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Probleme bei der Energieversorgung (1)

20. August 1985
Information Nr. 348/85 über einige Probleme im Zusammenhang mit der Versorgung der Volkswirtschaft und der Bevölkerung mit Elektroenergie im Zeitraum 1986 bis 1990

Nach dem MfS vorliegenden internen Hinweisen ist zur Deckung des steigenden Elektroenergiebedarfs der Volkswirtschaft und der Bevölkerung vorgesehen, im Fünfjahrplanzeitraum 1986 bis 1990 einen jährlichen Zuwachs bei elektrischer Leistung von 2,2 % und bei elektrischer Arbeit von 2,1 % zu erreichen.

Die Zuwachsraten liegen – wie die nachfolgende Übersicht verdeutlicht – damit unter denen vergangener Fünfjahrplanzeiträume:

[Maßeinheit]

1970 bis 1975

1975 bis 1980

1980 bis 1985

1985 bis 1990

Zuwachs an elektrischer Leistung (%)

4,6

3,6

2,4

2,2

Zuwachs an elektrischer Arbeit (%)

4,6

3,6

2,5

2,1

Nach Expertenmeinungen setzt die geplante Entwicklung des Elektroenergiebedarfes bis 1990 allerdings die Einhaltung folgender Bedingungen voraus:

  • die Erzielung wesentlich höherer Einsparungseffekte durch Maßnahmen der rationellen Energieanwendung,

  • die Ausdehnung der Kontingentierung des Elektroenergieverbrauches auf den nicht industriellen Bereich,

  • die Erhöhung der durchschnittlichen Verfügbarkeit der bestehenden Kraftwerksanlagen von derzeit 79,8 % auf über 81 % und

  • die planmäßige Inbetriebnahme der Kapazitätszugänge in den Großkraftwerken entsprechend den zentralen Beschlüssen und den Regierungsabkommen mit der UdSSR.

Nach vorliegenden Informationen sind bei der Errichtung neuer Kraftwerkskapazitäten jedoch erhebliche Verzögerungen eingetreten, die trotz eingeleiteter zentraler Maßnahmen nicht mehr aufgeholt werden können.

Im Ergebnis bisher durchgeführter Abstimmungen zwischen der Staatlichen Plankommission, dem Ministerium für Schwermaschinen- und Anlagenbau, dem Ministerium für Bauwesen und dem Ministerium für Kohle und Energie sowie einer Beratung der Regierungskommission für die Kernkraftwerke Nord und Stendal1 am 5. Juli 1985 zeichnen sich gegenwärtig folgende zeitliche Veränderungen für die Inbetriebnahme von Kraftwerkskapazitäten ab:

[Kraftwerk]

Probebetrieb

[Probebetrieb]

Dauerbetrieb

[Dauerbetrieb]

[Block]

beschlossener Termin

neuer Termin

beschlossener Termin

neuer Termin

KKW Nord

Block 5

6/86

3/87

10/86

9/87

Block 6

8/87

6/88

1/88

11/88

Block 7

4/89

10/89

9/89

3/90

Block 8

9/90

7/90

12/90

12/90

Kraftwerk Jänschwalde

Block 5

10/86

7/87

3/87

12/87

Block 6

5/88

9/88

10/88

2/89

KKW Stendal

Block 1

1990

1991

1991

1992

Die veränderten Inbetriebnahme-Termine für die Kraftwerkskapazitäten führen zu einer außerordentlich angespannten Situation bei der Sicherung der Versorgung der Volkswirtschaft und der Bevölkerung mit Elektroenergie insbesondere im Jahre 1986 und im Winter 1986/87, da in diesem Zeitraum kein Leistungszugang zur Deckung des wachsenden Elektroenergiebedarfes zu verzeichnen ist.

Zur Reduzierung der entstehenden Elektroenergiedefizite erarbeitet das Ministerium für Kohle und Energie gegenwärtig eine neue Versorgungsstrategie, die folgende Lösungsvorschläge vorsieht:

  • Maximaler Einsatz der Kraftwerkskapazitäten auf der Basis von Rohbraunkohle auch in unwirtschaftlichen Kraftwerken über das gesamte Jahr.2 Das bedeutet jedoch gleichzeitig einen Mehrbedarf an Rohbraunkohle von ca. 9,0 bis 10,0 Mio. t im Zeitraum 1986 bis 1990.

  • (Aufkommensseitig nicht gesichert ist dabei der Mehrbedarf an Rohbraunkohle für die Elektroenergieerzeugung im VEB Kraftwerke »Völkerfreundschaft« Hagenwerder.);

  • Sicherung der geplanten hohen Verfügbarkeiten der bestehenden Kraftwerkskapazitäten durch konzentrierte Instandhaltungsmaßnahmen zur Stabilisierung, insbesondere der Dampferzeuger;

  • Einsatz von Kraftwerkskapazitäten auf der Basis veredelter Energieträger (Katastrophenreserveleistung) bereits unter durchschnittlichen Witterungsbedingungen. Der dadurch entstehende Mehrbedarf an veredelten Energieträgern entspricht einem Heizöläquivalent im Jahre 1986 in Höhe von 330 kt und 1987 von 840 kt.

Ungeachtet einer konsequenten Durchsetzung dieser Festlegungen könne die Versorgung der Volkswirtschaft und der Bevölkerung mit Elektroenergie nach Auffassung von Experten nur bei durchschnittlichen Witterungsbedingungen gesichert werden.

Sie weisen in diesem Zusammenhang weiter darauf hin, dass aufgrund der Instabilitäten vorhandener Energieerzeugerkapazitäten, insbesondere durch Schäden an den Dampferzeugern in den Kraftwerken Lübbenau-Vetschau, Boxberg und Thierbach, erhebliche Unsicherheiten für eine stabile Elektroenergieversorgung selbst bei durchschnittlichen Witterungsbedingungen bereits im Winter 1985/86 nicht ausgeschlossen werden können.

Das zur Sanierung der Dampferzeuger in den Kraftwerken bisher realisierte Leistungsvolumen der Energiewirtschaft und des Kraftwerksanlagenbaues reichte nicht aus, um die gefährdeten Baugruppen/Bauteile komplett auszutauschen und damit in absehbarer Zeit eine durchgreifende Stabilität zu erreichen.

Die Leistungsausfälle in den Kraftwerken sind dadurch nach wie vor hoch und betrugen in den letzten Monaten an einzelnen Tagen 600 bis 800 MW, im Extremfall bis zu 2 000 MW. Untersuchungen von Expertengruppen zufolge setzt die Erhaltung und Erhöhung der Verfügbarkeit der Kraftwerke künftig ein höheres Tempo, größere Leistungsumfänge und wesentliche Qualitätsverbesserungen der vorbeugenden Instandhaltungen voraus.

Von Experten insbesondere aus zentralen staatlichen Organen in diesem Zusammenhang vorgenommene Vergleiche machen deutlich, dass die Verfügbarkeit der Braunkohlekraftwerke in der BRD höher liegt als in der DDR.

Das resultiere hauptsächlich aus

  • der Anwendung moderner Diagnose-Systeme zur Überwachung und Feststellung des Anlagenzustandes, zur Früherkennung des Schädigungsgrades und damit gleichzeitig als Grundlage für zustandsbezogene Instandhaltungen,

  • der Anwendung von Informationstechniken zur anlagenschonenden, effektiven und automatisierten Fahrweise der Kraftwerksblöcke und aus

  • der Realisierung vorbeugender Instandhaltungen mit Erneuerungen von Baugruppen (Druckkörper der Dampferzeuger) sowie grundlegender Stabilisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen ganzer Blockanlagen auf der Basis der Auswertung vorliegender Diagnoseergebnisse.

Nach Expertenuntersuchungen ist in der DDR der Anteil der vorbeugenden Instandhaltungen zur Gewährleistung einer langfristigen Stabilität an Kraftwerksanlagen zu gering. Analoge moderne Diagnoseverfahren, wie sie in der BRD bereits genutzt werden, stehen noch nicht zur Verfügung.

Es überwiegt vielmehr die Praxis der kurz- und mittelfristigen Reparaturen an schadhaften Anlagenteilen und Baugruppen, ohne jedoch damit eine langfristige stabilisierende Wirkung in den Erzeugeranlagen zu erreichen.

Zur Realisierung einer planmäßigen, vorbeugenden Instandhaltung sehen zentrale Beschlüsse die Außerbetriebnahme von mindestens 10 % der installierten Kraftwerksleistung im Jahresdurchschnitt vor. Diese Zielstellung ist seit 1983 noch nicht erreicht worden (z. B. 1984 nur 8,3 %).

Im Falle des Auftretens extremer Witterungsbedingungen in den Wintermonaten 1986/87 und 1987/88 sind trotz des vollen Einsatzes aller vorhandenen Kraftwerkskapazitäten auf der Basis von Rohbraunkohle, Erdgas und Heizöl Elektroenergiedefizite (Dezember 1986 bis zu 500 MW und Januar 1987 bis zu 200 MW) vorhanden, für die es nach dem gegenwärtigen Stand der Berechnungen keine Deckungsmöglichkeiten gibt.

Nach Experteneinschätzungen wären deshalb Reduzierungen der Kontingente für den Elektroenergieverbrauch um diese genannten Leistungsbeträge im industriellen Bereich bzw. Einschränkungen der Produktion elektroenergieintensiver Erzeugnisse unumgänglich.

Bei der vorzeitigen Sicherung der Inbetriebnahme des Blockes 5 im Kraftwerk Jänschwalde (500 MW) können negative volkswirtschaftliche Auswirkungen eingeschränkt werden.

Nach dem MfS vorliegenden Erkenntnissen ist beabsichtigt, im Rahmen der Einreichung des Entwurfes zum Fünfjahrplan 1986 bis 1990 die Verschiebung der Inbetriebnahme-Termine für den geplanten Kapazitätszuwachs in der Elektroenergieerzeugung vorzuschlagen bzw. bestätigen zu lassen.

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    20. August 1985
    Information Nr. 359/85 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 12. August 1985 bis 18. August 1985

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    19. August 1985
    Hinweis zum Ersuchen des »Frauenbereiches« der »Alternativen Liste« (»AL«) Westberlin, die Gedenkstätte Ravensbrück zu besuchen [K 1/157]