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Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen der DDR (5)

4. Dezember 1985
Information Nr. 479/85 über die 101. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL) am 8. und 9. November 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin

Die 101. ordentliche Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR (KKL)1 wurde bei Wahrung eines streng internen Charakters im Gebäude des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) durchgeführt.

Außer dem aus dienstlichen Gründen an der Teilnahme verhinderten Vorsitzenden der KKL, Bischof Hempel/Dresden,2 waren alle anderen Bischöfe und die Leiter der kirchlichen Verwaltungseinrichtungen der Evangelischen Landeskirchen sowie die synodalen Mitglieder der KKL anwesend.

Die Tagung befasste sich mit Berichterstattungen aus den Evangelischen Landeskirchen in der DDR, schätzte die 5. Tagung der IV. Synode des BEK vom September 1985 in Dresden ein,3 nahm zu Problemen der »Friedensdekade 1985«4 Stellung und wählte die berufenen Synodalen der KKL für die V. Synode des BEK.

Nach dem MfS streng vertraulich vorliegenden Hinweisen verlief die Tagung insgesamt ohne das Verhältnis Staat – Kirche belastende Äußerungen, Forderungen bzw. Vorkommnisse; seitens realistischer Kräfte wurde weiter darauf Einfluss genommen, mögliche Elemente, die zu einer Belastung dieses Verhältnisses führen könnten, auszuräumen. Ungeachtet dessen wurden bekannte kirchliche Standpunkte u. a. zur Wehrdienstproblematik und zur Unterstützung von Wehrdienstverweigerern aus Glaubensgründen5 bekräftigt und entsprechende Maßnahmen dazu festgelegt.

Einen gewissen Schwerpunkt der Berichterstattung aus den Evangelischen Landeskirchen bildete die Behandlung der Wehrdienstproblematik.

Im Zusammenhang mit den Herbsteinberufungen zum Wehrdienst bekräftigte die KKL erneut ihre Auffassung hinsichtlich der »Gleichwertigkeit« möglicher diesbezüglicher Entscheidungen, nämlich der Ableistung des Wehrdienstes mit der Waffe, des Einsatzes als Bausoldat6 oder der »Wehrdienstverweigerung als Zeugnis christlichen Friedensbekenntnisses«. Bischof Leich/Eisenach7 wies in diesem Zusammenhang auf die im November 1985 realisierten Einberufungen religiös gebundener Personen hin. Unter Hinweis auf die dabei erfolgte Inhaftierung von »Totalverweigerern« erklärte er, dies sei auch auf eine falsche Einflussnahme seitens der Kirche gegenüber solchen Personen zurückzuführen. Bei diesen jungen Leuten seien seiner Meinung nach falsche Vorstellungen geweckt bzw. bekräftigt worden, demzufolge sie aufgrund ihrer Erklärung, den Wehrdienst total zu verweigern, generell nicht zur Ableistung ihres Wehrdienstes eingezogen würden. Man habe die falsche Auffassung vertreten, der Staat werde wie bisher nichts tun.

(Während der Beratung der KKL wurden insgesamt 38 derartige »Fälle« bekannt gegeben.)

Im Ergebnis der Diskussion gelangte die KKL zu der Auffassung, der Staat sei gut beraten, die Strafverfahren gegen die genannten »Totalverweigerer« nicht vor dem Treffen Gorbatschow8-Reagan9 in Genf10 durchzuführen (es wurde in Rechnung gestellt, dass die Botschaft der USA in der DDR das »Geschehen« aufmerksam registriere und damit zu rechnen sei, dass Informationen über angebliche Menschenrechtsverletzungen in der DDR direkt zu Reagan gelangen), ferner das Strafmaß nicht zu hoch anzusetzen, kirchlichen Mitarbeitern nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens Besuchsmöglichkeiten einzuräumen sowie im Strafvollzug eine »Abhebung« dieser Personen von Kriminellen zu gewährleisten.

Die KKL orientierte die Landeskirchen darauf, zu allen bekannt gewordenen derartigen Fällen gründliche Überprüfungsmaßnahmen einzuleiten mit dem Ziel, konkret festzustellen, ob es sich bei diesen Personen tatsächlich um Glieder der Evangelischen Kirche handelt und aus welchen Motiven die Wehrdienstverweigerung erfolgte. Die Überprüfungsergebnisse sind zentral dem Stellvertreter des Leiters des Sekretariats des BEK, Justitiar Kupas/Berlin,11 zuzuleiten.

In Abstimmung mit dem Vorstand der KKL soll dann eine namentliche Fürbittliste erstellt werden, die – als innerkirchliches Material deklariert – allen Landeskirchen zur Weiterleitung an ihre Gemeinden zur Verfügung gestellt werden solle.

Bischof Forck/Berlin12 forderte alle leitenden kirchlichen Amtsträger dazu auf, die Betreuung und Unterstützung der Inhaftierten und deren Familienangehörigen über den gesamten Zeitraum der Haft zu übernehmen. Dies bekräftigend stellte er fest, kirchlich gebundene Jugendliche und insbesondere Wehrpflichtige müssten immer spüren und erfahren, dass sie nicht allein gelassen werden und dass die Kirche auf den Staat Einfluss ausübe, künftig von derartigen Maßnahmen Abstand zu nehmen.

Entsprechend einer Festlegung der KKL sollen die Landeskirchen Beauftragte benennen, die den Gerichtsverfahren beiwohnen sollen. Um mit entsprechendem Nachdruck eine Teilnahme an der gerichtlichen Hauptverhandlung anzustreben, sollen diesen Beauftragten offizielle »Auftragsschreiben« der jeweiligen Landeskirche ausgehändigt werden.

Ferner wurde mitgeteilt, Justitiar Kupas/Berlin werde im Bedarfsfall Rechtsbeistände vermitteln und darüber hinaus empfehlen, bei inhaftierten kirchlichen Mitarbeitern und Theologie-Studenten die Anwaltskosten zu übernehmen. (Streng internen Hinweisen zufolge soll diese Unterstützung jedoch gegenüber allen Gliedern der evangelischen Kirche, die in jüngster Zeit wegen Wehrdienstverweigerung aus Glaubensgründen inhaftiert wurden, Anwendung finden.)

Im Rahmen der Berichterstattung aus den Landeskirchen wurde auf die »Volksbildungsproblematik« eingegangen und durch die KKL eingeschätzt, dass es im Bereich Volksbildung »ruhiger« geworden sei. Die Kirche habe hier in letzter Zeit gute Erfahrungen gemacht – es gebe »derzeit keinerlei Fälle«.

Daraus leitete die KKL die Bereitschaft des Staates ab, »Beschwernisse« in diesem Bereich vorbeugend auf den Grund zu gehen und Probleme zu klären. Positiv wurde vermerkt, dass es im Zusammenhang mit den diesjährigen Wahlen zu den Elternvertretungen an den Schulen gute Beispiele der Mitwirkung von religiös gebundenen Eltern gebe.

Gegenwärtig würden den Evangelischen Landeskirchen auch keine Meldungen über »Behinderungen« bei der Delegierung von kirchlich gebundenen Schülern zur Erweiterten Oberschule bzw. zum Studium vorliegen.

Im Rahmen der Berichte aus den Landeskirchen wurden Berichterstattungen über die Herbstsynoden der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, der Evangelischen Landeskirche Greifswald und der Evangelischen Landeskirche Anhalts entgegengenommen.13 Durchgängig wurde eingeschätzt, Kirchenleitungen und Präsidien der Synoden seien kontinuierlich bemüht gewesen, »ruhige Tagungen« zu organisieren und Konfliktstoffe zu vermeiden.

Konsistorialpräsident Kramer/Magdeburg14 informierte über die gezielten staatlichen Aktivitäten in Vorbereitung der Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (Gespräche mit Synodalen unterschiedlichster Ebene) und wertete diese als staatliche »Beeinflussungsversuche«.

Darauf bezug nehmend beschloss die KKL, dass sich der Vorstand der KKL beschwerdeführend an das Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR wenden und »derartige Einmischungsversuche« in innerkirchliche Angelegenheiten zurückweisen solle.

In einem weiteren Beratungskomplex wurde zu der im September 1985 in Dresden durchgeführten 5. Tagung der IV. Synode des BEK eingeschätzt, dass diese keine Fortschritte zu innerkirchlichen Fragen und Problemen gebracht habe.

In den auf der Synode getroffenen Aussagen zum Verhältnis Staat – Kirche in der DDR wurde konstatiert, durch die Synode habe es keine Beeinträchtigung dieses Verhältnisses gegeben. Bischof Leich/Eisenach wies darauf hin, bei Staat und Gesellschaft betreffenden Fragen »bei der Wahrheit zu bleiben und alles zu belegen«.

Seiner Auffassung nach sollten Diskussionsbeiträge nachprüfbar und nicht allgemein anonym angelegt sein. Bischof Gienke/Greifswald15 und Oberkirchenrat Petzold/Berlin16 forderten, das Verhältnis Staat – Kirche in der DDR belastende Diskussionen auf kirchlichen Tagungen künftig nicht »kommentarlos im Raum stehen zu lassen«.

Die KKL brachte ihr Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass der Staat »so stark« auf im Westfernsehen gebrachte Informationen reagiere und sich nicht an den Beschlüssen der Synode orientiere; die kirchlichen Leitungsgremien und die KKL seien nicht verantwortlich für die entstellenden Darstellungen in den Westmedien, die letztlich zu einer Störung des Verhältnisses Staat – Kirche bzw. einer Verschärfung der Beziehungen auf diesem Gebiet führen.

Im Zusammenhang mit der Beratung von Problemen in Vorbereitung und Durchführung der »Friedensdekade 1985« äußerte die KKL ihr Befremden über die Praktiken des »Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland« (EKD) der BRD, getroffene Festlegungen einseitig verändert zu haben. So wurde das durch den BEK und den »Rat der EKD« formulierte »Gemeinsame Friedensgebet« durch die Führung der EKD im Nachhinein mit der Begründung verändert, dieses Gebet könne politisch missbraucht werden. (Nach dem MfS intern dazu vorliegenden Hinweisen wurden Passagen, in denen im Zusammenhang mit der Darstellung der Situation in den Entwicklungsländern mehr Gerechtigkeit sowie im Zusammenhang mit der Darstellung der Friedensproblematik eine Verurteilung der Weltraumrüstung17 gefordert worden waren, neutralisiert und nach Auffassung der KKL durch »nichtssagende fromme Sprüche« ersetzt.)

Der Vorstand der KKL forderte alle kirchenleitenden Amtsträger auf, geeigneten Einfluss auf die Durchführung der »Friedensdekade 1985« auszuüben (u. a. sollten die Organisatoren von Veranstaltungen angehalten werden, sich an das vom BEK herausgegebene Material18 zu halten) und keine Belastungen im Verhältnis Staat – Kirche zuzulassen.

Auf der 101. ordentlichen Tagung der KKL wurden abschließend die durch die KKL zu berufenen Synodalen für die V. Synode des BEK gewählt. (Auf den bisherigen Herbstsynoden wurden bereits die Synodalen der Landeskirchen für die V. Synode des BEK gewählt.)

Der Wahlakt verlief langwierig und strittig, da jede Landeskirche bestrebt war, Kandidaten aus ihren Reihen berufen zu lassen.

Im Ergebnis der Wahl wurden durch die KKL als Synodale für die V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR berufen:

  • Oberkirchenrat Dr. Petzold/Berlin

  • Rechtsanwalt de Maizière/Berlin19

  • Frau Bienert/Görlitz20

  • Kirchenmusikerin Althausen/Bernau21

  • Prof. Dr. Hertzsch/Jena22

  • Dozent Dr. Koch/Leipzig23

  • Studentenpfarrer Staemmler/Erfurt24

  • Oberin Demke/Wittenberg25

  • Frau Schmidt/Dresden.26

Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument Friedensdekade 1985

    4. Dezember 1985
    Information Nr. 480/85 über Verlauf und Ergebnisse der »Friedensdekade 1985« der evangelischen Kirchen in der DDR in der Zeit vom 10. bis 20. November 1985

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    2. Dezember 1985
    Hinweise auf beachtenswerte Reaktionen der Bevölkerung der DDR [O/152]