Reaktionen zum Gespräch von Honecker mit Bischof Hempel (2)
27. Februar 1985
Information Nr. 84/85 über weitere Reaktionen kirchenleitender Kräfte in der DDR zum Gespräch zwischen dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, und dem Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen, Landesbischof Dr. Hempel/Dresden, am 11. Februar 1985
Vorliegenden Hinweisen zufolge wurden die Veröffentlichungen zum Gespräch des Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker,1 mit Bischof Hempel2 in kirchlichen Kreisen mit großem Interesse zur Kenntnis genommen.3
Der Inhalt der Meinungsäußerungen trägt überwiegend zustimmenden und positiven Charakter.
Bischof Hempel bewertete in internen Gesprächen mit kirchenleitenden Personen und im Landeskirchenamt in Dresden wiederholt seine Begegnung mit dem Genossen Honecker als »sehr gut und fruchtbar«, wobei er erneut den guten »Stil der Gesprächsführung« durch den Vorsitzenden des Staatsrates hervorhob.
Am 12. Februar 1985 nahm Bischof Hempel vor ca. 750 Anwesenden während eines ökumenischen Forums in der Annenkirche Dresden4 auf Anfragen zum Gespräch am 11. Februar 1985 Stellung. Unter den ausländischen Gästen befanden sich u. a. der Erzpriester der Russisch-Orthodoxen Kirche, Dawidow/UdSSR,5 der Bischof von Coventry Gibbs/Großbritannien6 und Landessuperintendent Badenhop/Hannover7 (BRD).
Bischof Hempel betonte vor diesem Forum u. a., im Gespräch am 11. Februar 19858 hätten folgerichtig »ungelöste Fragen« zwischen Staat und Kirche hinter denen der Erhaltung des Friedens zurückgestanden; dies sei »weder Anpassung noch Taktik« der Kirche gewesen. Wenn es zum Krieg kommen sollte, würden alle Gespräche nicht nur formal, sondern auch ihrer gesellschaftlichen Notwendigkeit nach schlagartig aufhören.
Weiter führte Bischof Hempel während des Forums aus, die Berichterstattung über das Treffen am 11. Februar 1985 in »Neues Deutschland«9 und in der »Aktuellen Kamera«10 sei »völlig korrekt« gewesen.
Er forderte dazu auf, die Veröffentlichung mehrmals zu lesen, da in seiner Rede Bemerkungen enthalten seien, »die für den Staat nicht ganz selbstverständlich« wären. Dabei bezog er sich auf die Formulierung: »Vertrauen zwischen Ihnen und uns wird in dem Maße wachsen, wie es für die Menschen an der Basis erfahrbar ist.«
Die von Teilnehmern des Forums gestellten Fragen in Bezug auf das Treffen am 11. Februar 1985 hatten in einigen Fällen unterschwellig politisch provokativen Charakter, wie z. B.: »Welche Bedeutung hat die Friedensbewegung noch angesichts der totalen Militarisierung?«, »Wie wird man mit dem geteilten Deutschland fertig?«, »Was ist heute für Christen wichtiger, die Verbreitung des Evangeliums oder das Engagement für den Frieden?«.
Die Antworten durch kirchenleitende Kräfte waren sachlich und enthielten keine Angriffe gegen die DDR. Weitere Bezüge zum Treffen am 11. Februar wurden nicht hergestellt.
Vorliegenden Hinweisen zufolge bewerten viele kirchenleitende Kräfte, kirchliche Amtsträger und evangelische Christen das Zustandekommen und den Verlauf des Gesprächs zwischen Genossen Erich Honecker und Bischof Hempel als äußerst positiv und begrüßen es als Fortsetzung des Gedankenaustausches zwischen Staat und Kirche im Sinne des Grundsatzgesprächs vom 6. März 1978.11
Sie betonen, darin zeige sich die Kontinuität der Kirchenpolitik der DDR; das Gespräch sei eine gute Grundlage zur weiteren Stabilisierung der Beziehungen Staat – Kirche auf der Basis gegenseitigen Vertrauens.
Zustimmung findet im kirchlichen Bereich besonders die vom Genossen Erich Honecker vorgenommene Hervorhebung zum unverzichtbaren Einsatz von Christen und Kirchen für Frieden und Entspannung.
Eine Reihe kirchenleitender Kräfte und Amtsträger äußerte sich offen zustimmend zum Treffen und bewertete es als sichtbaren Ausdruck der in den letzten Jahren verbesserten Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der DDR.
Aus allen evangelischen Landeskirchen der DDR wurden Beispiele bekannt, wonach besonders Amtsträger der mittleren und unteren kirchlichen Ebene das Gespräch als Ermunterung für die Fortführung ihres gesellschaftlichen Engagements zur Erhaltung des Friedens betrachten. In einigen Bezirken erklärten sich einige Pfarrer bereit, in Vorbereitung auf den 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus öffentliche Stellungnahmen abzugeben.
Als positiv wurde die an hervorragender Stelle erfolgte Berichterstattung über das Treffen in den Medien der DDR gewertet und betont, dies zeige den Stellenwert, der staatlicherseits dem Gespräch beigemessen wird.
Teilweise wurde mit Erstaunen registriert, dass die Äußerungen Bischof Hempels zur »Verwirklichung der Gleichberechtigung der Christen« in dieser Form in »Neues Deutschland« abgedruckt wurden.
Kritisch wird in Einzelfällen erwähnt, während der Begegnung seien keine kirchlichen Pressevertreter zugelassen gewesen. Damit würden evangelische Christen in der DDR nur »einseitig« informiert.
Hinweisen zufolge wurde von Amtsträgern mehrfach dahingehend reagiert, bisherige Informationen über den Inhalt des Gesprächs seien zu allgemein und ließen noch keine konkreten Schlussfolgerungen über Auswirkungen auf die kirchenpolitische Entwicklung »an der Basis« zu.
Teilweise wird erwartet, dass über Verlauf und Inhalt des Gesprächs am 11. Februar 1985 noch detailliertere kircheninterne Mitteilungen erfolgen, die über die Veröffentlichung in der Presse sowie über die vom Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR am 11. Februar 1985 herausgegebene »Schnellinformation« hinausgehen.
(Der Wortlaut der »Schnellinformation« wird als Anlage beigefügt.)
In geringem Umfang werden von kirchlichen Amtsträgern intern Fragen nach den Gründen des Zustandekommens des Treffens aufgeworfen. Betont wird, der Staat habe dafür den günstigsten Zeitpunkt rechtzeitig in Vorbereitung auf den 8. Mai 1985 selbst bestimmt;12 in anderen Fällen wird geäußert, die Staatsführung sei durch die Kirche »zu Gesprächen gedrängt worden«.
Mehrfach wird die Begegnung am 11. Februar 1985 als vorbereitendes Gespräch für weitere Treffen, auf denen »Sachfragen« in den Mittelpunkt rücken würden, gewertet (u. a. Mitglieder des evangelischen Konsistoriums der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg) und die Frage gestellt, ob solche Treffen eventuell konkret vereinbart worden wären.
In zahlreichen internen Meinungsäußerungen kirchenleitender Kräfte und kirchlicher Amtsträger wird analysiert, welche konkreten Ergebnisse das Treffen für die Evangelische Kirche gebracht habe und in welcher Position sich die Kirchenleitung danach befinde. Hervorgehoben wird dabei die für die Kirche bestehende Möglichkeit, ständig im Gespräch zu bleiben und Standpunkte auf höchster Ebene vorzutragen, der damit geschaffene »Ausgangspunkt« für weiter folgende Gespräche Staat – Kirche bis zur Ebene der Bezirke und Kreise, die Möglichkeit für die Kirche, das Mitspracherecht der Christen im sozialistischen Staat in so entscheidenden Fragen wie dem Kampf um den Frieden, öffentlichkeitswirksam sichtbarer zu machen, die erfolgte staatliche Würdigung der Leistungen der Diakonie.
Leitende Amtsträger aus dem diakonischen Bereich äußerten intern, es sei vorgesehen, in einer der nächsten Ausgaben der diakonischen Publikation »Frohe Botschaft« einen Beitrag über das Treffen und über die erfolgte Würdigung der Leistungen der Diakonie zu veröffentlichen.
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Einzelne Meinungsäußerungen kirchenleitender Personen beinhalteten kritische Haltungen gegenüber Bischof Hempel (u. a. durch Bischof Leich13 und Mitglieder des Landeskirchenamtes der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen) dahingehend, Bischof Hempel sei zwar in dem Gespräch als Vorsitzender der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in Erscheinung getreten, habe sein Auftreten jedoch vorher nicht mit diesem Gremium abgestimmt,
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das Gespräch sei im »Alleingang« von Bischof Hempel abgewickelt worden mit der Zielstellung der Aufwertung der eigenen Person,
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Bischof Hempel habe über den Rahmen einer solchen Begegnung hinaus Probleme der Basis angesprochen (»handhabbarere Richtlinien«) und deshalb keine konkreten Ergebnisse erreichen können,
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durch seine »kritischen Äußerungen« im Gespräch sei Bischof Hempel zum »unberechenbaren Partner« für den Staat geworden; dadurch seien möglicherweise weitere Gespräche abgeschnitten.
Bischof Gienke,14 Evangelische Landeskirche Greifswald, äußerte erneut, er votiere für ein Gespräch des Vorstandes der KKL15 beim Staatsratsvorsitzenden; damit werde die Präsenz eines solchen Treffens erhöht.
Internen Hinweisen zufolge werden von zahlreichen kirchenleitenden Personen, Amtsträgern und christlichen Bürgern in Auswertung des Treffens bestimmte Erwartungshaltungen zum Ausdruck gebracht, die sich dem von Bischof Hempel angesprochenen Problem »handhabbarerer Richtlinien« zuordnen lassen.
Insbesondere wird in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht:
Weitere Gespräche auf Bezirks- und Kreisebene würden im Sinne der Bewahrung und Vertiefung der Vertrauensbasis und der weiteren Verwirklichung von Gleichberechtigung und Gleichachtung christlicher Bürger folgen, um noch bestehende Unterschiede der Handhabung in konkreten Sachfragen zwischen staatlicher Führung und Basis auszugleichen.
Es werde angenommen, dass seitens der staatlichen Führung in Auswertung des Gespräches eine »konkrete Unterweisung« bis zu den staatlichen Funktionären auf Kreisebene erfolge, damit sich der vertrauensfördernde Charakter der Begegnung real bis in die Superintendenturen auswirken könne.
Ohne zentrale staatliche Durchsetzung bis in die unteren Ebenen bliebe der »Geist des Treffens« lediglich eine Absichtserklärung.
Es sei davon auszugehen, dass hinsichtlich der »seit längerer Zeit anstehenden Begegnung« zwischen leitenden Vertretern der Volksbildung und der Kirche »etwas in Bewegung kommen würde«.
Ein Gespräch auf zentraler Ebene müsse vor allem geführt werden zur »Gleichstellung« von Schülern christlichen Glaubens, zum Abbau von angeblichen Benachteiligungen bei Delegierungen zur EOS und zum Studium, zum Abbau des »Feindbildes«, zur Einschränkung des Unterrichtsfaches Wehrerziehung,16 zur gleichberechtigten Mitwirkung von christlichen Elternteilen in ehrenamtlichen Funktionen der Volksbildung (Elternaktiv, Elternbeirat).
In absehbarer Zeit sei mit endgültigen Regelungen hinsichtlich der Altersversorgung für Diakonissen zu rechnen.17
Weitere konkretere Regelungen seien notwendig und würden erwartet bezüglich der Anmeldung und Genehmigung kirchlicher Veranstaltungen, der Herstellung von Druckerzeugnissen und deren Vervielfältigung im kirchlichen Bereich, der Erhöhung staatlicher finanzieller Zuwendungen bei der Werterhaltung kirchlicher Einrichtungen.
Es sei damit zu rechnen, dass erste positive Auswirkungen des Treffens und der Gesprächsvereinbarung während der Frühjahrssynoden der Evangelischen Landeskirchen spürbar und damit im Zusammenhang das Engagement der Christen für die Erhaltung des Friedens erhöht werden könnten. Die in einigen territorialen Bereichen zu beobachtende zunehmende Bereitschaft, auch kritische Fragen sachlich zu besprechen, könnte sich nach dem Treffen am 11. Februar 1985 möglicherweise noch verstärken.
Aus weiter vorliegenden internen Hinweisen ist bekannt, dass sich dem MfS hinlänglich bekannte kirchliche Amtsträger in Meinungsäußerungen zum Gespräch am 11. Februar 1985 zurückhalten. Von diesen Kräften werden nach Kenntnisnahme der Veröffentlichungen in der Presse sowie der »Schnellinformation« des Sekretariats des Bundes weitere Kommentierungen erwartet, um selbst Wertungen vornehmen zu können.
So äußerten u. a. Pfarrer Eppelmann/Berlin18 und Landesjugendpfarrer Bretschneider/Dresden,19 die bisherigen Mitteilungen seien »interessant«, man müsse jedoch »abwarten und beobachten« und könne erst später über Ergebnisse sprechen.
In geringem Umfang vorliegende Meinungsäußerungen politisch-negativer kirchlicher Kräfte beinhalten:
Durch das Gespräch werde nach außen hin der Eindruck verbesserter Beziehungen Staat – Kirche erweckt; die Benachteiligung von Christen in praktischen Einzelfragen herrsche weiterhin vor; dies würde jedoch der Bevölkerung verschwiegen bzw. sie würde getäuscht.
Die Veröffentlichungen über das Gespräch in Presse und Fernsehen seien unzureichend und manipuliert; über die inhaltlichen Probleme der »offenen, ungelösten Fragen« sei nicht informiert worden.
Die Vertrauensfrage zwischen Staat und Kirche sei weiterhin offen, daran könne ein Einzelgespräch auch nichts ändern.
Das Gespräch sei nicht wie am 6. März 1978 mit mehreren Vertretern der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen, sondern nur mit dem Vorsitzenden der Konferenz geführt worden, um »unbequemen Erörterungen« auszuweichen.
Dadurch sei die »Kluft zwischen der Kirchenleitung und den einfachen Christen« noch vergrößert worden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 84/85
Schnellinformation des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR
An die Empfänger der Schnellinformation des Bundes
Am 11. Februar 1985 fand ein Gespräch zwischen dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, und dem Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Landesbischof Dr. Johannes Hempel, im Gebäude des Staatsrates statt.
Dieses Gespräch war vom Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen angestrebt worden. Es hatte das Ziel, die Kontinuität der seit dem 6. März 1978 verfolgten Kirchenpolitik in der Öffentlichkeit erneut sichtbar werden zu lassen und auf der Grundlage eines gewachsenen gegenseitigen Vertrauens die in dem damaligen Gespräch mit dem Vorstand gesetzten Maßstäbe der Gleichberechtigung, Gleichachtung und Chancengleichheit aller Bürger unabhängig von ihrer Weltanschauung zu bekräftigen.
Der Vorstand der Konferenz der Kirchenleitungen drängt auf Fortsetzung des Gesprächsprozesses zwischen Staat und Kirche auf höchster Ebene, um zu handhabbaren Regelungen auch in den Bereichen zu kommen, in dem es offene und ungelöste Probleme gibt. Die Bitte um ein solches Gespräch über gegenwärtig anstehende Sachfragen wurde in der Begegnung ausdrücklich ausgesprochen. Der Vorsitzende des Staatsrates hat zugesagt, dieser Bitte zu entsprechen. Mit Rücksicht auf dieses in Aussicht genommene Sachgespräch wurde in der Ansprache des Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen darauf verzichtet, einzelne konkrete Sachanliegen darzustellen.
An dem Gespräch nahmen ferner teil der Staatssekretär für Kirchenfragen, Klaus Gysi, und der Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Oberkirchenrat Martin Ziegler, sowie der Sekretär des Staatsrates, Heinz Eichler.
Eine Pressemitteilung des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über diese Begegnung ist vorgesehen. In der Anlage übermitteln wir den Wortlaut der Ansprache des Vorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen.