Verluste in Betreiben der Binnenfischerei
3. September 1985
Information Nr. 374/85 über vorliegende Untersuchungsergebnisse zu im Zeitraum 1983 bis Juni 1985 eingetretenen Verlusten in Produktionsbetrieben der Binnenfischerei der DDR
[Faksimile vom Deckblatt zu Information 374/85]
Im Interesse der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Speisefisch und Fischerzeugnissen untersuchte das MfS gemeinsam mit Fachexperten der Binnenfischerei1 und des Veterinärwesens der DDR in Betrieben2 der Binnenfischerei der DDR in den Jahren von 1983 bis Juni 1985 aufgetretene Verluste.3 Dabei wurde festgestellt, dass in diesem Zeitraum etwa 455 t Speisefisch bzw. Jungfisch und Fischbrut4 mit einem Gesamtwert in Höhe von etwa 2,75 Mio. Mark der menschlichen Ernährung bzw. der planmäßigen Aufzucht und Mast infolge Fischsterbens nicht zugeführt werden konnten5 und damit – insbesondere auch unter Berücksichtigung komplizierter werdender Fangbedingungen für die Hochsee- und Küstenfischerei – das geplante höhere Aufkommen hochwertiger Süßwasserfische aus der Binnenfischerei der DDR (geplanter Leistungszuwachs 1986 bis 1990 etwa 5 kt auf insgesamt 24 kt) gefährdet ist.6
Die Erfüllung der Binnenfischerei der DDR diesbezüglich gestellter Aufgaben erfordert jedoch eine Verbesserung der technologischen Disziplin7 zur Erhöhung der Produktionssicherheit in den Produktionsanlagen sowie zur vorbeugenden Verhinderung von Fischverlusten in den Betrieben der Binnenfischerei der DDR.
Diese Feststellung wird nachhaltig durch die Untersuchungen in den Betrieben der Binnenfischerei insgesamt, besonders jedoch durch entsprechende tiefgründige Prüfungen im VEB Binnenfischerei Wermsdorf, [Kreis] Döbeln,8 [Bezirk] Leipzig9 bestätigt.
So ereigneten sich allein in diesem Betrieb im Zeitraum 1983/84 insgesamt 10 Schadensfälle10 mit einem Gesamtschaden von über einer Million Mark.11
Sie wurden überwiegend durch subjektives Fehlverhalten12 von Leitungskadern und Betreuern der Betriebsanlagen herbeigeführt bzw. begünstigt, so u. a. durch die offensichtliche Unterschätzung der Probleme, die im Zusammenhang mit der für 1984 vorgesehenen Leistungssteigerung auftraten, und in einer teilweisen Ignorierung der daraus abzuleitenden Erfordernisse bzw. Maßnahmen zur Einführung eines straffen Kontroll- und Überwachungssystems.13
Die in einer langjährigen Praxis gesammelten Erfahrungen wurden als ausreichend angesehen, die geplanten Leistungssteigerungen realisieren zu können, wobei auch eine überbetonte Risikobereitschaft der Leitungskader eine nicht unwesentliche Rolle spielte.
So war das Fischsterben in der Forellenmastanlage Töpelwinkel, [Kreis] Döbeln, [Bezirk] Leipzig des VEB Binnenfischerei Wermsdorf am 5. September 198414 (Verenden von 61 t ausgemästeter Speiseforellen im Wert von 750 000 M IAP) zweifelsfrei auf akuten Sauerstoffmangel15 als Folge der vom Leiter des VEB Binnenfischerei Wermsdorf zu verantwortenden Überbesetzung der Produktionsanlage (bei Havarie-Eintritt mit 141,6 t Speiseforellen belegt) unter den gegebenen Standortbedingungen zurückzuführen.
(Bis zur Saison 1983 wurden in der betreffenden Anlage maximal 110 t Speiseforellen gemästet, wobei regelmäßig in den Monaten Juli/August eine Teilabfischung erfolgte, um eine Überbesetzung zu verhindern.)
Der Überbesatz der Forellenmastanlage Töpelwinkel16 im Jahre 1984 wird von den Leitungskadern mit den Festlegungen des Planes 1984 (130 t) und der beabsichtigten Überbietung des Planes im sozialistischen Wettbewerb (um 50 t) begründet. Sie hatten dafür jedoch nicht die entsprechenden technologischen Voraussetzungen geschaffen. So legte die Leitung des VEB Binnenfischerei Wermsdorf keine zusätzlichen Maßnahmen zur Erhöhung der Produktionssicherheit fest und ging damit ein unvertretbar hohes Produktionsrisiko ein.
(Die untersuchte Forellenmastanlage war bei ihrer Inbetriebnahme im Jahre 1975 für eine Produktion von 80 bis 100 t Speiseforellen konzipiert. Ein technologisches Projekt zum Betreiben der Anlage unter den gegebenen Standortbedingungen bestand bzw. besteht17 bisher nicht, die Produktionsgrößen wurden lediglich auf der Basis von Erfahrungen vorheriger Produktionsjahre festgelegt.)
Durch die infolge des Überbesatzes18 eingetretenen Verluste wurden die umfangreichen Bemühungen der Werktätigen dieses Betriebes, die vorhandenen realen Bedingungen für die Erreichung maximaler Ergebnisse in der Forellenmast weitestgehend auszuschöpfen, zunichte gemacht.
Internen Einschätzungen zufolge beabsichtigte der Betriebsdirektor des VEB Binnenfischerei Wermsdorf, mit diesem überdurchschnittlich hohen Zuwachs in der Speiseforellenmast sowohl einen Ausgleich von Verlusten in der Karpfenproduktion zu schaffen als auch gleichzeitig die Sicherung des Betriebsgewinnes insgesamt zu gewährleisten.19
Wie Fachexperten im Verlaufe der Untersuchungen des Vorkommnisses in der Produktionsanlage Töpelwinkel eindeutig feststellten, versäumten die Leitungskader,20 rechtzeitig notwendige technologische Veränderungen zur Gewährleistung des bedeutenden Leistungsanstieges herbeizuführen.
Dazu zählen vor allem solche Faktoren wie das Nichtbeachten
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der bewirtschaftungsbedingten gesetzmäßigen Zunahme des Sauerstoffverbrauches durch den Fischbestand (z. B. Vernachlässigung einer exakten, regelmäßigen Messung der Sauerstoffwerte),
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des unzureichenden Frischwassereinflusses bei nicht rechtzeitiger Inbetriebnahme der technischen Belüftung,
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der Störung der Wasserdurchflussbedingungen in der Produktionsanlage infolge des Versetzens des Absperrgitters des abflussseitigen Produktionsabteiles mit geschwächten bzw. toten Fischen am Beginn des Schadensereignisses, was zugleich auch als auslösendes Moment für den Gesamtschaden zu werten ist,
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der Erhöhung des Sauerstoffverbrauches während der Paniksituation im Fischbestand und der Sauerstoffdynamik in der Zschopau (höchste Sauerstoffgehalte am Tag bzw. minimalste in der Nacht).21
Begünstigend für das Eintreten des Schadensfalles wirkte darüber hinaus, dass unterlassen wurde, Maßnahmen zur Regulierung der automatischen Einrichtung22 zur Anzeige der Alarm- und Havariegrenzwerte des Sauerstoffgehaltes zu treffen und geplante technische Veränderungen zur Gewährleistung eines ständigen ungehinderten Wasserdurchlasses vorzunehmen.
Darüber hinaus fand auch die den Stoffwechsel der Fische belastende hohe Strömungsgeschwindigkeit keine Berücksichtigung.23
Wie weiter festgestellt wurde, haben leitende Kader des VEB Binnenfischerei Wermsdorf aus diesem bzw. auch aus weiter zurückliegenden Vorkommnissen des Fischsterbens in den Produktionsanlagen der verschiedenen Betriebsteile dieses Betriebes nicht die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen, obwohl diese Vorkommnisse teilweise strafprozessuale bzw. disziplinarische Maßnahmen zur Folge hatten und u. a. auch Auflagen der Bezirksstaatsanwaltschaft zur Erhöhung der Produktionssicherheit erfolgten.24
(Nach vorgenanntem schwerwiegenden Vorkommnis musste die Betriebsleitung des VEB Binnenfischerei Wermsdorf erneut angewiesen werden, Sofortmaßnahmen zur Beseitigung von Gefährdungssituationen in anderen Forellenbeständen dieses Betriebes zu treffen.)25
Sowohl die Leitung des VEB Binnenfischerei Wermsdorf als auch Leitungskader anderer Binnenfischereibetriebe, offensichtlich aber auch im Institut für Binnenfischerei Berlin, Fischgesundheitsdienst der DDR und im Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft, HA Tierproduktion, Sektor Binnenfischerei, unterschätzten bisher offenbar noch immer wissenschaftliche Arbeitsmethoden zur Beherrschung der Prozesse der industriemäßigen Produktion der Binnenfischerei. Es wird vielmehr ein Zustand geduldet, dass Erfahrungswerte mehr oder weniger die alleinigen Grundlagen zur Führung und Leitung derart wertintensiver Prozesse bilden.26
Andererseits ergaben die Untersuchungen, dass die Leitungskader der Binnenfischerei der DDR auf Grund ihrer fachlichen Qualifikation durchaus in der Lage sind, ordnungsgemäße Produktionsbedingungen unter Zugrundlegung wissenschaftlich fundierter Technologien festzulegen, durchzusetzen und für deren Einhaltung zu sorgen.27
In Anbetracht der zunehmenden Bedeutung der Binnenfischerei der DDR für die Versorgung der Bevölkerung wird es für zweckmäßig erachtet, insbesondere die politisch-ideologische und erzieherische Arbeit unter den Leitungskadern auf allen Leitungsebenen darauf zu konzentrieren, einen kontinuierlichen und dauerhaften Leistungszuwachs auf der Grundlage wissenschaftlich fundierter Technologien für die Produktion von Speisefischen zu gewährleisten.28
Dazu wird es für erforderlich gehalten, vorrangig anlagen- und betriebsspezifische technologische Projekte zu erarbeiten und schrittweise in die Praxis zu überführen.29
(Gegenwärtig fehlen für die Produktionsprozesse in Anlagen der Binnenfischerei der DDR die notwendigen, wissenschaftlich fundierten technologischen Projekte und Anweisungen, die die jeweiligen konkreten Standortbedingungen der einzelnen Betriebe bzw. Betriebsteile der Binnenfischerei berücksichtigen.)
Darüber hinaus sollten geeignete Maßnahmen für eine weitaus intensivere veterinärmedizinische Betreuung30 dieser industriellen Anlagen durch den Fischgesundheitsdienst der DDR eingeleitet und durchgesetzt werden.
Diese Maßnahmen sollten gleichzeitig entsprechende Festlegungen für eine praxisnahe Wirksamkeit des Instituts für Binnenfischerei Berlin, der Zentralstelle des Fischgesundheitsdienstes Berlin und des Sektors Binnenfischerei der HA Tierproduktion des Ministeriums für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft enthalten.31
Im Rahmen der zu erarbeitenden anlagen- und betriebsspezifischen technologischen Projekte müsste eine Reihe von Faktoren stärker als bisher berücksichtigt werden. Das betrifft u. a. die Nachweisführung der objektiven Produktionsbedingungen32 und des daraus ableitbaren maximalen Produktionsumfangs bereits in Vorbereitung der Projektierung. In die Projektierung müsste auch ein begründetes Forschungsprogramm zur Gewährleistung des Havarieschutzes einbezogen33 werden.
Für jede Produktionsanlage34 sollten spezifische Festlegungen zu ausgewählten Parametern, wie z. B. wissenschaftlich begründete Richtwerte für zu verabreichende Futtermengen, Futterzeiten, Anzahl der Futterstellen, zur Überwachung der Wasserqualität, zur Frühwarnung, Grenzwertüberschreitungen bei Sauerstoff oder Temperatur, erfolgen, damit rechtzeitig sich entwickelnde Gefährdungssituationen signalisiert werden.35