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Reaktion der Bevölkerung auf Honeckers Italien-Reise

6. Mai 1985
Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf den Staatsbesuch des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Honecker, in der Italienischen Republik [O/142]

Der Staatsbesuch des Genossen Honecker1 in der Italienischen Republik hat unter breiten Kreisen der Bevölkerung reges Interesse hervorgerufen.2

Dieser Besuch wird in den Meinungsäußerungen als Ausdruck der vielfältigen außenpolitischen Aktivitäten der Partei- und Staatsführung der DDR zur Sicherung des Friedens in Europa gewertet.

Er demonstriere, dass es zur Politik der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung keine vernünftige Alternative gebe. Daher sei, so wird argumentiert, der Dialog gerade mit einem NATO-Staat ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung des gegenwärtigen politischen Klimas.

In diesem Zusammenhang wurde auf die aufgeschlossene und herzliche Atmosphäre hingewiesen, in der die Gespräche zwischen Genossen Honecker und Ministerpräsident Craxi3 sowie Staatspräsident Pertini4 stattgefunden haben.

Vor allem unter progressiv eingestellten Bürgern wird unter Bezugnahme auf die sich immer weiter entwickelnden Beziehungen zwischen Italien und der DDR hervorgehoben,

  • der Staatsbesuch sei ein erneuter Beweis der konsequenten Fortsetzung der auf die Erhaltung des Friedens gerichteten Außenpolitik der DDR und der anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft,

  • die Reise diene dem Ziel, mit allen am Frieden interessierten Politikern, ungeachtet ihrer politischen Einstellung, zusammenzuarbeiten,

  • dieser erste Staatsbesuch des Genossen Honecker in einem NATO-Staat erhalte gegenwärtig besonderes Gewicht, da sich im Zusammenhang mit den Sternenkriegsprojekten der USA5 ein Differenzierungsprozess innerhalb der Mitgliedsländer dieses Militärbündnisses vollziehe.

Bürger verschiedener Bevölkerungskreise hoben darüber hinaus hervor, dass die DDR immer weltoffener werde und beginne, ihre Beziehungen zu den westlichen Staaten auf der Grundlage der Prinzipien der friedlichen Koexistenz weiter auszubauen.

Damit im Zusammenhang stehende Erwartungshaltungen und Vermutungen beinhalten, dieser Besuch bilde möglicherweise den Auftakt für weitere Reisen des Staatsoberhauptes der DDR in NATO-Staaten, die ihrerseits ebenfalls bestrebt seien, mit der DDR ins Gespräch zu kommen.

In Einzelfällen wurde der Aufenthalt des Genossen Mittag6 in der BRD im April 1985 als Vorbereitung für einen Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR in der BRD gewertet.7

Im Zusammenhang mit dem weiteren Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der Italienischen Republik wurden insbesondere von Arbeitern und Angehörigen der Intelligenz Erwartungen hinsichtlich einer Zunahme des Imports von Konsumgütern zur besseren Versorgung der Bevölkerung der DDR ausgesprochen. Dabei wurde vor allem auf die Einfuhr von Pkw und hochwertigen Textilien hingewiesen. Weiterhin wird die Erschließung von Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger nach Italien diskutiert.

Die Meinungsäußerungen zur Audienz des Genossen Honecker beim Papst8 lassen teilweise unterschiedliche Standpunkte erkennen.

Die Mehrheit der sich dazu äußernden Personen wertet diesen Besuch als Ausdruck der Bemühungen der sozialistischen Staaten, auch die katholische Kirche in das weltweite Ringen um die Erhaltung des Friedens einzubeziehen und verweist dabei auch auf zuvor stattgefundene Besuche von Politikern anderer sozialistischer Staaten beim Papst.

Wiederholt wurde der Aufenthalt des Genossen Honecker im Vatikan auch als »Akt der Höflichkeit« bezeichnet.

Teilweise hat dieser Besuch unter progressiven Kräften Verwunderung ausgelöst. In Einzelfällen wurde der Besuch offen abgelehnt mit der Begründung, dieses Treffen hätte mehr der katholischen Kirche in der DDR als unserer Partei genutzt.

Diesbezügliche Meinungsäußerungen beinhalten,

  • die katholische Kirche in der DDR werde dadurch beträchtlich aufgewertet,

  • Amtsträger der katholischen Kirche könnten ermuntert werden, sich in gesellschaftliche Belange einzumischen,

  • der Generalsekretär des ZK der SED führe Gespräche mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche, während von den Mitgliedern der Partei gefordert werde, sich von der Kirche klar abzugrenzen.

Nach vorliegenden Hinweisen äußerten besonders Bürger katholischer Konfession aus dem Bezirk Erfurt, kein Politiker käme mehr umhin, bei einem offiziellen Italienaufenthalt den Papst aufzusuchen.

Der Besuch widerspiegele das Verhä1tnis Staat – katholische Kirche in der DDR, welches im Gegensatz zu anderen sozialistischen Staaten im Wesentlichen normal und frei von Konfrontation sei. (In diesem Zusammenhang wurden besonders Vergleiche zum Verhältnis Staat – katholische Kirche in der VR Polen angestellt.)

In weiteren Meinungsäußerungen konfessionell gebundener Personen, darunter Amtsträgern der katholischen Kirche, wurde argumentiert,

  • der Empfang des Genossen Honecker beim Papst sei als Entgegenkommen des »Heiligen Vaters« zu werten,

  • in der Frage der Friedenserhaltung trage auch die katholische Kirche eine große Verantwortung. Sie müsse vor allem an die Menschen denken; das wäre auch ihre »Verantwortung vor Gott«,

  • zwischen Staat und katholischer Kirche in der DDR bestünden nicht so große Differenzen wie vergleichsweise zu den evangelischen Kirchen in der DDR,

  • es sei politisch klug, wenn der Papst auch mit Nichtgläubigen Gespräche führe.

Wiederholt wurde von Amtsträgern der katholischen Kirche und Bürgern katholischen Glaubens unter Bezugnahme auf den Besuch des Genossen Honecker beim Papst die Erwartung ausgesprochen, dass sich künftig der Staat vor allem im Bereich der Volksbildung toleranter gegenüber Christen verhalte und ihnen mehr Verständnis entgegenbringe.

Außerdem wurden solche Fragen gestellt wie:

  • Wird es einen Gegenbesuch des Papstes in der DDR geben?

  • Werden Reiseerleichterungen für Bürger katholischer Konfession nach Rom, insbesondere zur Teilnahme an Pilgerfahrten und ähnlichem eintreten?

  • Können katholische Priester und Ordensangehörige künftig unbegrenzt zum Vatikan reisen?

Vereinzelt wurde spekuliert, der Papst habe mit dem Genossen Honecker auch über »menschliche Erleichterungen« und über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Vatikan gesprochen.

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    6. Mai 1985
    Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf den 40. Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus und der Befreiung des deutschen Volkes [O/143]

  2. Zum vorherigen Dokument 1. Tagung der 9.Synode der ev. Kirche in Berlin-Brandenburg

    6. Mai 1985
    Information Nr. 189/85 über die konstituierende 1. Tagung der 9. Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg vom 12. bis 16. April 1985 in Berlin