Reaktionen kirchlicher Kreise auf Verschiebung der Blues-Messen
13. Mai 1985
Information Nr. 207/85 über Reaktionen aus kirchlichen Kreisen auf die Entscheidung der Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, die ursprünglich für den 5. Mai 1985 vorgesehenen »Blues-Messen« zu verschieben
Mit dem Ziel der vorbeugenden Verhinderung bzw. Verschiebung der für den 5. Mai 1985 in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg vorgesehenen »Blues-Messen«1 wurden seitens zuständiger staatlicher Organe mehrere Gespräche mit kirchenleitenden Personen geführt, darunter mit Bischof Forck,2 dem Sekretär des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Ziegler,3 Konsistorialpräsident und Stellvertreter des Vorsitzenden des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Stolpe,4 Generalsuperintendent Krusche5 sowie Stadtjugendpfarrer Hülsemann.6
(Internen Hinweisen zufolge sollten am 5. Mai 1985 vier aufeinanderfolgende »Blues-Messen« zum Thema »Befreiung« stattfinden, wobei die Absicht des erneuten politischen Missbrauchs dieser Veranstaltungen deutlich wurde. In den zur Aufführung vorgesehenen Sketchen sind unterschwellige, teilweise religiös verbrämte Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung sowie unter Bezugnahme auf den »Tag der Befreiung«7 und die Beziehungen UdSSR – DDR Angriffe und Aussagen gegen das Bündnis UdSSR – DDR enthalten. Weitere Inhalte richteten sich gegen »Reisebeschränkungen« sowie gegen die Staatsgrenze der DDR zu Westberlin und zur BRD.)
Die kirchlichen Amtsträger, mit denen Gespräche geführt wurden, gaben Zusagen, den vorgesehenen Termin für die »Blues-Messen« zu überdenken.
Am 26. April 1985 fasste die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg mit Mehrheit den Beschluss, die »Blues-Messen« auf den 15. September 1985 zu verlegen. Von diesem Ergebnis wurden die staatlichen Stellen durch Generalsuperintendent Krusche informiert.
Die maßgeblichen Organisatoren der »Blues-Messen«, insbesondere die hinlänglich bekannten Pfarrer Eppelmann,8 Pfarrer Pahnke9 und Stadtjugendwart Karin Bogan,10 versuchten nach Bekanntwerden dieser Entscheidung, den Gemeindekirchenrat der Erlöserkirche und weitere Mitglieder der Organisationsgruppe der »Blues-Messen« gezielt und massiv zu beeinflussen, gegen den Beschluss der Kirchenleitung vorzugehen. In diesem Zusammenhang führten sie mehrere »Beratungen« durch, an denen die kirchlichen Amtsträger Stolpe und Krusche teilnahmen. Obwohl Bischof Forck dahingehend orientiert hatte, an dem am 26. April 1985 durch die Kirchenleitung gefassten Beschluss festzuhalten, ging Stolpe aufgrund der verfestigten Haltung der Mitglieder der Organisationsgruppe und eines Teiles des Gemeindekirchenrates den Kompromiss ein, die »Blues-Messen« nicht auf den 15. September, sondern auf den 16. Juni 1985 zu verschieben und die Verschiebung des Termins durch Informierung westlicher Korrespondenten sowie durch Einschaltung westlicher Medien bekannt geben zu lassen.
In einer weiteren Beratung der Kirchenleitung am 3. Mai 1985 revidierte sie ihren Beschluss vom 26. April 1985 und empfahl nunmehr den 16. Juni 1985 als neuen Termin für das Stattfinden der nächsten »Blues-Messen«.
Am 5. Mai 1985, 10.00 Uhr, wurde durch Propst Winter11 und Pfarrer Langhammer12 in der Erlöserkirche der übliche Gottesdienst durchgeführt, an dem ca. 75 Personen – überwiegend aus der Erlösergemeinde – teilnahmen. (Teilnehmerzahl geringfügig über den sonst üblichen Werten.)
In seiner Predigt ging Propst Winter auf den 40. Jahrestag der Befreiung ein, bezeichnete den 8. Mai 1945 als »Tag des Kriegsendes« und wandte sich gegen den staatlicherseits gebrauchten Begriff des »Tages der Befreiung«. Er verwies auf die Absage des Termins für die »Bluesmessen« am 5. Mai 1985 durch die Kirchenleitung und gab als Grund dafür »Unsicherheit der zuständigen staatlichen Stellen« an. Winter erklärte, diese Entscheidung sei gegen den Willen der Organisationsgruppe gefasst worden, und es habe deshalb Gespräche gegeben; weitere stünden noch bevor.
Zum ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt der »Blues-Messen« (die ab 14.00 Uhr im Zwei-Stunden-Rhythmus viermal hintereinander stattfinden sollten) hielten sich aus dem engeren Kreis der Organisatoren der »Blues-Messen« Eppelmann, Pahnke, Hülsemann, Bogan und weitere ca. 30 zum Kreis der in die Organisation einbezogen gewesenen Kräfte im Kirchengelände der Erlösergemeinde auf. Zeitweilig waren außerdem Konsistorialpräsident Stolpe, Propst Winter, Generalsuperintendent Krusche, Oberkonsistorialrat Becker13 u. a. kirchliche Amtsträger anwesend mit dem Ziel, trotz der erfolgten Absage des Termins der »Blues-Messen« in Erscheinung tretende Teilnehmer zurückzuweisen bzw. sie über die Verschiebung zu informieren.
In der Zeit von 14.00 bis ca. 19.00 Uhr hielten sich auf dem Gelände der Erlösergemeinde durchgängig ca. 40 Besucher der »Blues-Messen«, die teilweise aus [den] Bezirken der DDR angereist waren und die durch Zu- und Abwanderung ständig wechselten, auf.
Zwischen »Besuchern«, Mitgliedern der Kirchenleitung und Mitgliedern der Organisationsgruppe kam es dabei zu zum Teil erregten Diskussionsrunden.
Den Kirchenleitungsmitgliedern wurde dabei vorgeworfen, die Kirchenleitung habe sich dem Staat »gebeugt«, sie sei »inkonsequent« und »paktiere« mit staatlichen Stellen. Mitglieder der Organisationsgruppe erklärten, sie »fühlten sich verraten und verkauft«.
Kontroverse Debatten wurden insbesondere durch die Bogan und andere dem MfS namentlich bekannte Kräfte aus der Organisationsgruppe ausgelöst. Die Bogan verteilte auf dem Kirchengelände einen »Brief«, in dem aufgefordert wurde, einen schriftlichen Protest an das Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg über die terminliche Verlegung der »Blues-Messen« zu richten.
Weitere wiederkehrende Vorhaltungen, gerichtet an die Kirchenleitungen, waren u. a.:
»Ist die ›Blues-Messe‹ auf Druck des Staates im Zusammenhang mit dem 8.5.1985 abgesagt worden?«
»Warum hat die Kirchenleitung kein Alternativprogramm erstellt?« »Ist es fair, die ›Blues-Messen‹ in Kirchenleitungssitzungen abzusetzen und den Vorbereitungskreis für die Abwendung der Folgen verantwortlich zu machen?«
Auf von Mitgliedern der Organisationsgruppe im Kirchengelände aufgestellte sogenannte Mecker- und Frusttafeln wurde eine Reihe Eintragungen festgestellt, in denen der Kirchenleitung unsachlich Vorwürfe wegen der Terminverschiebung gemacht werden (u. a. »Staatskirche«, »…wenn es keine neue Kirchenleitung gibt, reisen wir aus…«).
Das Auftreten der Mitglieder der Kirchenleitung in den Diskussionen am 5. Mai 1985 mit Verantwortlichen und Teilnehmern der »Blues-Messen« war von Sachlichkeit und Objektivität sowie gegen Unterstellungen, »Erfüllungsgehilfe des Staates« zu sein, bestimmt.
Hervorgehoben wurde u. a., dass die Ausgangspunkte für die Verschiebung der ungünstig gewählte Termin, kurz vor dem 8. Mai 1985, und die erhöhten Sicherungsvorkehrungen des Staates seien. Verwahrt wurde sich gegen die Unterstellung, dass sie nur eine »Auflage« des Staates erfüllen. Die Entscheidung zur Verschiebung der »Blues-Messen« sei souverän getroffen worden, und im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Staat und Kirche müsse man den 5. Mai 1985 »durchstehen«.
Zeitweise wurden auf dem Kirchengelände Aktivitäten von in der DDR akkreditierten westlichen Korrespondenten festgestellt (»ARD«, »Norddeutscher Rundfunk«).
Von ihnen wurden Film- und Tonaufnahmen im Außengelände sowie in der Erlöserkirche produziert. Dabei führte der ARD-Korrespondent Peter Merseburger14 Interviews u. a. mit Propst Winter und Eppelmann.
Während der Gespräche auf dem Gelände der Erlöserkirche wurde von den Mitgliedern der Organisationsgruppe durchgängig auf den Termin 16. Juni 1985 für die nächsten »Blues-Messen« orientiert.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.