Untersuchung eines Jagdunfalls
14. Januar 1985
Information Nr. 17/85 über die im Ergebnis der Untersuchung eines Jagdunfalls getroffenen Feststellungen zu begünstigenden Bedingungen und Umständen
Am 5. September 1984 gegen 2.00 Uhr war der Bürger der DDR, [Name 1, Vorname] (44), Diplom-Forstingenieur im Institut für Forstwissenschaften Eberswalde-Finow, Stellvertretender Jagdleiter des Jagdgebietes der GSSD E 21 Eberswalde, während der Teilnahme an einer nicht genehmigten Jagd mit Angehörigen der GSSD auf der Ortsverbindungsstraße zwischen den Ortschaften Altenhof und Joachimsthal, Kreis Eberswalde, Bezirk Frankfurt/Oder, Jagdgebiet des Jagdkollektivs Joachimsthal, außerhalb des Staatsjagdgebietes, bei einer ungerechtfertigten Schussabgabe eines Flintenlaufgeschosses auf ein Stück Rehwild durch den Fähnrich der GSSD, [Name 2, Vorname], Garnison Eberswalde, aus dessen Bock-Doppelflinte durch einen Streifschuss am linken Oberarm und Durchschuss des linken Unterarmes schwer verletzt worden.
Die zum Jagdunfall geführten Untersuchungen ergaben:
Am 4. September 1984 gegen 21.30 Uhr fuhren die Angehörigen der GSSD, Garnison Eberswalde, Fähnrich [Name 2], Obersergeant [Name 3] und Soldat [Name 4] gemeinsam mit dem Bürger der DDR, [Name 1], mit einem Militärfahrzeug vom Typ UAS-249, polizeiliches Kennzeichen TO 00–50, vom Objekt der GSSD Eberswalde, Tramper Chaussee, zu einer nicht genehmigten Jagd. Während des Befahrens der Autobahn leuchteten die Insassen des Fahrzeuges die Waldkanten mittels Suchscheinwerfer nach Wild ab, wobei durch den Fähnrich [Name 2] ein neben der Autobahn (Jagdgebiet des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes Neuhaus, Jagdgebiet der NVA) im Suchscheinwerferlicht stehendes Damhirschkalb erlegt und in das Fahrzeug aufgenommen wurde.
Auf der Rückfahrt nach Eberswalde versuchte [Name 2] unter Nutzung des Suchscheinwerfers weiter Wild zu erlegen, wobei während eines Haltes zwischen den Ortschaften Altenhof und Joachimsthal der außerhalb des Fahrzeuges sich aufhaltende – jedoch in der Schusslinie stehende – [Name 1] durch [Name 2] bei der Abgabe eines Schusses verletzt wurde. ([Name 1] befand sich seit 5. September 1984 im Kreiskrankenhaus Eberswalde in stationärer Behandlung. Er ist noch nicht arbeitsfähig. Inwieweit durch die Schussverletzung eine bleibende Körperschädigung eintritt, kann gegenwärtig ärztlicherseits noch nicht eingeschätzt werden.)
Nach Angaben des [Name 1] hat er seit dem Jahre 1965 aufgrund seiner russischen Sprachkenntnisse umfangreiche Kontakte und Verbindungen zu Angehörigen der GSSD, Garnison Eberswalde.
Durch die Stadtkommandantur2 Eberswalde wurde [Name 1] als Dolmetscher einbezogen. In diesem Zusammenhang nahm er des Öfteren an Veranstaltungen teil, lernte mehrere Offiziere und Generale der GSSD persönlich kennen, die ihn zur Teilnahme an Jagden bzw. zum Angeln einluden.
Da [Name 1] seit 1965 bestrebt war, Mitglied eines Jagdkollektivs zu werden, nutzte er diese Möglichkeiten der Jagdausübung mit Angehörigen der GSSD. Teilweise erhielt [Name 1] von Angehörigen der GSSD zeitweilig eine Jagdwaffe übergeben.
(Seit 28. April 1983 war [Name 1] im Besitz einer von den zuständigen Organen der DDR ausgestellten Jagderlaubnis und seit 1. März 1984 berechtigt, eine Kugelwaffe Bock-Büchs-Flinte zu führen. Es wurden Maßnahmen zur Einziehung der Jagderlaubnis und der Schusswaffe eingeleitet.)
Im Jahre 1977 erhielt [Name 1] – obwohl er zum damaligen Zeitpunkt noch nicht im Besitz einer von den zuständigen Organen der DDR ausgestellten Jagderlaubnis war – durch den damaligen sowjetischen Jagdsekretär der Garnison Eberswalde eine sowjetische Jagdberechtigung mit der Nr. 34952, ausgestellt am 4. August 1977 (mit Lichtbild), welche ihn zur Teilnahme an Jagden mit Angehörigen der GSSD und zum Führen einer Jagdwaffe in Jagdgebieten der GSSD auf dem Territorium der DDR berechtigte. Diese Jagdgenehmigung wurde bis 1982 verlängert. Des Weiteren erhielt [Name 1] durch den sowjetischen Jagdsekretär einen Ausweis, ausgestellt am 31. Dezember 1981, welcher ihn zur Kontrolle sowjetischer Jäger während der Jagdausübung berechtigt.
(Entsprechend dieses Dokumentes wird [Name 1] als gesellschaftlicher Inspektor der Armeejagdgesellschaft der GSSD bezeichnet, der u. a. berechtigt war
- 1.
Jagdausweise der Jäger zu überprüfen;
rechtzeitige Zahlung von Mitgliedsbeiträgen sowie jagdliche Mindestkenntnisse zu überprüfen;
- 2.
die Arbeit der militärischen Jagdkollektive zu überprüfen.
- 3.
Personen, die Regeln und Fristen für die Jagd und den Fischfang verletzen, die Jagdausweise zu entziehen und ein entsprechendes Protokoll zu fertigen.
Des Weiteren war [Name 1] als gesellschaftlicher Inspektor verpflichtet,
- 1.
den militärischen Jagdkollektiven praktische Hilfe bei der organisatorischen und kulturell-erzieherischen Arbeit zu leisten;
- 2.
Mitgliedern der Jagdgesellschaft die Regeln und Fristen für die Jagd und den Fischfang auf den Territorien der DDR zu erläutern;
- 3.
den Kampf gegen alle Formen des Wilderns zu führen;
- 4.
alle Fälle von Wildfrevel dem Leiter der Garnison zu melden und die eingezogenen Jagdausweise mit Protokoll dem Rat der Jagdgesellschaft der GSSD zu übergeben;
- 5.
bis zum 15. Dezember dem Rat der Jagdgesellschaft der GSSD einen Bericht über die im Verlaufe des Jahres geleistete Arbeit vorzulegen.)
Seit Anfang des Jahres 1970 hat [Name 1] wiederholt an nicht genehmigten Jagden mit Angehörigen der GSSD teilgenommen, wobei u. a. in den Jagdgebieten Britz, Joachimsthal, Neuhaus (NVA-Jagdgebiet), Chorin, Staatsjagdgebiet Oderberg, sowie entlang der Fernverkehrsstraße 109, die durch das Staatsjagdgebiet Schorfheide führt, rechtswidrig Wildabschüsse erfolgten.
An diesbezüglichen Jagden sollen u. a. die ehemaligen Stadtkommandanten, Genossen Godesenkow, Stiefjeruck, Petrow und Ubogisch3 sowie Offiziere des Stabes der Garnison Eberswalde teilgenommen haben.
Im Zusammenhang mit der Durchführung von angemeldeten Kollektivjagden wird das allgemeine Jagdverhalten sowjetischer Jäger durch den [Name 1] als unweidmännisch eingeschätzt. Es sei durch grobe Verstöße gegen die Sicherheitsbestimmungen bei der Ausübung der Jagd gekennzeichnet. Trotz erfolgter Belehrungen wurde durch Angehörige der GSSD u. a. auf Wild geschossen, ohne es eindeutig anzusprechen,4 wurden bei Treibjagden mit der Jagdwaffe in das Treiben bzw. quer zur Schützenkette Schüsse abgefeuert, wird nicht zugelassene oder selbstgefertigte Munition benutzt.
Vielfach wurde durch sowjetische Jäger das erlegte Wild, entgegen den bestehenden jagdrechtlichen Bestimmungen, nicht bei den Wilderfassungsstellen abgeliefert.
Entsprechend den Jagdbestimmungen beträgt der Schützenanteil bei Schwarzwild 30 % und bei Rot-, Dam- und Rehwild 20 % (Angaben des [Name 1] zufolge befand er sich Anfang 1984 mit dem Militärstaatsanwalt der GSSD Eberswalde, Oberstleutnant Krytschkow,5 zur Jagd im Jagdgebiet E 2 der GSSD Eberswalde, wo zwei Stück Damwild, davon ein Stück Damwild unberechtigt im Jagdgebiet Oderberg, erlegt wurden. In der Wilderfassungsstelle Oderberg wurde jedoch nur ein Stück Damwild abgeliefert.)
Diese Handlungen stellen auch grobe Verstöße gegen den Befehl Nr. 32 des Oberkommandierenden der GSSD, Armeegeneral Saizew,6 und des Chefs des Stabes der GSSD, Generaloberst Swiridow,7 vom 30. April 1983 dar, in dem die Durchführung des Jagd- und Angelsports in den Militärjagdkollektiven der Truppen der GSSD auf dem Territorium der DDR und das konkrete Verhalten sowie die Pflichten der Teilnehmer konkret festgelegt sind.8
Anlage zur Information Nr. 17/85
Auskunft zu [Vorname Name 1]
Streng geheim! Persönlich!
Im Zusammenhang mit der Klärung des Verhältnisses des [Name 1]9 zu Angehörigen der GSSD informierte er in den geführten Befragungen darüber, von 1976/77 bis 1983 für eine von ihm als Sonderabteilung der GSSD Eberswalde bezeichnete Stelle tätig gewesen zu sein.
Für diese Tätigkeit sei er im Haus der Offiziere Eberswalde durch einen »Nikolai« angesprochen und verpflichtet worden sowie nachfolgend mit den sowjetischen Bürgern »Resuluk«, »Oberst Bobrow«, »Major Juri oder Jura« sowie »Wolodja« mehrfach zusammengetroffen. Durch diese Personen habe er folgende Aufträge erhalten:
- –
Meldung von MVM-Fahrzeugen,
- –
zielgerichtete Beobachtung von sowjetischen Offizieren,
- –
Erkundung von Verhaltensweisen sowjetischer Offiziere in der Öffentlichkeit, speziell in Gaststätten,
- –
Feststellung von Missständen in der Sowjetarmee,
- –
Aufklärung der Gaststätten in Meckelberg10 und Tornow sowie der Gaststätte »Hüttengasthof« am Walzwerk Finow,
- –
Abfahren bestimmter Strecken im Zusammenhang mit Fahndungsmaßnahmen.
Während der Treffdurchführung in Pkw sowie in der Wohnung eines [Name 5], wohnhaft in Eberswalde, (Straße nicht erinnerlich) Nr. 22, Mitglied der FDJ-Kreisleitung Eberswalde, habe er jeweils Instruktionen für sein Verhalten sowie mehrfach Geldbeträge in Höhe von 50,00 Mark für entstandene Unkosten erhalten.
Des Weiteren erhielt [Name 1] zum Betreten der Objekte der GSSD folgende sowjetische Dokumente:
- 1.
Ausweis Nr. 029 mit Lichtbild, ausgestellt am 15. August 1984, berechtigt zum Betreten/Befahren (mit seinem Pkw »Trabant«) des »Schulstädtchens« (eigenen Einlassungen des [Name 1] zufolge berechtigte ihn dieses Dokument zum Betreten der Objekte im Kommandanturbereich Eberswalde, einbeziehend Generalstab und Wohngebiet der Generale);
- 2.
Ausweis Nr. 943 mit Lichtbild, gültig 1983 bis 1984, berechtigt zum Betreten der Objekte im Kommandanturbereich sowie der Versorgungseinrichtung und des Kfz-Parks;
- 3.
Ausweis Nr. 026 mit Lichtbild, ausgestellt am 29. April 1981, ungültig mit Ablauf des Jahres 1981, entspricht dem Ausweis Nr. 029.
(Fotokopien der Dokumente siehe Anlagekarte)11