Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen der DDR (3)
19. Juli 1985
Information Nr. 309/85 über die 99. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) am 5. und 6. Juli 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin
An den im Gebäude des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) durchgeführten Beratungen nahmen u. a. die Bischöfe Forck/Berlin1 und Stier/Schwerin,2 Kirchenpräsident Natho/Dessau3 sowie die Leiter der kirchlichen Zusammenschlüsse teil.
(Die Bischöfe Demke/Magdeburg,4 Gienke/Greifswald,5 Leich/Eisenach6 und Hempel/Dresden7 waren nicht anwesend. Für Bischof Gienke war durch die Evangelische Landeskirche Greifswald auch kein Vertreter entsandt worden).
Im Mittelpunkt der Tagung standen:
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Berichte aus den evangelischen Landeskirchen und dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirchen in der DDR,
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Beschlussfassung einer Stellungnahme der KKL8 zum 10. Jahrestag der Unterzeichnung der Schlussakte der KSZE von Helsinki,9
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Reaktionen zum »Wort zum Frieden« des BEK und der »EKD«,10
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Beschlussfassung über Vorbereitungsmaterialien zur »Friedensdekade 1985«,11
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weitere Vorbereitung eines »Spitzengespräches« zwischen dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen und dem Vorsitzenden des Staatsrates,
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innerkirchliche und theologische Fragen (Beschlussfassung zur Durchführung von Arbeitstagungen des ökumenischen Rates der Kirchen – ÖRK12 – in der DDR).
Im Rahmen der Berichte aus den Landeskirchen informierte Bischof Forck über die am 29./30.6.1985 stattgefundene »Friedenswerkstatt 1985« der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg in der Hauptstadt Berlin.13 Er betonte, die Veranstaltungen seien »im Wesentlichen ohne Probleme« verlaufen. Offensichtlich im Ergebnis mehrerer Gespräche, die Seitens zuständiger staatlicher Stellen in der Vergangenheit mit Forck geführt wurden, räumte er »Bedenken« zum Auftreten bestimmter Liedermacher im Rahmen kirchlicher Veranstaltungen ein, zumal diese auch während der »Friedenswerkstatt« mit »unsauberen, unseriösen und schmutzigen Liedern« aufgetreten seien. Ihr Auftreten würde dem Staat Gelegenheit zu Protest bieten, »das muss nicht sein«. Er hob weiter hervor, es sei richtig gewesen, dem ARD-Korrespondenten Merseburger14 kirchlicherseits im Einvernehmen mit den staatlichen Institutionen keine Genehmigung für Filmaufnahmen in der Erlöserkirche Berlin-Lichtenberg zur »Friedenswerkstatt 1985« zu erteilen, da Merseburger »unberechenbar« sei. Dass er trotzdem ohne Genehmigung auf dem Außengelände gefilmt habe, gehöre nicht in die Verantwortung der Kirche.
Konsistorialpräsident Kramer/Magdeburg15 berichtete über die 3. Tagung der X. Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (Sondersynode 13. bis 16.6.1985 in Erfurt) dahingehend, dieses Forum sei durch die Thematik »Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung« »überfordert« gewesen. Es wären eine Vielzahl von Problemen »angerissen« worden, die aufgrund der Vielfalt und Kompliziertheit nicht ausdiskutiert werden konnten.
Im Ergebnis der Synodaltagung habe die Kirchenleitung nicht ausdiskutierte Fragen, darunter die der Synode vorgelegenen 28 Eingaben, wieder »auf dem Tisch« (siehe Information des MfS Nr. 289/85 vom 8.6.1985) und fühle sich nicht in der Lage, sie zu bewältigen. (Es blieb bei dieser Feststellung; Schlussfolgerungen wurden nicht vorgetragen.)
Oberkirchenrat Mitzenheim/Eisenach16 erstattete Bericht über den Verlauf des »Landesjugendsonntags« der Evangelischen Kirche in Thüringen (9.6.1985 in Eisenach, ca. 12 000 jugendliche Teilnehmer)17 und schätzte ein, es wäre verstanden worden, eine »Verkirchlichung« dieser Veranstaltung zu erreichen und »das fromme Anliegen« deutlich zu machen. Intern äußerte er, dadurch sei ein »Ausklinken staatlicher Probleme« erreicht worden.
Oberkirchenrat Petzold/Berlin18 informierte über die erfolgte staatliche Genehmigung der durch das Diakonische Werk der Evangelischen Kirchen in der DDR beantragten Baubilanzen in Höhe von 44 Mio. Mark für den nächsten Fünf-Jahrplanzeitraum. Weitere Gespräche mit zuständigen staatlichen Stellen würden Seitens des Diakonischen Werkes angestrebt, da die vorgeschriebene Verteilung und Bilanzierung der Summe auf bestimmte Objekte nicht ihren Vorstellungen entsprächen und das Ministerium für Bauwesen bestehende Dringlichkeiten nicht voll berücksichtigt habe. Das beträfe u. a. die dringend notwendige Erweiterung des »Königin-Elisabeth-Hospitals« Herzberge sowie Um- und Ausbauten in den Diakonieanstalten Züssow (Einbau eines Fahrstuhles für Behinderte).
Durch die 99. Tagung der KKL wurde eine Stellungnahme »Zehn Jahre Schlussakte von Helsinki« verabschiedet (wird als Anlage beigefügt). Die Stellungnahme ist als politisch loyal einzuschätzen und trägt Appell-Charakter, gerichtet an die Regierungen beider deutscher Staaten. Sie werden u. a. aufgefordert, »alles zu tun, um ihrer besonderen Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit zu entsprechen«.
Des Weiteren enthält das Dokument ohne Bezugnahme auf die gegenwärtigen Regelungen im Reiseverkehr zwischen der DDR und der BRD bzw. Westberlin folgende beachtenswerte Aussage: »Aber auch die Möglichkeiten der Begegnung der Menschen in den deutschen Staaten sollten nicht länger hinter international üblichen Regelungen zurückbleiben«.
Mit dieser Stellungnahme wird offensichtlich das Ziel verfolgt, gegenüber westlichen Kirchen ihr Engagement und Mitspracherecht in politischen Grundfragen zu dokumentieren.
Durch die KKL wurde für die Veröffentlichung dieser Stellungnahme eine Sperrfrist bis einschließlich 29.7.1985 festgelegt. Sie wurde am 17.7.85 dem Staatssekretariat für Kirchenfragen durch Kurier zur Weiterleitung an den Vorsitzenden des Staatsrates übergeben.
In einer Diskussion zum gemeinsamen »Wort zum Frieden« des BEK und der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (»EKD«) zum »40. Jahrestag des Endes des 2. Weltkrieges« stellte die KKL übereinstimmend fest, damit sei »ein echter Beitrag zur Gemeinsamkeit der evangelischen Kirchen in beiden deutschen Staaten« geleistet worden. Besonders hoch zu werten sei das Zustandekommen des gemeinsamen Wortes trotz unterschiedlicher gesellschaftlicher Bedingungen und politischer Einbindung beider deutscher Staaten. An der Basis in den Gemeinden der DDR werde das zentrale Anliegen nicht immer erkannt; deshalb sei das »Wort« für sie »wenig aufregend vom Inhalt« gewesen, und teilweise hätten Vorstellungen hinsichtlich kritischer Aussagen zur Friedenspolitik der DDR bestanden.
Der Vorstand der KKL legte der 99. Tagung eine etwa 50 Schreibmaschinenseiten umfassende »Materialmappe Friedensdekade 1985«,19 die unter dem Thema »Frieden wächst aus Gerechtigkeit« im November 1985 stattfinden wird, vor. Das Material wurde von der KKL bestätigt und soll den evangelischen Landeskirchen in der DDR zugestellt werden.
Die »Materialmappe Friedensdekade 1985«, die in Anlehnung an die Vorgaben der »Friedensdekaden« vergangener Jahre aufgebaut ist, orientiert inhaltlich überwiegend auf religiöse Themenstellungen und biblische Gleichnisse. Das Material enthält neben Vorschlägen zur Durchführung von sogenannten Seminaren zur »Friedensdekade« Gebetsanregungen, Texte für tägliche Andachten, umfangreiche Auszüge und Zitate aus politisch positiv zu wertenden Erklärungen internationaler kirchlicher Gremien (»Erklärung zu Frieden und Gerechtigkeit«/Vancouver 1983,20 »Weltraum ohne Waffen«/»Rundtischgespräch zum Verbot der Nutzung des Weltraums für militärische Zwecke«, Moskau 198421).
Es ist aber zu beachten, dass im Material enthaltene biblische Gleichnisse zur Thematik Frieden und Gerechtigkeit bei der praktischen Umsetzung an der Basis Ansatzpunkte für bekannte kirchliche Forderungen und Standpunkte zu Problemen der Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR sowie der Volksbildung bieten könnten. (Die »Materialmappe« liegt dem MfS vor und kann bei Bedarf angefordert werden.)
Wie bereits auf der 98. Tagung der KKL (10./11.5.1985) angekündigt, wurde die Diskussion über ein Seitens des Vorstandes der KKL angestrebtes Gespräch mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Honecker,22 noch im Jahre 1985 fortgesetzt (siehe Information des MfS Nr. 231/85 vom 29.5.1985). Es wurde beschlossen, einen »Themenkatalog« für dieses Gespräch zusammenzustellen. Der Themenkatalog soll »alle noch offenen Fragen« enthalten, darunter: Gespräch mit zuständigen Vertretern der Volksbildung, Probleme der »Benachteiligung« von Christen, Fragen der Friedens- und Umweltpolitik, Anfragen nach Sendezeiten religiöser evangelischer Programme im 1. Fernsehprogramm der DDR.
Aus der Diskussion war zu entnehmen, dass sich kirchlicherseits die Fiktion, dass ein Gespräch noch im Jahre 1985 stattfinden könnte, verfestigt hat.
In diesem Zusammenhang wurde Seitens der KKL »das Fehlen von Aktivitäten« Seitens des Staatssekretariats für Kirchenfragen zur Vorbereitung des Gesprächs bedauert und festgelegt, in nächster Zeit in dieser Frage Verbindung mit dem Staatssekretariat für Kirchenfragen aufzunehmen. Es wurde betont, die Behandlung aller Probleme solle durch die noch zu benennenden kirchlichen Vertreter »dezent und sachlich« erfolgen. Außerdem wurde der Vorschlag unterbreitet, als Teilnehmer an dem »Spitzengespräch« auch den Leiter des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Oberkirchenrat Petzold/Berlin, einzubeziehen, um anstehende Fragen an Ort und Stelle klären zu können.
Die Konferenz beschloss auf Empfehlung der gemeinsamen Einrichtung Ökumene des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR, 1986 die gemeinsame Tagung der Kommission des »ökumenischen Rates der Kirchen« (ÖRK) »Glauben und Zeugnis« (Glaube und Kirchenverfassung, Weltmission und Evangelisation, Kirche und Gesellschaft, Dialog mit den Religionen) für den 13. bis 20.7.1986 nach Potsdam einzuladen. Die Durchführung und Organisation der Tagung soll durch den BEK und die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg erfolgen. Es werden ca. 180 Teilnehmer als Gäste erwartet.
Die Konferenz beschloss die Berufung von Oberkonsistorialrat Harder/Greifswald23 in den Ausschuss für Organisations-, Verwaltungs- und Rechtsfragen (Rechtsausschuss) der KKL. Harder, der eine juristische Ausbildung absolviert hat, tritt die Nachfolge von Oberkonsistorialrat Plath24 (Ausbildung: Theologe), dessen Amtszeit abgelaufen ist und der nicht wiedergewählt wurde, an.
(Harder trat bisher nicht feindlich-negativ auf; seine Haltung ist von starkem Taktieren gekennzeichnet; er zeigt sich gesprächsbereit mit staatlichen Organen; er unterhält zahlreiche Verbindungen in die BRD).
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 309/85
Stellungnahme der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der Deutschen Demokratischen Republik
Zehn Jahre Schlussakte von Helsinki
Am 1. August 1975 erklärten die Staaten Europas und Nordamerikas in der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ihren Willen, für einen dauerhaften Frieden zwischen den Völkern, für freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten und für verbesserte Rechte und Lebensmöglichkeiten der Menschen einzutreten.
Die Kirchen haben diese verbindliche Absichtserklärung der Regierungen als Zeichen der Hoffnung auf den Beginn einer neuen Entwicklung in den Beziehungen der Staaten, der Völker und ihrer Menschen untereinander dankbar begrüßt. Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR hat den Prozess der Verwirklichung der Schlussakte von Helsinki seither mit den ihm gegebenen Mitteln und Möglichkeiten unterstützt und begleitet.
Wir schulden jenen verantwortlichen Politikern in Ost und West Dank, die trotz aller Gefährdungen und Belastungen der letzten Jahre den Weg von Helsinki weiter gegangen sind und auch in schwieriger Zeit in weiteren Konferenzen und in bilateralen Begegnungen den Dialog fortgesetzt haben.
Am 1. August 1985 werden die Außenminister der Signatarstaaten der Schlussakte in Helsinki zusammentreten.25 Wir erklären deshalb zu diesem Zeitpunkt:
Vertrauen, Dialog und Gewaltverzicht müssen in den internationalen Beziehungen an die Stelle von Misstrauen, Feindseligkeiten und Androhung von Gewalt treten.
Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre, in denen es immer wieder zu Konfrontationen und Spannungen gekommen ist, zeigen, dass es keine sinnvolle Alternative zur Zusammenarbeit zwischen Staaten mit unterschiedlichen ökonomischen und politischen Systemen gibt. Mehr noch: Um der ständig wachsenden Notlage in den Entwicklungsländern zu begegnen, ist diese Zusammenarbeit zwingend notwendig. Der unlösbare Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit erfordert im Sinne der Schlussakte von Helsinki auch die Fortsetzung der Bemühungen um Verbesserungen im humanitären Bereich.
Wir bitten die Regierungen der beiden deutschen Staaten, alles zu tun, um ihrer besonderen Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit zu entsprechen. Die Initiativen von politischen Parteien gegen den Rüstungswettlauf – z. B. für eine chemiewaffenfreie Zone in Mitteleuropa – sollten sorgfältig geprüft werden. Aber auch die Möglichkeiten der Begegnung der Menschen in den deutschen Staaten sollten nicht länger hinter international üblichen Regelungen zurückbleiben.
Wir bitten die Christen in unserem Lande, mit ihren Gebeten, ihrer Geduld und ihren friedlichen Anstößen den Weg von Helsinki weiter zu begleiten. Das Friedenszeugnis unserer Kirchen schließt die Bemühung jedes einzelnen ein, auch selbst immer wieder konkrete Schritte zum Friedenstiften zu wagen. Frieden ist das Schlüsselwort für menschliches Miteinander. Dieser Frieden ist immer konkret und braucht im Alltag unseres Lebens täglich seine Bewährung. Wir ermutigen alle, ihre christliche Überzeugung in unsere Gesellschaft hineinerkennen und wirken zu lassen. Wir dürfen im Vertrauen auf die Zusage unseres Herrn Verbündete der Hoffnung sein!
40 Jahre nach der Befreiung vom friedenzerstörenden Unrechtssystem des Nationalsozialismus bitten wir die Regierungen, alles zu tun, um zu wirksamen Abrüstungsverhandlungen zu kommen und auf dem Wege zur Nachfolgekonferenz in Wien 1987 konstruktive Ergebnisse zu erzielen, die für die Menschen erfahrbar werden.
In Aufnahme der Botschaft des Menschenrechtsprogramms der Kirchen zur Verwirklichung der Schlussakte von Helsinki an die Kirchen in den Signatarstaaten wird die Konferenz im Rahmen des Gesprächsprozesses mit der Regierung der DDR die heute im Blick auf die Verwirklichung der Schlussakte bestehenden Fragen konkret ansprechen.