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Reaktion der Bevölkerung auf FDJ-Parlament und Pfingsttreffen

21. Mai 1985
Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf das XII. Parlament der Freien Deutschen Jugend und die Pfingsttreffen der Jugend in den Bezirken [O/144]

Nach bisher vorliegenden Hinweisen äußern sich zu diesen gesellschaftlichen Höhepunkten insbesondere Mitglieder und Funktionäre der FDJ sowie weitere Personen, die unmittelbar in die Vorbereitung und Durchführung der Pfingsttreffen1 einbezogen sind, insbesondere aus dem Bereich der Volksbildung und aus den sicherstellenden Bereichen.

Funktionäre der FDJ und aktive Mitglieder des Jugendverbandes werten das XII. Parlament2 und die Pfingsttreffen der FDJ als eine wichtige Etappe in Vorbereitung auf den XI. Parteitag der SED.3

Sie wollen mit ihrer Teilnahme die feste Verbundenheit zur Partei und zum sozialistischen Staat bekunden und versprechen sich erlebnisreiche Tage.

Wiederholt sprachen Jugendfunktionäre und weitere progressive Kräfte die Erwartung aus, dass das XII. Parlament neben einer erfolgreichen Bilanz auch eine kritische Einschätzung der Arbeit des Jugendverbandes, bezogen auf die Einbeziehung aller Jugendlichen in die vielfältigen Möglichkeiten der FDJ-Arbeit, vornimmt.

Sie sprechen die Erwartung aus, dass vom Parlament neue Impulse für die Gestaltung eines niveauvollen, den Bedürfnissen der jungen Generation entsprechenden Jugendlebens ausgehen.

In zentralen staatlichen Organen tätige Mitglieder der FDJ, überwiegend Absolventen von Hoch- und Fachschulen, äußerten den Wunsch, verantwortungsvollere berufliche Aufgaben übertragen zu bekommen und erwarten vom Parlament diesbezügliche Beschlüsse.

Studenten und junge Wissenschaftler der Karl-Marx-Universität Leipzig rechnen mit neuen sozialpolitischen Maßnahmen.

Die Meinungsäußerungen zur Durchführung der Pfingsttreffen in den Bezirken der DDR sind sehr differenziert.

Die Übergabe der Mandate zur Teilnahme an den Pfingsttreffen wird von zahlreichen Mitgliedern der FDJ als Auszeichnung gewertet.

Ihre klassenmäßige Haltung widerspiegelt sich in der erklärten Bereitschaft, auf den Treffen erneut den Friedenswillen der Jugend der DDR zu bekunden. Derartige Auffassungen wurden insbesondere von Delegationsmitgliedern aus Betrieben und Schulen bekannt, die erstmalig an derartigen Treffen teilnehmen.

Aus nahezu allen Bezirken wurden jedoch Reaktionen von Werktätigen und FDJ-Mitgliedern bekannt, aus denen zu entnehmen ist, dass das politische Grundanliegen dieser Treffen noch nicht ausreichend erläutert und verstanden wurde.

Charakteristisch hierfür sind solche Meinungsäußerungen wie

  • die Vielzahl von Veranstaltungen im Monat Mai 1985 sei überspitzt und übertrieben;

  • jedes Jahr veranstalte die FDJ Feiern und Feste zu Pfingsten. Die Bevölkerung komme nicht zur Ruhe;

  • von der FDJ höre man nur etwas, wenn solche Höhepunkte anstünden;

  • die alljährlich durchgeführten Pfingsttreffen seien kein Erlebnis und kein Anreiz mehr für die Jugend. Sie sind nicht mehr attraktiv genug und die FDJ sollte sich etwas neues einfallen lassen;

  • eine Veranstaltung jage die andere und es komme dadurch zu Versorgungsschwierigkeiten.

Teilweise heftige Reaktionen lösten Entscheidungen bzw. Orientierungen an Universitäten und Hochschulen, an Internaten von Betriebsberufsschulen und an Erweiterten Oberschulen hinsichtlich einer geschlossenen Teilnahme der Studenten, Lehrlinge und Schüler an den Bezirkstreffen aus.

Mit Unverständnis reagierten Studenten der Ingenieurhochschule für Seefahrt Warnemünde/Wustrow, Bezirk Rostock auf eine Mitteilung der Hochschulleitung und Hochschulparteileitung, in der für den Fall der Nichtteilnahme am Bezirkstreffen Disziplinarmaßnahmen angedroht wurden. Darüber hinaus sprachen sich die Studenten gegen die Festlegung der Hochschulleitung aus, Studentenkollektive, die nicht vollzählig am Pfingsttreffen teilnehmen, vom Kampf um den Titel »Sozialistisches Studentenkollektiv« auszuschließen.

Auch die Mehrzahl der Medizinstudenten des dritten bis sechsten Studienjahres und des dritten bis fünften Studienjahres der Fachrichtung Stomatologie der Medizinischen Akademie Erfurt sowie Studenten der Ingenieurhochschule für Bauwesen Erfurt, der Gothaer Fachschulen, der Technischen Hochschule Magdeburg und der Hoch- und Fachschulen des Bezirkes Potsdam äußerten sich kritisch gegenüber der Aufforderung zur geschlossenen Teilnahme. Die dazu geführten Diskussionen beinhalteten folgende wesentliche Argumente wie

  • es geschehe alles unter Zwang und mittels Anordnungen, um eine möglichst hohe Teilnehmerzahl abzurechnen,

  • die unfreiwillige Teilnahme bedeute eine offene Einschränkung der persönlichen Freiheit,

  • mit Massenveranstaltungen anerziehe man kein sozialistisches Bewusstsein. Es entstehe die Frage, ob diese Veranstaltungen der Masse oder den Funktionären dienten,

  • die dafür notwendigen finanziellen und materiellen Mittel sollten für sinnvollere Zwecke verwandt werden,

  • man habe für das Pfingstfest eigene Pläne, die im Kreis der Familie oder bei Freunden und Bekannten ungezwungen realisiert würden.

Mehrere Studenten der Medizinischen Akademie Erfurt kündigten ihren Austritt aus der FDJ an, falls sie zur Teilnahme »gezwungen« würden. (Durch intensive politisch-ideologische Arbeit der Partei- und FDJ-Hochschulleitung nahmen diese Studenten ihr angekündigtes Vorhaben zurück.)

Wiederholt verwiesen Studenten darauf, nur »aus Angst vor Maßregelungen« oder »Benachteiligungen« an den Treffen teilzunehmen.

Auch unter Lehrern von POS und EOS sowie weiteren Mitarbeitern des Bereiches Volksbildung wurden in Vorbereitung auf die Pfingsttreffen zahlreiche Diskussionen geführt.

Die Mehrzahl äußerte sich positiv zu diesen Veranstaltungen. Wiederholt übten sie aber Kritik an der Arbeit der Kreis- und Bezirksleitungen der FDJ, die ihrer Meinung nach zu viel auf organisatorische Fragen orientieren und zu wenig politisch-ideologisch unter den FDJ-Mitgliedern arbeiteten, um sie zu motivieren und Emotionen für derartige Treffen zu wecken.

Seitens der Funktionäre und der Abteilungen Volksbildung werde stets nur angewiesen, jedoch niemand frage, wie die Schüler für die Teilnahme an solchen Veranstaltungen überzeugt werden.

Zahlreiche Lehrer von EOS in Erfurt, die den Auftrag erhielten, sich über die Pfingstfeiertage in Bereitschaft zu halten, um bei Bedarf eingesetzt zu werden, vertraten den Standpunkt: »Warum nimmt man der Jugend die Verantwortung für solche Treffen – was sollen wir der Jugend noch alles organisieren?« Außerdem verwiesen sie auf bekannt gewordene Beispiele an einzelnen POS, in denen ausgewählten Schülern das Mandat für die Teilnahme am Pfingsttreffen als Auszeichnung übergeben wurde, während andere Schüler dieses Mandat nach Entrichtung von fünf Mark erhielten.

Lehrer und Schüler äußerten in diesem Zusammenhang,

  • bei den Veranstaltungen stünde das äußerliche Bild und nicht die innere Anteilnahme der Jugendlichen im Vordergrund,

  • das Teilnehmermandat stelle keine Auszeichnung dar, da Teilnahme Pflicht sei; hat das unser Jugendverband nötig?

  • entweder das Mandat ist eine Auszeichnung, dann darf kein Verkauf von Teilnehmerkarten erfolgen, oder jeder Schüler kauft sich sein Mandat, dann ist es keine Auszeichnung mehr.

Schüler von EOS der Stadt Dresden stellten ebenfalls Fragen nach der Notwendigkeit einer finanziellen Mitbeteiligung und verwiesen in diesem Zusammenhang auf die kostenlose Beteiligung am Kirchentag der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens 1983 in Dresden.4 Auch einzelne Schüler und Lehrlinge in Potsdam äußerten sich abfällig über ihnen gegen über »ausgeübten Druck« zur Teilnahme am Pfingsttreffen. Sie verglichen dies mit dem »Freiwilligenprinzip« der Kirche bei entsprechenden kirchlichen Veranstaltungen.

Eine Reihe Werktätiger, die während der Pfingstreffen zu Versorgungs- und Sicherstellungsmaßnahmen eingesetzt werden, darunter Mitarbeiter des Handels und des Transport- und Verkehrswesens, verweisen auf den ihrer Meinung nach betriebenen unbegründeten hohen Aufwand. Sie äußerten sich außerdem, ebenso wie andere Werktätige, auch kritisch zu den Auswahlkriterien der Teilnehmer. Dabei vertraten sie den Standpunkt, lieber weniger Jugendliche auszuwählen unter Beachtung der erzielten Arbeitsleistungen und der entwickelten gesellschaftlichen Aktivitäten.

Einzelne negativ-dekadente und kriminell gefährdete Jugendliche äußerten unter Hinweis auf die von ihnen erwarteten verschärften Sicherheitsmaßnahmen in den Veranstaltungszentren, diesen Zonen fernbleiben zu wollen und sich an anderen Orten zusammenzufinden – genannt wurden u. a. das Bergringrennen in Teterow, Bezirk Neubrandenburg und die Lütschetalsperre im Kreis Arnstadt, Bezirk Erfurt.

  1. Zum nächsten Dokument Katholischer Jugendkongress 17.–19.5.1985 in Ostberlin

    23. Mai 1985
    Information Nr. 221/85 über die Durchführung des »Katholischen Jugendkongresses« vom 17. bis 19. Mai 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin

  2. Zum vorherigen Dokument Erwartete Einreisen in DDR über Berlin, Pfingsten (2)

    17. Mai 1985
    Information Nr. 212/85 über zu erwartende Einreisen von Personen mit ständigem Wohnsitz in nichtsozialistischen Staaten und Westberlin über die Grenzübergangsstellen der Hauptstadt der DDR, Berlin, im Zeitraum Pfingsten 1985 sowie im Zeitraum der Durchführung des XII. Parlaments der FDJ in der Hauptstadt der DDR, Berlin