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Konferenz der Ev. Kirchenleitungen der DDR (2)

22. März 1985
Information Nr. 116/85 über die 97. ordentliche Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) am 8. und 9. März 1985 in Buckow, [Bezirk] Frankfurt/Oder

An den im kirchlichen Rüstzeitheim Wilhelmshöhe in Buckow, [Bezirk] Frankfurt/Oder durchgeführten Beratungen nahmen der Vorsitzende der KKL,1 Landesbischof Dr. Hempel/Dresden,2 alle Bischöfe und die Leiter der Verwaltungseinrichtungen der Gliedkirchen sowie alle synodalen Mitglieder der KKL teil (Oberkirchenratspräsident Müller/Schwerin3 war nicht anwesend; die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes wurde durch Oberkirchenrat (OKR) Winde4 vertreten – Bischof Wollstadt5 war von seinem Amt aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten).

Im Mittelpunkt der Tagung standen:

  • Berichte aus den Gliedkirchen und dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in der DDR

  • Bericht des Vorsitzenden der KKL, Bischof Dr. Hempel/Dresden, über sein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker,6 vom 11. Februar 19857

  • Vorbereitung des 40. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus8

  • Innerkirchliche und theologische Fragen (wie »Ordnung des kirchlichen Lebens« – Taufe, Abendmahl)

Inhalt und Verlauf der Tagung waren gekennzeichnet durch die Behandlung vielfältiger, das Verhältnis Staat – Kirche berührender Fragen und Probleme. Beachtenswert sind vor allem die geführten Diskussionen und gegebenen Orientierungen in Auswertung des Gespräches des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Honecker, mit Landesbischof Dr. Hempel am 11. Februar 1985, des sogenannten Friedensseminars in Schwerin (1. bis 3. März 1985)9 sowie in Vorbereitung des 40. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus. Die Tagung bestätigte die nachhaltige Wirkung des Gespräches vom 11. Februar 1985 und verdeutlichte den fortschreitenden Differenzierungsprozess unter den Mitgliedern dieses kirchenleitenden Gremiums. Während solche kirchenleitenden Kräfte wie die Landesbischöfe Dr. Leich10 und Dr. Hempel sowie Bischof Dr. Gienke11 und Oberkirchenrat Petzold12 besonders im Zusammenhang mit der Bewertung des 40. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus eindeutige, politisch realistische Positionen vertraten, versuchten Einzelne, darunter Kirchenpräsident Domsch/Dresden,13 die Teilnehmer vor angeblichen Versuchen einer »Vereinnahmung der Kirche durch den Staat« zu warnen.

Von den Tagungsteilnehmern wurden zu einzelnen Sachproblemen folgende beachtenswerte Aussagen getroffen:

Landesbischof Stier/Schwerin14 berichtete über das im Zeitraum vom 1. bis 3. März 1985 stattgefundene 3. zentrale »Friedensseminar« von »Friedenskreisen« der Evangelischen Kirchen in der DDR.

Nach seiner Auffassung habe sich diese Veranstaltung im Vergleich zu vorangegangenen »Seminaren« stärker mit theologischen Fragen beschäftigt. Von Teilnehmern zur Beschlussfassung bzw. zur Veröffentlichung vorbereitete Papiere, die der Staat hätte als Provokation auffassen können, seien durch Einflussnahme der Kirchenleitung, aber auch durch die Mehrheit der Teilnehmer selbst abgelehnt worden.

Des Weiteren informierte Bischof Stier über vom hinlänglich bekannten Heiko Lietz/Güstrow15 auf dem »Friedensseminar« getätigte diffamierende Äußerungen zur Tätigkeit des MfS und über diesbezügliche Ergänzungen durch den Präsidenten des Oberkirchenrates Müller/Schwerin im Zusammenhang mit einem im Dezember 1984 aufgetretenen Vorkommnis in Güstrow.16

Die Art und Weise der Darstellung durch Bischof Stier beeinflusste die sich dazu entwickelnde Diskussion in der KKL dahingehend, dass seitens der anwesenden kirchenleitenden Personen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Mitteilung der Militäroberstaatsanwaltschaft der DDR an die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs über dieses Vorkommnis erhoben wurden.

Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin17 äußerte im Zusammenhang mit dem »Friedensseminar«, dass die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs seine Hinweise bezüglich der Unterbindung der Teilnahme von BRD-Korrespondenten an dem »Friedensseminar« nicht beachtet habe, obwohl er extra zu diesem Zweck nach Schwerin gefahren sei. Als Folge der Teilnahme des BRD-Korrespondenten Röder18 (epd) sei es zu der skandalösen Berichterstattung gekommen.19

Stolpe äußerte weiter die Befürchtung, dass der Evangelischen Kirche durch dieses »Friedensseminar« großer Schaden entstanden sei.

Der Staat habe jetzt die Möglichkeit, die Teilnahme westlicher Journalisten an kirchlichen Veranstaltungen grundsätzlich zu verbieten und das auch durchzusetzen.

Auch seitens des Oberkirchenrates Mitzenheim/Eisenach20 wurden Bedenken zum Schweriner »Friedensseminar« geäußert. Er hob hervor, dass bei vorangegangenen »Friedensseminaren« die Bildung einer überregionalen Organisation bisher verhindert werden konnte. Jetzt sei jedoch mit dem »Fortsetzungsausschuss« (dieser soll die weitere Koordinierung der »Basisgruppen« – mit der Zielstellung, den Prozess der Zentralisierung und der Schaffung fester Organisationsstrukturen fortzuführen – übernehmen) eine derartige Organisation geschaffen worden. Er betrachte dies als gefährlich und falsch. Dem Staat habe man mit der Bildung dieses Gremiums wieder eine Möglichkeit geboten, gegen die Kirche vorzugehen.

Im weiteren Verlauf der Tagung erstattete Bischof Dr. Hempel Bericht über das Gespräch mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Honecker, am 11. Februar 1985.

Dabei betonte er, dass sich die Linie der Gesprächsführung (Konzentration auf die Grundsatzfrage – Erhaltung des Friedens – und nicht Abhandlung von Detailproblemen) auch im Nachhinein weiter bestätige. Er hob besonders den persönlichen Eindruck, den der Staatsratsvorsitzende, Genosse Honecker, auf ihn gemacht habe, und dessen von tiefer Sachkenntnis geprägte Gesprächsführung hervor.

Von den Mitgliedern der KKL wurde das Auftreten von Landesbischof Dr. Hempel einstimmig befürwortet. Die KKL ist bestrebt, in der Perspektive analog dem Grundsatzgespräch vom 6. März 197821 ein weiteres Gespräch zwischen dem Vorstand der KKL und dem Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Honecker, durchzuführen.

Breiten Raum nahmen während der Tagung Stellungnahmen und Erklärungen zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus ein.

Durch die KKL wurde der gemeinsamen Erklärung »Wort zum Frieden« des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland in der BRD (EKD) zum 40. Jahrestag des Endes des zweiten Weltkrieges zugestimmt.22 (Die Veröffentlichung ist zwischenzeitlich erfolgt.)

Dieses »Wort zum Frieden« soll besonders in der Karwoche und zu Ostern in den Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen verwendet werden. Im Begleitschreiben des Sekretariats des BEK an die Gemeinden der Gliedkirchen des Bundes wird darauf verwiesen, dass das »Wort zum Frieden« Anstoß dazu geben soll, sich »auf die Ereignisse vor 40 Jahren, auf die Entwicklung seit dem Kriegsende 1945 und auf unsere heutigen Chancen und Verpflichtungen im Blick auf unsere Friedensverantwortung (zu) besinnen«.

In der Diskussion zum gemeinsamen »Wort zum Frieden« traten während der Beratung der KKL unterschiedliche Auffassungen zum Für und Wider derartiger gemeinsamer Erklärungen zwischen dem BEK und der EKD auf. Im konkreten Falle stelle diese gemeinsame Erklärung eine Kompromisslösung dar.

Bischof Dr. Leich/Eisenach, Bischof Dr. Gienke/Greifswald, Landesbischof Dr. Hempel/Dresden, Kirchenpräsident Natho/Dessau,23 Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin und Oberkirchenrat Petzold/Berlin zeigten sich enttäuscht darüber, dass es nicht gelungen sei, in dieser gemeinsamen Erklärung klare Formulierungen wie »Befreiung vom Faschismus«, »40. Jahrestag der Befreiung«, »Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung vom Hitlerfaschismus« einzubringen. Diese kirchenleitenden Personen vertraten die Auffassung, dass man in der Perspektive davon Abstand nehmen sollte, mit der EKD ein gemeinsames Papier zu gesellschaftspolitischen Höhepunkten zu erarbeiten. Es sei auch damit zu rechnen, dass die Öffentlichkeit in der DDR, aber auch die Kirchen in anderen sozialistischen Staaten ihr Unverständnis zu der diesbezüglichen Haltung des BEK äußern werden, zumal es sich beim 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus um ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung handele.

Oberkirchenrat Ziegler/Berlin24 informierte die Mitglieder der KKL über eine Einladung des Staatssekretariats für Kirchenfragen und des Nationalrates der Nationalen Front zu einer Veranstaltung am 16. April 1985 aus Anlass des 40. Jahrestages der Befreiung mit kirchlichen Amtsträgern.25

Durch die KKL wurde dazu beschlossen, dass sich deren Mitglieder nicht an dieser Veranstaltung beteiligen. Es wurde als ausreichend eingeschätzt, dass in den evangelischen Landeskirchen selbstständig Veranstaltungen aus diesem Anlass durchgeführt werden. Dem Staatsapparat sei unter der Begründung terminlicher Schwierigkeiten eine Absage mitzuteilen.

(Auf dem Frühjahrssuperintendentenkonvent in Eisenach empfahl Landesbischof Dr. Leich den anwesenden kirchlichen Amtsträgern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, allen Einladungen zu staatlichen und gesellschaftlichen Gedenkveranstaltungen anlässlich des 8. Mai 1985 nachzukommen. Als »Bedingung« für die Teilnahme nannte er, dass keine Person, für die sich die Kirche einsetze – erwähnt wurden »überzeugte Pazifisten« – angegriffen werden dürfe.)

Außerdem informierte Oberkirchenrat Ziegler/Berlin über ein gemeinsames, bereits veröffentlichtes Wort der »Aktion Sühnezeichen« (AS) in der DDR und der »Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste e.V.« (AS/F) Sitz Westberlin zum 40. Jahrestag der Befreiung.26 Die KKL missbilligte diesen »Alleingang« der »Aktion Sühnezeichen« in der DDR. Für sie gebe es nur ein gemeinsames Wort anlässlich des Tages der Befreiung, und dies sei die gemeinsame Erklärung des BEK der DDR und der EKD.

Im weiteren Verlauf der Tagung informierten die Bischöfe Dr. Hempel/Dresden und Dr. Demke/Magdeburg über anlässlich der Jahrestage der Zerstörung Dresdens und Magdeburgs stattgefundene ökumenische Gottesdienste.

Beachtenswert ist die in diesem Zusammenhang von Präsident Domsch/Dresden vertretene Auffassung, dass die kirchlichen Veranstaltungen anlässlich des Jahrestages der Zerstörung Dresdens am 13. Februar einem »Säkularisierungsprozess« unterliegen würden. Seitens des Staates werde immer mehr versucht, die kirchlichen Aktivitäten zurückzudrängen und in staatliche Veranstaltungen einzubinden sowie staatliche und gesellschaftliche Veranstaltungen in den Vordergrund zu stellen.27

Präsident Domsch informierte die KKL über ein Gespräch mit Bausoldaten28 in Doberlug-Kirchhain, [Bezirk] Cottbus. Seitens der Bausoldaten seien Beschwerden über das Auftreten und Verhalten von Offizieren der dortigen Baueinheit geführt worden. Durch diese Bausoldaten sei an die Kirchenleitung die Bitte herangetragen worden, sich diesbezüglich an das Ministerium für Nationale Verteidigung zu wenden. Gleichzeitig sei der Wunsch geäußert worden, in den Baueinheiten ältere und erfahrenere Offiziere, als das gegenwärtig der Fall sei, einzusetzen.29

Durch Oberkirchenrat Petzold/Berlin – ständiger Berater der KKL und Leiter des Diakonischen Werkes in der DDR – wurden die Teilnehmer der Tagung über die derzeitige Rentenversorgung der Diakonissen informiert.30 Er hob hervor, dass seitens des Staates die großzügigste Variante zur Anerkennung und Würdigung der Tätigkeit der Diakonissen in der DDR gefunden worden sei. Er sehe dies als Ausdruck der kontinuierlichen Fortsetzung des Weges vom 6. März 1978.

Gleichzeitig setzte er die KKL von dem Vorhaben des Staates in Kenntnis, die kirchliche Vereinigung »Brot für die Welt« mit dem Orden »Stern der Völkerfreundschaft«31 auszuzeichnen.

Durch ihn persönlich wurde dieses Vorhaben begrüßt.

Die KKL-Mitglieder lehnten einstimmig diese staatliche Auszeichnung ab, da es nach ihrer Meinung nicht üblich sei, den seelsorgerischen Auftrag einer kirchlichen Vereinigung derart zu würdigen.

Durch Oberkirchenrat Ziegler/Berlin wurde im Auftrag des Sekretariats des BEK das Problem der kirchlichen Bauprojektierung in Auswertung der Tagung der Chefjuristen der Gliedkirchen vom März 1985 in die Diskussion der Tagung der KKL eingebracht. Anlass dafür bildete die neue Projektierungsgenehmigung vom 24. Januar 1985 des Ministeriums für Bauwesen, durch die den kirchlichen Bau- und Projektierungsbüros die Genehmigung zur Projektierung für Neubauten und Leistungen im Auftrage der Außenhandelsunternehmen der DDR entzogen wurde.32

Unter den Teilnehmern der Tagung der KKL herrschte Einigkeit über die Ablehnung der neuen Projektierungsgenehmigung, da sie zu finanziellen Verlusten führe. Durch die Gliedkirchen, das Sekretariat des BEK und das Diakonische Werk soll Beschwerde beim Staatssekretariat für Kirchenfragen und beim Ministerium für Bauwesen eingelegt werden.

Nach Meinung von Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin sei die neue Projektierungsgenehmigung rechtswidrig. Er empfahl, diese zurückzuschicken.

Diesem Vorschlag soll gefolgt werden, wenn die Beschwerde über die neue Projektierungsgenehmigung nicht erfolgreich sei.

Aus diesem Grunde wird ein Gespräch durch das Sekretariat des BEK (Oberkirchenrat Ziegler/Berlin und den stellvertretenden Leiter des Sekretariats Kupas/Berlin33) mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi,34 angestrebt.

(Streng internen Hinweisen zufolge brachten u. a. Oberkirchenrat Völz/Görlitz35 und Präsident Domsch/Dresden die Befürchtung zum Ausdruck, dass die Argumente der Evangelischen Kirche durch den Staat völlig entkräftet werden. Die Katholische Kirche lasse ihre Bauten seit jeher durch staatliche Bau- und Projektierungsbüros errichten, wobei es weder finanziell noch terminlich Beanstandungen gegeben habe.

Es wurde auch darauf verwiesen, dass durch die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens der gesamte Projektierungsauftrag für die Dresdener Dreikönigskirche dem staatlichen Baubüro übertragen worden sei und es auch hier keine Beanstandungen gebe. Das staatliche Baubüro baue ebenfalls nur für Mark der DDR. Damit wären alle Valutafragen36 der kirchlichen Finanzierung geklärt.)

Der Vorsitzende der KKL, Landesbischof Dr. Hempel, gab während der Tagung die Erklärung ab, nach der Neuwahl der Synode des BEK im Januar 1986 vom Amt des Vorsitzenden der KKL zurückzutreten.

Er habe diese Funktion als Übergangslösung angesehen, nachdem Bischof Krusche/Magdeburg37 als ehemaliger Vorsitzender der KKL in den Ruhestand getreten sei. Aufgrund seines Amtes als Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und in seiner Funktion als einer der Präsidenten des ökumenischen Rates der Kirchen sei er ausgelastet und könne deshalb den Vorsitz in der KKL nicht weiterführen.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument Berliner Bischofskonferenz (1)

    25. März 1985
    Information Nr. 117/85 über die Tagung der Berliner Bischofskonferenz vom 4. bis zum 6. März 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin

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    19. März 1985
    Weitere Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf die Veröffentlichungen in unseren Massenmedien zu den Rückkehrabsichten ehemaliger DDR-Bürger (3. Bericht) [O/138b]