Reaktion der Bevölkerung auf Rückkehrerkampagne im ND (3)
19. März 1985
Weitere Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf die Veröffentlichungen in unseren Massenmedien zu den Rückkehrabsichten ehemaliger DDR-Bürger (3. Bericht) [O/138b]
Die Diskussionen über den Wunsch ehemaliger DDR-Bürger, in unsere Republik zurückzukehren, halten weiter an.1
Dabei überwiegen im Stimmungsbild nach wie vor ablehnende Haltungen bezüglich der Wiederaufnahme dieser Personenkreise in die DDR.
Verstärkt werden Forderungen nach Ablehnung der Wiederaufnahme vor allem von solchen Arbeitskollektiven gestellt, in denen ehemalige DDR-Bürger tätig waren.
Begründet wird diese Haltung hauptsächlich mit dem Persönlichkeitsbild dieser Personen und dem hohen Zeit- und Kraftaufwand, der betrieben wurde, um die Übersiedlungsersuchenden von ihrem Schritt abzuhalten.
Darüber hinaus vertreten Bürger verschiedenster Bevölkerungsschichten, unter ihnen Angehörige der medizinischen, wissenschaftlich-technischen und pädagogischen Intelligenz, die Auffassung, insbesondere Hoch- und Fachschulkader hätten aufgrund ihres Intellekts die auf sie zukommenden Probleme vorausschauender beurteilen müssen.
Wiederholt wurde von Ärzten argumentiert, in das NSA übergesiedelte Mediziner hätten die Patienten »im Stich gelassen« und somit ein Recht auf Rückkehr verwirkt.
Von Einzelpersonen und von einem Kollektiv des VEB Presswerk Ottendorf-Okrilla,2 [Bezirk] Dresden wurden Schreiben an zuständige Staats- und Parteiorgane gesandt, in denen Einspruch gegen eine Wiederaufnahme der »Ehemaligen« erhoben worden ist.
Im Zusammenhang mit Diskussionen über die Prüfung vorliegender Anträge auf Rückkehr in die DDR und das Anlegen strengster Maßstäbe dafür wird argumentiert, Genehmigungen zur Rückkehr könnten durch Übersiedlungsersuchende als Ermunterung zum unbedingten Festhalten an ihren Übersiedlungsbestrebungen betrachtet werden, eine Wiederaufnahme der »Ehemaligen« könnte bezüglich des Vorgehens dieser Personen bei politisch labilen DDR-Bürgern zur Nachahmung anregen.
Von breiten Teilen der Bevölkerung werden immer wieder solche Fragen gestellt wie:
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Wieviel »Ehemalige« werden in die DDR zurückkehren?
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Welche Belastungen bringt das für unsere Sozialpolitik mit sich?
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Wirkt sich die Vergabe von Wohnungen, Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen sowie Krediten an diese Personen auf die Bürger unserer Republik nachteilig aus?
Es wird damit die Erwartung verbunden, dass die Massenmedien hinsichtlich getroffener Entscheidungen über eine Rückkehr ehemaliger DDR-Bürger berichten.
Wiederholt wird in Meinungsäußerungen kritisch vermerkt, dass über Rückkehrersuchen »Ehemaliger« nicht auch in der Bezirkspresse in entsprechendem Umfang informiert wurde.
Darüber hinaus wird hervorgehoben, die Veröffentlichung der Wünsche auf Rückkehr hätte noch mehr Aussagekraft gewonnen, wären auch die Gründe der im ND genannten Personen für ihre vorherige Übersiedlung in die BRD aufgeführt worden.
Verschiedentlich wurde auch geäußert, der Abdruck von Originalbriefen der »Ehemaligen« in der Presse hätte sicher noch zu einer höheren Glaubwürdigkeit beigetragen und noch mehr Wirkung hinterlassen.
Teilweise bekunden Bürger jedoch auch Unverständnis zu den Presseveröffentlichungen, da Fragen, die mit der Ausreise von DDR-Bürgern zusammenhängen, bisher in unseren Massenmedien keine Beachtung fanden.
Mit direktem Hinweis auf entsprechende Sendungen westlicher elektronischer Funkmedien wird in Diskussionen häufig die Zahl der Rückkehrwilligen angezweifelt und vereinzelt argumentiert, jedem Bürger solle die Möglichkeit eingeräumt werden, seinen Wohnsitz selbst zu wählen; die DDR könnte diese bestehenden Probleme unkomplizierter lösen, wenn sie allen Bürgern »Reisefreiheit« einräumen würde.
In Einzelfällen wird gefordert, man sollte endlich die »Grenzen öffnen« und die DDR-Bürger nicht wie »Unmündige« behandeln.
Bezug nehmend auf die im BRD-Fernsehen ausgestrahlten Interviews mit ehemaligen DDR-Bürgern, die im ND namentlich aufgeführt waren, wird u. a. von politisch engagierten Personen die Auffassung vertreten, deren Aussagen seien zum Teil manipuliert worden. Damit würde ihr Standpunkt bekräftigt, keinem dieser »Ehemaligen« die Rückkehr zu gestatten.
Kirchliche Amtsträger aus dem Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen verweisen in diesem Zusammenhang auf den durch Landesbischof Dr. Leich3 vertretenen Standpunkt, wonach jeder Christ in der DDR einen Platz finden und hier seiner Pflicht nachkommen könne. Es wird erwartet, dass die DDR-Regierung keiner »massenhaften Rücksiedlung« zustimmt.
Amtsträger aus anderen evangelischen Landeskirchen sowie einzelne katholische Geistliche, die sich aus humanitären Gründen für eine Wiederaufnahme »Ehemaliger« aussprechen, vertreten des Weiteren den Standpunkt, mit einer solchen Maßnahme könne unser Staat sein internationales Ansehen erhöhen.
Mitarbeiter der Abteilungen Innere Angelegenheiten und weitere in den Prozess der Zurückdrängung der Übersiedlungsersuchen einbezogene DDR-Bürger bringen in Meinungsäußerungen zum Ausdruck, dass sie in persönlichen Gesprächen mit Übersiedlungsersuchenden oft vergeblich argumentiert und ihre ganze Kraft eingesetzt hätten, die Personen von ihrem Vorhaben abzubringen. Im Falle einer Wiedereingliederung würden sie wiederum erhebliche zusätzliche Arbeit erhalten.
Solche Personen, die sich
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oftmals arrogant und überheblich über alle Argumente hinweggesetzt haben,
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wiederholt die DDR bei internationalen Gremien verleumdet hätten, um ihre Übersiedlung zu erzwingen,
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auch in den »Auffanglagern« der BRD unflätig gegen über der DDR ausgelassen haben,
dürften keine Genehmigungen auf eine Rückkehr erhalten.
Zahlreiche Gespräche mit Übersiedlungsersuchenden nach der Veröffentlichung am 6. März 1985 lassen erkennen, dass die Mehrheit dieser Personen an ihrem Vorhaben festhält. Sie äußern sich dahingehend, ihren Schritt genauestens überlegt zu haben und ließen sich auch nicht durch »gezielte Agitation« davon abbringen.
Diese Übersiedlungsersuchenden zweifeln vor allem die Zahlenangaben über den Umfang der Rückkehrwilligen und den Wahrheitsgehalt einiger Stellungnahmen unter Bezugnahme auf entsprechende Sendungen westlicher Funkmedien an.
So wird argumentiert:
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Die im ND diesbezüglich abgedruckten Artikel wären mit »Vorsicht« aufzunehmen und dienten der »Abschreckung«.
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Die Veröffentlichungen seien nur »propagandistische Methoden«; die genannten Zahlen seien nicht glaubhaft, man habe andere »Beweise«.
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Die Rückkehrwilligen hätten keinen Standpunkt. Ihr jetziges Vorhaben sei abzulehnen. Sie selbst würden wissen, was sie in der BRD erwartet und keinesfalls zurückkommen.
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Es wollten nur solche Personen zurück in die DDR, die in der BRD keine Verwandten hätten. Das träfe für sie nicht zu.
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Die genannten ehemaligen DDR-Bürger besäßen kein Talent, sich Arbeit zu verschaffen bzw. seien Müßiggänger.
Mehrmals wurde von Übersiedlungsersuchenden die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, die in der BRD bzw. in Westberlin wohnhaften Verwandten würden ein gutes Leben garantieren und den »beruflichen Einstieg« ermöglichen. Man könne auf seine Verbindungen vertrauen. Daher bleibe der eigene gestellte Antrag auf Übersiedlung bestehen.
Nur in Einzelfällen äußerten Übersiedlungsersuchende Zweifel an der Richtigkeit ihrer Antragstellung. Sie bekundeten die Absicht, unter dem Eindruck der ND-Veröffentlichungen ihren Schritt überdenken bzw. ihr Ersuchen zurückziehen zu wollen.
In Einzelmeinungen unter politisch labilen Personen, darunter auch Jugendlichen, kommt zum Ausdruck, es würde nicht zu Antragstellungen kommen, wenn man sich selbst über die Zustände in der BRD oder in Westberlin informieren könnte. Sicherlich wären dann auch einige der »Ehemaligen« nicht ausgereist.
Ein dem MfS bekannter Exponent politischer Untergrundtätigkeit unterstellte, alle namentlich im ND genannten Personen hätten die DDR aus rein materiellen Gründen verlassen und seien jetzt enttäuscht, da ihre Vorstellungen nicht in Erfüllung gegangen wären. Die oft zitierten Begründungen nach Rückkehr machten aber deutlich, dass die Betreffenden nicht mit den westlichen Verhältnissen zurechtgekommen seien. Das sei aber ein »Beweis« dafür, wie sehr der Staat der DDR die Menschen »verkrüppelt« hätte. Diese hätten nie gelernt, selbstständig zu sein und wären unfähig geblieben, ihr Leben selbst zu gestalten.
Im Zusammenhang mit einer möglichen Rückkehr von ehemaligen DDR-Bürgern in unsere Republik wurden erste Gerüchte bekannt:
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In der Nähe von Bernau, [Bezirk] Frankfurt/Oder würden bereits Auffanglager für »Ehemalige« gebaut.
(Kombinat Plast- und Elastverarbeitung Berlin)
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In Bernau würden zwei Wohnblöcke errichtet, die zur Aufnahme von Rückkehrern vorgesehen seien.
(Kraftfahrzeug-Instandsetzungs-Betrieb Berlin-Niederschönhausen)