Verstöße gegen Bestimmungen bei Realisierung Import- und Exportgeschäfte mit Rohtabak
[ohne Datum]
Information Nr. 363/85 über vom amtierenden Direktor der Außenhandelsfirma Tabak begangene Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen bei der Realisierung von Import- und Exportgeschäften mit Rohtabak
Nach dem MfS intern vorliegenden Hinweisen hat der amtierende Direktor der Außenhandelsfirma Tabak im Außenhandelsbetrieb Genussmittel Export/Import, [Name, Vorname] (52), Mitglied der SED seit 1961, bei der Realisierung von Export- und Importgeschäften in den Jahren 1983 bis 1985 gegen gesetzliche Vorschriften zur Sicherung des Außenhandels- und Valutamonopols der DDR verstoßen, indem er die Verfügbarkeit von Valutamitteln der Kontrolle des Finanzorgans und dem Ministerium für Bezirksgeleitete und Lebensmittelindustrie entzog.1
Die durch das Ministerium für Staatssicherheit eingeleiteten Untersuchungen ergaben:
[Name] hat während seiner kommerziellen Verbindungen zur BRD-Firma Kragh/Bremen und zu Lieferfirmen für Rohtabak in Brasilien, Griechenland und Italien Geschäftskonstruktionen veranlasst und durchgeführt, die bei der genannten BRD-Firma zu sogenannten Guthaben führten.
Wie die Überprüfungen weiter ergaben, lagen den Handlungen bzw. den Unterlassungen des [Name] im Rahmen der nachgewiesenen Manipulationen bei der Realisierung von Tabakimporten bzw. -exporten Verletzungen der Bestimmungen des Zoll- und Devisengesetzes zugrunde. Sie konnten in erster Linie durch die von ihm bewusst und eigenmächtig begangenen Verletzungen zentraler und betrieblicher Anordnungen und Weisungen verwirklicht werden.
Unter Umgehung entsprechender Festlegungen in solchen Verordnungen, wie
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der Anordnung über die Ordnungsmäßigkeit in Rechnungsführung und Statistik2
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der Anordnung über Rechnungsführung und Statistik im Außenhandel vom 14. Juni 19763
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der Richtlinie »Waren- und Leistungsrechnung« des Ministeriums für Außenhandel4 und
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der Anordnung zur Erfassung und Auswertung von Reklamationen aus Importlieferungen und -leistungen5
sowie innerbetrieblicher Weisungen des AHB Genussmittel Export/Import zur Planung, Erfassung, Abrechnung und Kontrolle von Valuten aus Importen und Exporten, hat er gemeinsam mit den Vertretern der BRD-Firma Kragh den Einsatz finanzieller Mittel – nach vorliegender Schätzung im Zeitraum 1983 bis 1985 in Höhe von etwa 1,6 Mio. Valutamark – manipuliert und der staatlichen Kontrolle entzogen. Zu diesem Zweck nutzte er beantragte und bestätigte Preislimits für Importe bzw. für Austauschgeschäfte mit Rohtabaken und die dafür bereitgestellten Valutamittel im Zusammenwirken mit vorgenannten Vertretern eigenmächtig für die Bezahlung der einzelnen Importverträge, ohne diese ordnungsgemäß durch das Rechnungswesen des Außenhandelsbetriebes Genussmittel Export/Import erfassen zu lassen.
Über die bei der BRD-Firma Kragh befindlichen Valutamittel ließ er sich von deren Vertretern Belege (sogenannte Guthabenscheine) übergeben, die er nach der Realisierung weiterer Verträge und der saldierten Abrechnung der Valutamittel vernichtete.
Zur Realisierung der Import- und Exportgeschäfte vereinbarte [Name] mit vorgenannten Vertretern bei Abschluss der Verträge teilweise Preise, die über den zu liefernden Qualitäten einzelner Partien lagen, wodurch letztere überbezahlt wurden.
Die aus der Überbezahlung resultierenden Valutamittelguthaben wurden dann ungenehmigt, ohne Wissen des Generaldirektors bzw. des Hauptbuchhalters des Außenhandelsbetriebes Genussmittel Export/Import, zu Ausgleichszahlungen für über den bestätigten Limitpreisen liegende Importe von Rohtabak genutzt.
Als Motiv für seine Handlungsweise gibt [Name] an, er habe damit die seit 1983 eingetretenen Qualitätsminderungen bei der Herstellung von Inlandzigaretten minimieren wollen.
(Seit dem Jahre 1983 gelangen in zunehmendem Maße Rohtabak minderer Qualität aus dem Inlandaufkommen, Tabakfolie und Importtabak mit geringerer Qualität im Vergleich zu den Vorjahren zum Einsatz.)
Auf diese Weise beabsichtigte er zugleich, seine Eignung als Direktor der Außenhandelsfirma Tabak unter Beweis zu stellen und den Nachweis eines versierten Außenhändlers zu erbringen.
Im Rahmen der kommerziellen Kontakte hat [Name] materielle und finanzielle Zuwendungen (im Gesamtwert von etwa 5 000 DM; darunter Bargeld, Zahngold, Finanzierung von Einkäufen bzw. Gaststättenaufenthalten in der BRD, Armbanduhr, Wandbehang, silberne Kerzenständer, Genussmittelpakete anlässlich Leipziger Messen) angenommen und nicht ordnungsgemäß gemeldet.
Es wurden keine Feststellungen getroffen, dass die Entgegennahme der Zuwendungen im Zusammenhang mit den Manipulationen steht.
Seit Beginn der entsprechenden Überprüfungen des MfS war [Name] bemüht, an der Klärung des Untersuchungsgegenstandes mitzuwirken und nahm selbstkritisch Stellung zu seinem Fehlverhalten.
Eine ökonomische Schädigung der DDR ist nach vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen nicht eingetreten, da die Überfinanzierung und Unterbezahlung von Importverträgen unter Berücksichtigung von Zahlungsfristen in der Regel gleichzeitig ablief, wodurch kaum Probleme der Zinsberechnung auftraten.
Die gesetzwidrigen Handlungen des [Name] über einen längeren Zeitraum waren deshalb möglich, da er aufgrund seiner langjährigen Außenhandelstätigkeit, insbesondere seiner spezifischen Kenntnisse bei der Abwicklung von Import- und Exportgeschäften mit Rohtabaken, das volle Vertrauen seiner übergeordneten Leiter besaß.
Funktionsbedingt konnte er im Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben und Vollmacht weitgehend eigenständig handeln.
Nach dem MfS vorliegenden Feststellungen hat der Generaldirektor des Außenhandelsbetriebes Genussmittel Export/Import im Zusammenhang mit den gesetzwidrigen Praktiken des [Name] seine Aufsichtspflicht nicht verletzt, er unterlag vielmehr dessen Täuschungsmanövern. Im Rahmen der geführten Untersuchungen leistete er einen aktiven Beitrag zur Klärung des Sachverhaltes.
Es wird vorgeschlagen, gegen den [Name] ein Disziplinarverfahren mit der Zielstellung einzuleiten, ihn von seiner Funktion abzulösen und als Reisekader für das NSW zu streichen.
Es sollten unter Einbeziehung der Valutakontrollgruppe des Ministeriums der Finanzen Möglichkeiten geprüft werden, welche Voraussetzungen für eine Präzisierung der Prozesse im finanztechnischen Kontrollsystem bestehen, um derartige gesetzwidrige Praktiken im Umgang mit Valutamitteln in Zukunft auszuschließen.
In der Auswertung dieses Vorkommnisses sollte im Verantwortungsbereich des Außenhandelsbetriebes Genussmittel Export/Import die politisch-ideologische und erzieherische Arbeit verstärkt auf die exakte Einhaltung und Durchsetzung der bestehenden zentralen und betrieblichen Anordnungen und Weisungen, insbesondere zur Wahrung des Außenhandels- und Valutamonopols (Verhinderung des unkontrollierten Umgangs mit Valutamitteln) gerichtet werden.