Reaktionen der Bevölkerung zum Außenministertreffen UdSSR-USA
14. Januar 1985
Erste Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf das Treffen der Außenminister der UdSSR und der USA in Genf [O/136]
Das Außenministertreffen UdSSR – USA wurde von der Mehrheit der Bevölkerung der DDR mit Aufmerksamkeit und Interesse verfolgt. vorliegenden Hinweisen aus den Bezirken zufolge rief das Zustandekommen und das Treffen selbst allgemeine Zustimmung hervor und wurde als ein erster Schritt für konstruktive Abrüstungsverhandlungen zur Verhinderung eines nuklearen Infernos bewertet.1
Der überwiegende Teil der Bevölkerung betrachtet die Aufnahme neuer Verhandlungen zu Fragen der Einstellung des Wettrüstens und der Beseitigung der Gefahr eines Nuklearkrieges als ein Ergebnis der beharrlichen Friedenspolitik der UdSSR. Mit diesem Schritt sei ihrer Meinung nach ein Grundstein gelegt, um eine Entspannung der internationalen Lage zu erreichen.
Es wird argumentiert,
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dieses Treffen sei ein Erfolg der UdSSR und aller fortschrittlichen Kräfte in der Welt im Ringen um die Erhaltung des Friedens,
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die zielstrebige und konstruktive Haltung der sowjetischen Seite habe die USA an den Verhandlungstisch gezwungen,
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die USA könnten jetzt beweisen, ob sie ernsthaft bereit seien, das Wettrüsten zu beenden.
Trotz überwiegender Zustimmung zu den Ergebnissen des Außenministertreffens wurde insbesondere von politisch interessierten Personen geäußert, selbst nicht zu hohe Erwartungen an die künftigen Gespräche zu stellen. Die UdSSR hätte ihrer Meinung nach auf dem Wege zur dauerhaften Friedenssicherung gewaltige und äußerst komplizierte Aufgaben zu lösen, die auf den Widerstand der USA treffen würden.
Vor allem progressive Bürger verwiesen auf die Haltung der UdSSR, zu radikalsten Abrüstungsschritten bereit zu sein. Es liege an den USA, ihre »Friedenspolitik« mit konkreten Taten zu untersetzen. Die sowjetische Seite habe vor der Weltöffentlichkeit wiederholt bewiesen, jederzeit zum Dialog mit den USA bereit zu sein.
Entscheidend sei jedoch, dass beide Seiten eine gemeinsame Verhandlungsgrundlage gefunden und sich zur Weiterführung der Gespräche entschlossen hätten.
Weiter wurde argumentiert, solange die Großmächte verhandelten, würden sie auch nicht zu den Waffen greifen.
In den bisherigen Diskussionen wurde wiederholt Besorgnis geäußert, die vereinbarten Verhandlungen könnten nicht zum Erfolg führen.
Die Position der USA sei so verhärtet, dass kurzfristig nicht mit der Einleitung einer Entspannungsperiode zu rechnen sei.
So werden Auffassungen vertreten, nach denen
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den USA jeder ernsthafte Wille zur Rüstungsbegrenzung fehle, da ihre Politik auf Stärke ausgerichtet sei,
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die USA mit der Fortsetzung der Gespräche Zeit gewinnen wollen, um Spielraum für weitere Maßnahmen zur Veränderung des militärstrategischen Gleichgewichts zu erhalten,
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der USA-Imperialismus nicht freiwillig seine größte Profitquelle aufgeben werde.
Darüber hinaus wurde mehrfach von Bürgern unterschiedlichster Bevölkerungsschichten befürchtet, dass das Außenministertreffen sowie auch die nachfolgenden Verhandlungen durch die Reagan-Administration als »taktisches Manöver« betrachtet werden, um in der Weltöffentlichkeit den Anschein der Friedensliebe zu erwecken.
Die UdSSR könne, so wird weiter argumentiert, keine einseitigen Zugeständnisse an die USA machen, wenn diese nicht ebenfalls zu annehmbaren Kompromissen bereit seien. So bleibe abzuwarten, ob sich real denkende Politiker über die Rüstungspsychose in den USA hinwegsetzen und den Erfordernissen in der Welt Rechnung tragen können.
In Einzelfällen äußerten Werktätige, darunter auch Wissenschaftler und Hochschullehrer, es sei an der Zeit, die für die Rüstung aufgewendeten finanziellen Mittel für die Lösung anderer, die Menschheit bewegende Fragen, zu verwenden.
Eine Reduzierung der Waffen auf nuklearem Gebiet würde ihrer Meinung nach nicht nur den Frieden sicherer machen, sondern auch in sozialpolitischer Hinsicht weitere Fortschritte ermöglichen.
Weiteren vereinzelten Meinungsäußerungen zufolge seien positive Verhandlungsergebnisse zwischen der UdSSR und den USA gleichzeitig eine wesentliche Voraussetzung dafür, das Klima zwischen der DDR und der BRD zu verbessern.
Vor allem politisch schwankende Personen sind der Auffassung, bei den Verhandlungen würde »nichts herauskommen«. Beide Seiten hätten zwar die Bereitschaft und Absicht bekundet, positive Ergebnisse erreichen zu wollen, würden jedoch letztendlich auf ihren Standpunkten beharren. Sie betonen,
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Abrüstungsverhandlungen seien »völlig sinnlos«, da weder die UdSSR noch die USA von einmal bezogenen Positionen abrückten,
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beide Seiten würden ihr Bestreben nach militärischer Überlegenheit nicht aufgeben.
Daher müssten konkrete Ergebnisse erst einmal abgewartet werden.
Kirchliche Amtsträger und konfessionell gebundene Personen beziehen nach bisher vorliegenden Hinweisen differenzierte Positionen.
Während die Mehrzahl von ihnen die Hoffnung äußert, die Vernunft werde letztendlich siegen, vertreten einzelne als politisch negativ bekannte bzw. pazifistisch eingestellte Personen Auffassungen wie:
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Die Politiker in Ost und West müssten durch mehr Druck von der Basis zu konstruktiven Handlungen gezwungen werden.
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Die UdSSR sollte einseitig Zugeständnisse an die USA machen und damit ein Zeichen guten Willens setzen. Wenn einer den Anfang mache, könne Schlimmeres verhindert werden.
Aus mehreren Bezirken liegen Hinweise vor, nach denen Bürger unterschiedlichster Bevölkerungskreise die Erklärung der UdSSR sowie Meldungen westlicher Massenmedien über einen außer Kontrolle geratenen sowjetischen Flugkörper unmittelbar im Zusammenhang mit den sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen diskutieren.2 Unter Hinweis auf diesen Vorgang werden von ihnen negative Auswirkungen für den Verlauf der Gespräche befürchtet.