen hervor. So äußerte der Kirchentagspräsident der »Evangelischen Kirche in Deutschland« in der BRD, Prof. Huber,8 das Recht auf Begegnung sei ein elementares Recht und wies darauf hin, dass man die Grenzen nicht ändern, aber ihnen »das Trennende« nehmen müsse.
Weitere ökumenische Gäste betonten in den verschiedensten Veranstaltungen die Gemeinsamkeit des Glaubens als die verbindende Kraft zwischen den Christen und Kirchen. Übereinstimmend hoben sie die gemeinsame Friedensverantwortung der Christen hervor und würdigten das gute Zusammenwirken zwischen Staat und Kirche in der DDR.
Im Gegensatz zu realistischen Auffassungen ökumenischer Gäste stand die tendenziöse Berichterstattung westlicher Korrespondenten in ihren Medien. Sie versuchten, das positive Verhältnis Staat – Kirche in der DDR zu diskreditieren und konzentrierten sich dabei auf »Probleme« der Freizügigkeit und der Reisemöglichkeiten sowie des Wehrdienstes in der DDR. (Die Organisatoren der Veranstaltung waren bemüht, durch Auflagen den Wirkungsradius westlicher Journalisten in Grenzen zu halten.)
Mit der Durchführung des Kirchentages und des Bugenhagen-Jubiläums wurden nach vorliegenden internen Hinweisen seitens der Evangelischen Kirchen in der DDR die Absicht verfolgt und die Versuche fortgesetzt, ihre Präsenz in der sozialistischen Gesellschaft öffentlichkeitswirksamer zu unterstreichen und durch hohe Teilnehmerzahlen eine breitere Massenwirksamkeit zu demonstrieren.
Durch eine gezielte und langfristige Einflussnahme staatlicher und gesellschaftlicher Kräfte gegenüber kirchenleitenden Personen und Gremien, besonders der Evangelischen Landeskirche Greifswald, konnte erreicht werden. dass der theologische und kirchliche Charakter der Jubiläen durchgängig gewährleistet war.
Die realistischen Kräfte in der Evangelischen Landeskirche Greifswald konnten sich im Zusammenhang mit den Jubiläen und durch ihr öffentliches Eintreten für eine »Kirche im Sozialismus«9 und für die Friedenspolitik der DDR weiter profilieren.
Besonders das Auftreten von Bischof Dr. Gienke10 trug dazu bei.
Die Wirkungsmöglichkeiten reaktionärer kirchlicher und anderer feindlich-negativer Kräfte wurden von den Veranstaltern vorbeugend eingeengt; in Diskussionen wurde provokatorischen Fragestellungen und negativen Äußerungen durch das Aufzeigen positiver Erfahrungen hinsichtlich der Gestaltung des Verhältnisses Staat – Kirche entgegengewirkt.
Zu einigen beachtenswerten Veranstaltungen:
- –
Das Forum »Durch den Glauben reich sein – Hunger nach Recht und Frieden« am 22. Juni 1985 mit ca. 600 Teilnehmern.
Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin11 referierte zum Thema: »Frieden wächst aus Gerechtigkeit – 10 Jahre Schlussakte von Helsinki12 und die Mitverantwortung unserer Kirchen«.
Grundtenor seiner Ausführungen war die Würdigung der KSZE-Schlussakte und damit im Zusammenhang die Friedenspolitik der DDR.
Auf die Problematik des Stellens von Übersiedlungsversuchen nach der BRD durch DDR-Bürger eingehend, erklärte Stolpe, dass in der DDR unschätzbare Errungenschaften auf sozialem und kulturellem Gebiet verwirklicht werden, »deren Wert erst der spürt, der sie nach leichtfertiger Auswanderung verliert. Umso mehr lohnt es sich, noch vorhandene Defizite bei individuellen Rechten und Möglichkeiten schrittweise abzubauen.« Weiter brachte er zum Ausdruck, die Gesellschaft in der DDR sei angetreten, Ungerechtigkeiten zu beseitigen, sei aber gleichzeitig »in der Gefahr, Ungerechtigkeiten zu schaffen oder zu erhalten«.
Derartige »Ungerechtigkeiten« seien, der Jugend bei ansonsten gleichen Rechten weniger Reisemöglichkeiten als Rentnern zu gewähren, die »doppelt so hohe Belastung« der Frauen durch Beruf und Haus gegenüber Männern zuzulassen, Menschen mit abweichenden Meinungen sowohl von der Kirche als auch vom Staat zu »umgehen«. Der »Umgang mit abweichenden Meinungen«, so hob Stolpe hervor, habe Einfluss darauf, »Misstrauen oder Vertrauen bei anderen Staaten zu wecken«.
- –
Das Forum mit Bischof Dr. Gienke »Sie Fragen – wir antworten«, welches von ca. 300 Personen und allen Korrespondenten aus dem nichtsozialistischen Ausland besucht wurde.
Die Mehrzahl der Anfragen bezog sich auf kirchliche Probleme. Fragen mit gesellschaftspolitischen Aspekten wie zum Verhältnis Staat – Kirche, zur »Friedenserziehung« bzw. zur Wehrerziehung13 wurden sachlich gestellt und ebenso, insbesondere von Bischof Dr. Gienke und Präses Affeld/Greifswald14 beantwortet. Hervorgehoben wurde jedoch die eigenständige kirchliche Verantwortung für die Friedensarbeit.
- –
Die Predigt von Oberkirchenrat Dr. Plath/Greifswald15 am 23. Juni 1985 auf dem »Platz der Freundschaft« in Greifswald vor ca. 1 000 Personen.
Bezogen auf die kirchliche Arbeit brachte Plath zum Ausdruck, dass die Kirche ihre »reichen Handlungsmöglichkeiten« nutzen solle; er plädierte für eine »offene Kirche«, die keine Regelungen, Gesetze und Bedingungen verlange. Grundlage für eine solche Kirche seien jedoch echte Gewissensentscheidungen der Gläubigen, die ein Verbergen artfremder Motive nicht zulassen. Echten Gewissensentscheidungen dürften deshalb keine Nachteile staatlicherseits entgegenstehen.
- –
Das »Sendungswort« von Bischof Dr. Gienke auf der Abschlussveranstaltung des 9. Kirchentages auf dem »Platz der Freundschaft« in Greifswald vor ca. 4 000 Teilnehmern.
Die gesellschaftspolitischen Aspekte der Rede des Bischofs waren von realistischen Positionen und davon geprägt, die Evangelische Landeskirche Greifswald als »Kirche im Sozialismus« zu verstehen.
So äußerte er u. a. »Wir Christen haben unseren Platz in unserer Gesellschaft, gleichberechtigt, gleichgeachtet, chancengleich. Das sind keine leeren Worte, das wird Schritt für Schritt mit Leben erfüllt.«
Im Verlaufe verschiedener Veranstaltungen – so im Rahmen von Foren –, kam es trotz entsprechender Einflussnahme kirchenleitender Kräfte der Evangelischen Landeskirche Greifswald vereinzelt zu Versuchen, politisch negative Auffassungen zu verbreiten.
Besonders hervorzuheben sind hier Aktivitäten im Rahmen der Veranstaltungen »Durch den Glauben reich sein – Hunger nach Recht und Frieden« mit ca. 600 Teilnehmern und »Jugend lädt ein zur Meditation« mit ca. 800 Teilnehmern.
Dabei wurden u. a. in Spielszenen Forderungen nach mehr Freizügigkeit und Reisemöglichkeiten erhoben und ein »Bewaffneter Friede« abgelehnt, das Verhältnis Staat – Kirche herabgewürdigt und Angriffe gegen die Wehrgesetzgebung geführt. Durch einen Jugendlichen kam es zu einer sogenannten Fürbitte. Er äußerte: »Weg mit allen Mauern und Grenzen im Interesse der freien Begegnung der Völker«.
Während der Foren waren durch die Veranstalter Möglichkeiten einer spontanen schriftlichen Meinungsäußerung – u. a. an sogenannten Meckertafeln – eingeräumt worden. Diese Möglichkeiten wurden zu provokatorischen Meinungsäußerungen missbraucht.
(»Wir hoffen auf ein wiedervereinigtes Deutschland«, »Ich hoffe auf eine Welt ohne fanatische Weltanschauung« und »Mut zum Christ sein – Mut zur Konfrontation«)
In einer Ausstellung des »ökologischen Arbeitskreises der Dresdner Kirchenbezirke«16 wurden auf Schautafeln u. a. gegenüber dem Staat Forderungen zur Erhaltung der Umwelt erhoben. Gleichzeitig wurde für die Aktion »Kinderhilfe für Kinder aus Gebieten mit starker Luftverschmutzung« geworben.
Die Veranstaltungen des »ökumenischen Festtages« am 24.6.1985 waren ausschließlich auf die Ehrung des Reformators Bugenhagen ausgerichtet.
Auf einer Beratung der Landessynode wurde der »Erklärung der Synode der Evangelischen Landeskirche Greifswald am 500. Geburtstag von J. Bugenhagen – 450 Jahre nach Einführung der Reformation in Pommern« zugestimmt. Darin wird u. a. »Betroffenheit« zum Ausdruck gebracht, dass »nur langsame Schritte des gegenseitigen Vertrauens gegangen werden, die auf eine internationale Friedensordnung mit gemeinsamer Sicherheit für alle Völker gerichtet sind«.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!