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Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen der DDR (2)

29. Mai 1985
Information Nr. 231a/85 über die 98. ordentliche Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) am 10. und 11. Mai 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin

An den im Gebäude des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) durchgeführten Beratungen nahmen der Vorsitzende der KKL,1 Bischof Hempel/Dresden,2 alle Bischöfe (ausgenommen die Bischöfe Forck/Berlin3 und Gienke/Greifswald4 – abwesend gewesen wegen der Betreuung ausländischer ökumenischer Gäste), die Leiter der Verwaltungseinrichtungen der Gliedkirchen sowie alle synodalen Mitglieder der KKL teil.

Im Mittelpunkt der Tagung standen:

  • Auswertung der kirchlichen Veranstaltungen anlässlich des 40. Jahrestages des Sieges über den Hitlerfaschismus und der Befreiung des deutschen Volkes,5

  • Berichte aus den Gliedkirchen und dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in der DDR,

  • Diskussion zur Vorbereitung eines vom Vorstand der KKL angestrebten Gespräches mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker,6

  • Vorbereitung der Synode des BEK vom 20. bis 24. September 1985 in Dresden,7

  • innerkirchliche und theologische Fragen (u. a. Berufung von Sekretären und Referenten des BEK).

Auf der Tagung wurden vielfältige, das Verhältnis Staat – Kirche berührende Probleme und Fragen behandelt. Beachtenswert ist die vorgenommene umfassende Wertung der staatlichen und kirchlichen Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem 40. Jahrestag, in der erneut überwiegend politisch realistische Positionen zum Ausdruck gebracht wurden. Deutlich sichtbar wurde das Interesse der Mitglieder der KKL am baldigen Zustandekommen eines Grundsatzgespräches des Vorstandes der KKL mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker.

Von den Teilnehmern der Tagung der KKL wurden zu den einzelnen Sachproblemen folgende beachtenswerte Aussagen getroffen:

Im Zusammenhang mit der Auswertung durchgeführter staatlicher und kirchlicher Veranstaltungen zum 40. Jahrestag begrüßte es Präsident Domsch/Dresden,8 dass es staatlicherseits eine »Klarstellung« der Ereignisse um den 8. Mai 1945 gegeben habe, da in entsprechenden Reden staatlicher Vertreter seiner Auffassung zufolge zum Ausdruck gekommen sei, der Zweite Weltkrieg habe auch für das deutsche Volk schmerzliche Verluste gebracht; viele Deutsche hätten ihre Heimat verloren und die Zerschlagung des Faschismus aufgrund eigener Erlebnisse in der unmittelbaren Nachkriegszeit subjektiv nicht als Befreiung empfunden, zumal es auch 1945 »Übergriffe und Härten durch die Sowjetarmee« gegenüber bestimmten Bevölkerungskreisen gegeben hätte.

Bischof Hempel und Oberkirchenrat Petzold/Berlin9 sprachen sich anerkennend über die ihrer Meinung nach sehr ausgewogene Rede des Präsidenten der Volkskammer, Genossen Sindermann,10 auf der Festveranstaltung am 7. Mai 1985 im Palast der Republik aus.11 Er habe deutlich ausgesprochen, dass »auf das deutsche Volk viel Leid zurückgekommen sei und viele Deutsche ihre nächsten Angehörigen verloren hätten«. Bei früheren Reden habe man sich staatlicherseits zu schnell und zu vereinfacht auf die Seite der Sieger gestellt und die jahrelange massive faschistische Verhetzung des deutschen Volkes sowie damit verbundene Wirkungen völlig außer Acht gelassen

Im Ergebnis dieser Diskussion erklärten Bischof Leich/Eisenach,12 Bischof Demke/Magdeburg13 und Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin,14 man könne im Ergebnis aller Aktivitäten zum 40. Jahrestag in vielen Fragen eine große Übereinstimmung zwischen staatlichen und kirchlichen Positionen feststellen. Das betreffe insbesondere die gemeinsamen Interessen an der Erhaltung des Weltfriedens, der Durchsetzung eines Rüstungsstopps und der Verhinderung der »Sternenkriegspläne« der USA.15

Hervorgehoben wurde in der Diskussion, die von den evangelischen Landeskirchen durchgeführten Veranstaltungen sowie die im Zeitraum vom 8. bis 10. Mai 1985 stattgefundenen zentralen Veranstaltungen des BEK seien von den anwesenden ausländischen ökumenischen Gästen als ein würdiger Beitrag zur »Versöhnung« und zur »Erhaltung des Friedens« eingeschätzt worden.

In einem drei Punkte umfassenden Resümee dieses Jubiläums wurde durch die KKL herausgearbeitet:

  • 1.

    Der Kampf um die Erhaltung des Weltfriedens sei noch zu keinem Zeitpunkt so ernst und bedeutsam gewesen wie derzeitig. Jetzt sei es noch möglich, Rüstungskontrolle und Abrüstung zu erreichen. Sollten jedoch die »Sternenkriegspläne« der USA realisiert werden, gebe es keine Kontrolle mehr. Die Folgen wären verheerend.

  • 2.

    Die Generation, welche den Zweiten Weltkrieg und die Gräueltaten des Faschismus bewusst miterlebt habe bzw. Opfer des Naziregimes war, sei jetzt so alt, dass sie einen 50. Jahrestag voraussichtlich nicht mehr erleben werde. Es sei der Wunsch dieser Generation, die Weltöffentlichkeit nochmals auf die Bedeutung des Zweiten Weltkrieges und der dabei begangenen Verbrechen und auf die darauffolgenden 40 Jahre Frieden aufmerksam zu machen.

  • 3.

    Die Zahl 40 sei eine historische Zahl, die in der biblischen Geschichte mehrfach Bedeutung habe.

Im Rahmen der Berichterstattung der Gliedkirchen informierte Konsistorialpräsident Kramer/Magdeburg16 darüber, dass aus dem Raum Magdeburg Hinweise über neue Erschwernisse durch die Wehrkreiskommandos der NVA vorliegen würden. Wiederholt seien Personen, die für den Dienst in Baueinheiten der NVA17 gemustert wurden und anschließend ein Ersuchen auf Übersiedlung in das nichtsozialistische Ausland gestellt haben, für den aktiven Wehrdienst mit der Waffe vorgesehen worden. (Überprüfungen ergaben, dass es im Bereich des WBK Magdeburg keine diesbezüglichen Fälle gegeben hat.)

Oberkirchenrat Petzold teilte weiter mit, dass es eine vom Ministerium für Gesundheitswesen der DDR herausgegebene neue Weisung über die seelsorgerische Betreuung von Patienten in staatlichen Krankenhäusern geben solle, nach der es kirchlichen Amtsträgern außerhalb der festgelegten Besuchszeiten nicht mehr gestattet sei, seelsorgerische Krankenbesuche durchzuführen. In der Diskussion hierzu wurde teils Empörung über diese angebliche Neuregelung zum Ausdruck gebracht, teils die Auffassung vertreten, diese neue Regelung käme der Kirche entgegen, weil das Aufsuchen der einzelnen Patienten während der Besuchszeit öffentlichkeitswirksamer sei und Gelegenheit biete, »kleine Gottesdienste« für Patienten und Besucher abzuhalten.

Im Ergebnis der Diskussion wurde beschlossen, in der nächsten Zeit diese Angelegenheit im Bereich aller Landeskirchen zu prüfen und bei Feststellungen der praktischen Anwendung dieser neuen Weisung des Ministeriums für Gesundheitswesen seitens des Vorstandes der KKL und der Leitungen der Gliedkirchen sowie des Diakonischen Werkes offensiv dagegen aufzutreten.

(Überprüfungen ergaben, dass eine derartige Weisung nicht erlassen wurde; gültig ist nach wie vor eine mündliche Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Gesundheitswesen der DDR und dem Diakonischen Werk – Innere Mission und Hilfswerk – der Evangelischen Kirchen in der DDR, wonach es kirchlichen Amtsträgern gestattet ist, auf entsprechenden Wunsch von Patienten während und außerhalb der Besuchszeit seelsorgerische Betreuung in staatlichen Krankenhäusern vorzunehmen.)

Durch den Leiter des Sekretariats des BEK, Oberkirchenrat Ziegler/Berlin,18 wurde auf der Tagung darüber informiert, dass ein vom Arbeitskreis »Wehrfragen« des »Friedenskreises« der Samaritergemeinde in der Hauptstadt der DDR, Berlin,19 im Februar/März 1984 in Form einer Eingabe an staatliche Organe erarbeitetes Positionspapier unter dem Motto »Vertrauen wagen« an das Sekretariat des BEK mit der Bitte um »Weiterleitung an den Staat« übergeben wurde. (Es beinhaltet einen Protest gegen die Gegenmaßnahmen der Regierung der DDR im Zusammenhang mit der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen der USA in West-Europa, verbunden mit Forderungen an die DDR, diese rückgängig zu machen. Von den Verfassern wurde hierzu eine Unterschriftensammlung durchgeführt.)20 Nach der Diskussion darüber schlossen sich die Teilnehmer der KKL-Tagung der Auffassung des Sekretariats des BEK an, trotz Übereinstimmung mit dessen Inhalt dieses Positionspapier nicht an staatliche Stellen zu übergeben, da es nicht die geeignete Methode zur Realisierung des »Sachanliegens« sei.

Konsistorialpräsident Stolpe informierte die Tagung über ein Treffen von Vertretern der Arbeitsgruppe »Menschenrechte« des BEK mit Mitarbeitern des Staatssekretariats für Kirchenfragen der DDR am 18. April 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin.21

Er teilte mit, Inhalt der dabei geführten Gespräche sei die Erörterung der Zusammenhänge von individuellen und sozialen Menschenrechten sowie von Frieden und Menschenrechten gewesen. Stolpe kündigte die Fortsetzung dieser Gespräche zum Thema »Toleranz« nach dem derzeit stattfindenden Expertentreffen über die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Ottawa an.22

Umfangreiche Diskussionen wurden auf der Tagung zur Vorbereitung eines Seitens des Vorstandes der KKL angestrebten Gespräches mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR geführt. Die Tagungsteilnehmer beschlossen mit einer intensiven »Themen- und Materialsammlung« zu »Sachfragen« für ein solches Treffen zu beginnen, ohne dafür konkrete Inhalte zu bestimmen. Festgelegt wurde, auf der Synode des BEK im September 1985 die inhaltlichen Schwerpunkte für ein derartiges Grundsatzgespräch intensiv zu beraten.

Die Diskussion zu dieser Thematik ließ die Absicht des Vorstandes der KKL erkennen, ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR noch im Jahre 1985 durchführen zu wollen, da mit der Neukonstituierung der Synode des BEK im Januar 1986 auch eine Neuwahl der KKL und ihres Vorstandes erfolgt. (Bischof Hempel hat bereits seine Absicht erklärt, von seinem Amt als Vorsitzender der KKL zurückzutreten.) In diesem Zusammenhang wurden auch andeutungsweise Spekulationen über im Ergebnis des XI. Parteitages der SED23 eintretende mögliche personelle Veränderungen in der Partei- und Staatsführung der DDR geäußert.

Auf der Tagung der KKL wurde in Abstimmung mit dem Präsidium der Synode des BEK die Tagesordnung für die nächste Bundessynode im September 1985 festgelegt. Neben den Berichten der KKL und des Diakonischen Werkes wird die Synode u. a. über die weitere Gestaltung des Theologie-Studiums und über Ziele und Inhalte kirchlicher Jugendarbeit beraten. Mit der Ausarbeitung des Berichtes der KKL an die Bundessynode wurden Bischof Demke/Magdeburg, Superintendent Jaeger/Nordhausen24 und Oberkirchenratspräsident Müller/Schwerin25 in Abstimmung mit Bischof Hempel beauftragt.

Die KKL beschloss die erneute Berufung der Referenten des BEK

  • Oberkirchenrat Dr. von Rabenau/Berlin26 zum Sekretär der Kommission für Ausbildung des BEK (bis 1989),

  • Pfarrer Günther/Wilhelmshorst27 zum Referenten für Presse und Information (bis 1990),

  • Pastorin Herrbruck/Berlin28 zum Sekretär der ökumenischen Kommission (bis 1990)

und die Verlängerung der Berufungszeiträume für die Referenten des BEK

  • Pfarrer Dorgerloh/Potsdam29 als Sekretär der Kommission für kirchliche Jugendarbeit (bis 1987),

  • Oberkirchenrätin Küntscher/Berlin30 als Referentin des Rechtsausschusses (bis 1987),

  • Oberkirchenrätin Lewek/Berlin31 als Referentin des Ausschusses Kirche und Gesellschaft (bis 1987).

Die genannten kirchlichen Amtsträger sind insgesamt als politisch loyal einzuschätzen.

Entsprechend einer Forderung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, die Präambel der Grundartikel einer zukünftigen Vereinigten Evangelischen Kirche in der DDR (VEK) zu überarbeiten, wurde auf der KKL-Tagung eine Arbeitsgruppe gebildet mit dem Auftrag, entsprechende Vorschläge bis September 1985 zu unterbreiten, um sie danach erneut durch die Synoden der evangelischen Landeskirchen und durch die entsprechenden kirchenleitenden Gremien erörtern zu lassen.

(Die genannten Grundartikel einer zukünftigen VEK in Form einer »Kirchlichen Verfassung« wurden bereits 1978 entworfen und besonders in den Jahren 1983/84 in den Synoden der evangelischen Landeskirchen diskutiert. Die Bildung einer alle Gliedkirchen und föderativen kirchlichen Zusammenschlüsse umfassenden VE scheiterte bisher am Einspruch der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.)32

Der genannten Arbeitsgruppe gehören die Vorsitzenden und Stellvertreter sowie die Vorsitzenden der Rechtsausschüsse aller kirchenleitenden Gremien der evangelischen Kirchen in der DDR an.

Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

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    29. Mai 1985
    Information Nr. 231b/85 über die 98. ordentliche Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) am 10. und 11. Mai 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin (Kurzfassung)

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    24. Mai 1985
    Hinweis zu Vorkommnissen mit Straftatencharakter durch Angehörige der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 1985 [K 2/37]