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Konferenz der Ev. Kirchenleitungen der DDR (4)

13. September 1985
Information Nr. 386/85 über die 100. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) am 30. und 31. August 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin

Die 100. ordentliche Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL)1 wurde im Gebäude des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) durchgeführt. Außer den aus dienstlichen Gründen an der Teilnahme verhinderten Bischöfen Leich/Eisenach2 und Gienke/Greifswald3 waren alle anderen Bischöfe und die Leiter der kirchlichen Verwaltungseinrichtungen der Evangelischen Landeskirchen sowie die synodalen Mitglieder der KKL anwesend.

Charakteristisch für diese Beratung, die unmittelbar der Vorbereitung der 5. Tagung der IV. Synode des BEK vom 20. bis 24. September 1985 in Dresden4 diente, war das Bemühen der Organisatoren um absolute Vertraulichkeit hinsichtlich der Behandlung der Probleme und des Umgangs mit Dokumenten (letztere wurden zum Teil als nummerierte Exemplare verteilt und mussten bei Verlassen des Tagungsraumes abgegeben bzw. nach Beendigung der KKL-Sitzung an die Redaktionsgruppe zurückgegeben werden).

Trotz der den Landeskirchen vor der Tagung gegebenen Orientierungen zur Sammlung und Katalogisierung von Themen und Problemkreisen in Vorbereitung eines kirchlicherseits angestrebten Gesprächs mit höchsten Repräsentanten der DDR war dies nicht Gegenstand der Tagung der KKL. (Die genannte Problematik wurde lediglich am Rande einer Diskussion im Zusammenhang mit der Betreuung älterer Menschen berührt.)5

Streng vertraulich wurde bekannt, im Vorstand der KKL sei entschieden worden, die Problematik »Spitzengespräch« nicht auf die Tagesordnung der 100. Tagung zu setzen, um den »strengsten internen Charakter der kirchlicherseits dazu laufenden Vorbereitungen« nicht zu gefährden. Man wolle darüber hinaus in der Vorbereitungsphase eines derartigen Gespräches Störfaktoren in Form von Indiskretionen und Sensationsmeldungen westlicher Nachrichtenagenturen vermeiden.

(Erfahrungen hätten gezeigt, dass das in der KKL Erörterte in kürzester Zeit in der BRD bekannt sei.)

Den Schwerpunkt der Tagung bildete die Beratung des Entwurfes des Berichtes der KKL an die Synode des BEK.

Vorliegenden streng vertraulichen Informationen zufolge wurde zu diesem Bericht, der durch Bischof Demke/Magdeburg,6 Oberkirchenratspräsident Müller/Schwerin7 und Superintendent Jaeger/Nordhausen8 erarbeitet wurde, bekannt:

Er gebe – ausgehend von vorwiegend realistischen Positionen – einen Rückblick auf die gesamte Legislaturperiode der IV. Synode des BEK und stelle gewissermaßen eine innerkirchliche Bestandsaufnahme dar. Kritisch aufgezeigt und geprüft werden soll u. a., was an Substanz in den Kirchengemeinden vorhanden sei und ob die Kirche nicht zu »vollmundig« spreche angesichts der Tatsache, dass ihre Gemeinden einem Schrumpfungsprozess unterliegen, während im Gegensatz dazu andere Bereiche der Gesellschaft einen deutlichen Aufwärtstrend aufweisen würden.

Relativ umfassend sei der politische Teil des Berichtsentwurfes gefasst, in dem die Friedensbemühungen von Staat und Kirche in Vergangenheit und Gegenwart, die erzielten Ergebnisse bei der Sicherung des Friedens und im Entspannungsprozess, aber auch das »Eingeständnis der Schuld und des Versagens der Kirche« im Kontext zum 40. Jahrestag der Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus hervorgehoben wurden. Positiv gewürdigt werde die im Zusammenhang mit dem 40. Jahrestag der Befreiung »weithin gefundene Übereinstimmung innerhalb unserer Gesellschaft und unseres Staates«. Landesbischof Hempel/Dresden9 brachte den Gedanken ein, bei Berücksichtigung der Leiden der sowjetischen Völker im Zweiten Weltkrieg ihnen heute besonders sensibel zu begegnen.

Eindeutig werde im Berichtsentwurf formuliert, dass die Erhaltung des Friedens die Hauptfrage sei, der sich alles »andere« unterzuordnen habe (vorbehaltlos wurde das SDI-Programm der USA10 abgelehnt). Diese »anderen Fragen und Probleme« dürften jedoch nicht unter den Tisch fallen, sondern müssten auch weiterhin angesprochen werden. Darunter befänden sich Fragen wie

  • Rolle des militärischen Faktors im Leben der Gesellschaft in der DDR (»Für viele Menschen in der DDR sei nicht mehr nachvollziehbar, weshalb unser gesellschaftliches Leben in solch starkem Maße militarisiert sei«) und

  • Bedeutung der Ableistung des Wehrdienstes für die Berufs- und Studienwahl.

Im Bericht werde ferner darum gebeten, in Fortsetzung der Verwirklichung der Schlussakte von Helsinki11 den Bürgern der DDR mehr Vertrauen entgegenzubringen, da diese zu einer eigenständigen Meinungsfindung in der Lage wären. (Nicht jede Kritik bedeute, den Sozialismus infrage zu stellen.)

Inhalt des Berichtsentwurfes waren weiterhin Aussagen über die ökumenischen Beziehungen zu anderen Kirchen sowie über die »Bach12-, Händel13-, Schütz14-« und die »Bugenhagen15-Ehrungen«.

Entgegen der sonst üblichen Verfahrensweise wurde während der 100. Tagung kein Bericht des Vorstandes der KKL abgegeben.

Im Rahmen der Berichterstattungen der Landeskirchen informierte Landesbischof Stier/Schwerin16 über die vom 2. bis 11. August 1985 durchgeführte Mecklenburger »Friedenswanderung«17 (vgl. Information des MfS Nr. 360/85 vom 24. August 1985) und wies darauf hin, dass es in diesem Zusammenhang keine Vorkommnisse gegeben habe.

Kritisch bemerkte er, dass zur Benennung derartiger Veranstaltungen (»Mobiles Friedensseminar«) das Wort Frieden fehl am Platz sei. (Wenn 20 oder 30 Personen gemeinsam wandern und meditieren, habe dies nichts mit Frieden zu tun; eine derartige Auffassung wäre Hochstapelei und Übertreibung.)

Konsistorialpräsident Kramer/Magdeburg18 informierte über die Inhaftierung und Aburteilung eines gedienten Reservisten der NVA wegen Verweigerung des Reservistendienstes mit der Waffe. (Die genannte Person wurde am 28. August 1985 gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu einer Haftstrafe von vier Monaten verurteilt und unter Anrechnung der Untersuchungshaft bereits vorzeitig aus dem Strafvollzug entlassen. Die vorzeitige Haftentlassung wurde gegenüber Bischof Demke/Magdeburg genutzt, um staatliches Entgegenkommen zu verdeutlichen.)

Über neue »Erschwernisse« in der Reisetätigkeit kirchlicher Amtsträger berichteten Konsistorialpräsident Kramer/Magdeburg und Präsident Domsch/Dresden.19 Letzterer wies auf eine nicht zustande gekommene Einladungsreise nach Frankreich zur Weltversammlung der ökumenischen Bruderschaft von Taize20 hin, weil von den sechs seitens der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vorgesehenen Repräsentanten lediglich drei Personen eine Reisegenehmigung erteilt wurde. (Wie die Überprüfung dazu ergab, wurde durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen in Abstimmung mit der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED Präsident Domsch mitgeteilt, dass die beantragte Zusammensetzung der Delegation – ein Theologe, fünf kirchliche Laien – staatlicherseits nicht akzeptiert werden könne, da vier der fünf Laien als Erstreisende eingereicht wurden und dem theologischen Charakter der Veranstaltung in Taize eine andere Zusammensetzung der Delegation besser entsprechen würde.

Präsident Domsch übermittelte staatliche Empfehlungen hinsichtlich der Korrektur der Zusammensetzung der Delegation wurden von diesem zurückgewiesen und der Antrag auf Erteilung einer Reisegenehmigung zurückgezogen.)

Die geführte Diskussion zum Problem Reisetätigkeit ordnet sich ein in zunehmende Versuche kirchenleitender Kräfte, die Reisetätigkeit in nichtsozialistische Staaten auszuweiten und vor allem immer mehr kirchliche Laien darin einzubeziehen.

Im Rahmen der Berichterstattung der Landeskirchen informierte Bischof Forck/Berlin21 über die Absicht der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, aus Anlass des 750-jährigen Jubiläums von Berlin in der Hauptstadt der DDR22 einen Kirchentag durchzuführen. Unter Beachtung auch der »Sorgen, die staatlicherseits aufgrund der besonderen Situation von Berlin existieren«, wolle man einen »ganz normalen« Kirchentag organisieren.

Im Verlaufe der KKL-Tagung gab Landesbischof Hempel/Dresden einen mündlichen Bericht über die Tagung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK)23 vom 28. Juli bis 8. August 1985 in Buenos Aires.

Hempel hob u. a. hervor, dass im ÖRK beraten wurde über die enge Verklammerung von Frieden und Gerechtigkeit (der ÖRK plane, im Jahre 1991 eine »Konferenz über Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung« durchführen und diese durch regionale Konferenzen vorbereiten zu wollen) sowie über das Problem »Überlebensmöglichkeiten«.

Ferner seien sehr gegensätzliche Diskussionen darüber geführt worden, ob Waffengewalt in der Gegenwart noch als Mittel der Politik zu rechtfertigen wäre. Waffengewalt als letztes Mittel der Politik wäre besonders im Hinblick auf die nationale Befreiungsbewegung befürwortet worden.

Die Tagung der KKL verabschiedete ein Telegramm an den Südafrikanischen Kirchenrat mit einer Solidaritätserklärung (mit denen, die in Südafrika für die Gerechtigkeit einstehen) und einer Verurteilung der Apartheid-Politik des dortigen Rassistenregimes. In diesem Zusammenhang äußerte Landesbischof Hempel, im Ergebnis auch seiner Konsultationen und Gespräche während der Tagung des ÖRK habe sich bei ihm der Eindruck verstärkt, dass die Situation in Südafrika nicht mehr auf friedlichem Wege zu lösen sei.

Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

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    16. September 1985
    Information Nr. 388/85 über die Verletzung des Luftraumes der DDR durch ein einmotoriges Flugzeug der BRD am 13. September 1985 im Kreis Worbis, Bezirk Erfurt

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    11. September 1985
    Information Nr. 387/85 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 2. September 1985 bis 8. September 1985