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Vorbereitung des 300. Jahrestages des Edikts von Potsdam

21. Februar 1985
Information Nr. 73/85 über Vorbereitungen des 300. Jahrestages des Edikts von Potsdam durch die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg

Dem MfS wurde intern bekannt, dass durch die Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Ende 1984 eine Kommission zur Vorbereitung des 300. Jahrestages des Edikts von Potsdam gebildet wurde. (Im Edikt von Potsdam erfolgte 1685 durch den Kurfürsten von Brandenburg-Preußen Friedrich Wilhelm1 die religiöse und soziale Gleich- und Sicherstellung der aus Frankreich in das Kurfürstentum Brandenburg-Preußen emigrierten hugenottischen Protestanten. Eine Erläuterung zum historischen Hintergrund aus kirchlicher Sicht wird als Anlage 1 beigefügt.)

Der Kommission gehören reformierte Vertreter aus den Territorien an, die zur Regentenzeit von Friedrich Wilhelm zum zentralisierten brandenburgisch-preußischen Militärstaat zählten, so Mitglieder der Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg, Vertreter der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, des Reformierten Generalkonventes in der DDR, der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union – Bereich DDR – sowie der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Westberlin).

Der 300. Jahrestag des Edikts von Potsdam wird – ausgehend vom damaligen preußischen Staatsgebiet – auch im Bereich der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Westberlin) – und zwar dort unter Beteiligung des Senats von Westberlin – begangen. Nach bisher vorliegenden Hinweisen wurde von der Kirchenleitung in Westberlin ebenfalls eine Kommission zur Vorbereitung des 300. Jahrestages gebildet, wobei zwischen diesen beiden Gremien eine gegenseitige Informierung über vorgesehene Aktivitäten erfolgen soll.

Daraus resultiert die Einbeziehung eines Vertreters der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Westberlin) in die Kommission der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. (Eine namentliche Aufstellung der Mitglieder der Kommission wird als Anlage 2 beigefügt.)

Während der ersten Beratung der Kommission am 3. Januar 1985 in Potsdam erfolgte eine starke kirchenpolitische Aufwertung des Jubiläums. So wurde erwogen, den Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi,2 den ehemaligen Bundeskanzler der BRD, Schmidt,3 sowie den ehemaligen Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Gaus,4 zur geplanten Festveranstaltung am 26. Oktober 1985 in Potsdam einzuladen und sie gleichzeitig zu bitten, im Rahmen von Veranstaltungen entsprechende Vorträge zu halten. Da zu diesen Vorschlägen unterschiedliche Meinungen auftraten, wurde bisher keine endgültige Entscheidung getroffen. Festlegungen dazu sollen von der Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg auf einer ihrer nächsten Sitzungen erfolgen. In der Konzeption zu den Zielvorstellungen der geplanten kirchlichen Veranstaltungen, die durch die Kommission für die Kirchenleitung in Berlin-Brandenburg erarbeitet wurde, wird hervorgehoben, das Edikt von Potsdam sei beispielhaft für die Gegenwart. So zeige es, »dass eine prinzipiell bejahte und staatsrechtlich geordnete Toleranz zu einem Faktor der Stabilisierung und Zusammenführung unterschiedlicher Gruppen in der Gesellschaft werden kann«.

Unter diesem Gesichtspunkt wurden auch Erwartungshaltungen zu inhaltlichen Aussagen in eventuellen Vorträgen des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Genossen Gysi, und des ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt zum Ausdruck gebracht.

Es ist vorgesehen, Genossen Gysi um einen Vortrag zum Thema »Gleichberechtigung und Gleichachtung als Norm des gesellschaftlichen Zusammenlebens in der DDR« zu bitten. Genosse Gysi wäre nach Auffassung von Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin5 dadurch »gezwungen«, etwas Positives zum Verhältnis Staat – Kirche in der DDR zu sagen, das dann später »eventuell eingeklagt« werden könne.

Für einen eventuellen Vortrag des ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt/BRD wurde als Thema »Toleranz als Kompromissfähigkeit und Gesprächsbereitschaft in Europa im Bemühen um Sicherheit und Zusammenarbeit« ausgewählt.

Die Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg beabsichtigt, verantwortliche staatliche Institutionen und Gremien dafür zu gewinnen, aus Anlass des 300. Jahrestages eigenverantwortliche staatliche Aktivitäten zu entwickeln. So soll erreicht werden, dass im September 1985 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, eine wissenschaftliche Konferenz des Zentralinstitutes für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR zum Potsdamer Edikt und im Oktober 1985 in Potsdam eine populär-wissenschaftliche Konferenz des Kulturbundes Potsdam zum Potsdamer Edikt unter Beteiligung des Zentralarchivs Potsdam durchgeführt wird.

Einer kircheninternen Übersicht zufolge sind durch die evangelische Kirche eine Reihe kirchlicher Veranstaltungen vorgesehen.

Angaben aus dem kirchlichen Programm werden als Anlage 3 beigefügt.

In Anbetracht der Bedeutung und der vorgesehenen umfangreichen kirchlichen Aktivitäten zum 300. Jahrestag des Edikts von Potsdam wird vorgeschlagen, seitens des Staatssekretariats für Kirchenfragen der DDR in Abstimmung mit der Arbeitsgruppe für Kirchenfragen beim ZK der SED geeignete staatliche Maßnahmen einzuleiten.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

Anlage 1 zur Information Nr. 73/85

300 Jahre Potsdamer Edikt

Das Potsdamer Edikt wurde am 29.10.1685 durch den Kurfürsten von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, erlassen, wenige Tage, nachdem der französische König Ludwig XIV. das bis dahin geltende Toleranzedikt von Nantes aus dem Jahre 1598 unter dem Druck der katholischen Kirche in Frankreich aufgehoben hatte.

Damit war die bis dahin geltende Toleranz für Nichtkatholiken in Frankreich aufgehoben. Mit dem Edikt von Potsdam ermöglichte der Kurfürst von Brandenburg 20 000 französischen Hugenotten (deutsch: »Eidgenossen«) die Ansiedlung in Preußen, davon 4 000 in Berlin (die Stadt hatte damals 11 000 Einwohner). Das Edikt von Potsdam regelt bis in die Einzelheiten die Ansiedlungsbedingungen der Hugenotten.

Mit dem Edikt von Potsdam holte sich der Kurfürst in das von Krieg und Seuchen geschwächte Preußen kapitalkräftige und produktionserfahrene Hugenotten, die in Preußen zu einem starken Impuls für Handel, Handwerk, Industrie und geistiges Leben wurden. Sie stellten ein wesentliches Element des preußischen Aufstiegs dar. Die Hugenotten waren »durchgängig evangelisch« reformiert, Preußen selbst seit 1613 (in diesem Jahr trat Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg auf der Grundlage der sogenannten confessio Sigismundi zum reformierten evangelischen Bekenntnis über). Preußen war damit nach Holland der zweite Staat in Europa, in welchem zwei Bekenntnisse nebeneinander möglich waren.

Anlage 2 zur Information Nr. 73/85

Mitglieder der Kommission zur Vorbereitung des 300. Jahrestages des Edikts von Potsdam

  • Bischof Dr. Forck/Berlin, Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

  • Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin, Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

  • Propst Dr. Winter/Berlin, Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

  • Generalsuperintendent Bransch/Potsdam, Generalsuperintendent des Sprengels Potsdam der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

  • Moderator Dr. Frielinghaus/Bergholz, Vorsitzender des Reformierten Generalkonvents in der DDR

  • Pfarrer Welge/Berlin, Pfarrer der Französischen Friedrichstadtkirche, Berlin-Mitte

  • Konsistorialassessor Rückert/Berlin, Mitglied des Konsistoriums der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

  • Oberkirchenrat Schulze/Berlin, Mitglied des Kollegiums der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union (EKU) – Bereich DDR

  • Pfarrer Dehne/Magdeburg, Mitarbeiter im Evangelischen Konsistorium der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen

  • Moderator Krum/Westberlin, Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Westberlin)

Anlage 3 zur Information Nr. 73/85

Geplante Aktivitäten und Veranstaltungen anlässlich des 300. Jahrestages des Potsdamer Edikts

Aktivitäten der Evangelischen Kirche in der DDR

  • 1.6.1985, Prenzlau, Tagung der Uckermärkischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchengeschichte der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und der Evangelischen Landeskirche Greifswald zum Edikt von Potsdam 1685

  • 30.9. bis 3.10.1985, Halle, Symposium zum Thema »Lebensrecht für die Hugenotten – Konsequenzen des Potsdamer Edikts 1685 bis 1985«, Veranstalter: Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen

  • 26.10.1985, Potsdam, 10.00 Uhr Nikolaikirche, Festveranstaltung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Gottesdienst und Festvorträge:

  • Das Edikt von Potsdam und seine Wirkungen, Referent Dr. Frielinghaus, Vorsitzender des Reformierten Generalkonventes in der DDR

  • Toleranz und Weltverantwortung der Kirchen aus der Sicht des Reformierten Weltbundes,6 Referent Pfarrer Perret/Genf, Generalsekretär des Reformierten Weltbundes

  • 26.10.1985, 12.30 Uhr, Gästehaus des Rates des Bezirkes Potsdam »Hans Marchwitza«, Empfang der Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg unter Nutzung des Gästehauses (entsprechend erfolgter Absprache) für geladene Gäste, Grußansprachen

  • 26.10.1985, 19.30 Uhr, Nikolaikirche, Chorkonzert

  • 27.10.1985, Festgottesdienst in beiden Regionen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

  • 29.10.1985, Französische Friedrichstadtkirche Berlin-Mitte, Chorkonzert mit Grußwort durch Generalsuperintendent Bransch/Potsdam

Aktivitäten in Westberlin

  • 23.10. bis 8.12.1985, Berlin Museum,7 Ausstellung zum 300. Jahrestag des Edikts von Potsdam unter Beteiligung des Französischen Außenministeriums

  • 17.9. bis 20.9.1985, Wissenschaftliche Konferenz der »Historischen Kommission zu Berlin-West« zum Thema »Die Hugenotten in Berlin zwischen 1685 und 1809«

  • 28.10.1985, Schloss Charlottenburg, Festakt des Senats von Westberlin und der Französischen Kirche zum 300. Jahrestag des Potsdamer Edikts

  • 29.10.1985, Westberliner Philharmonie, Gedenkveranstaltung mit Ansprache des Regierenden Bürgermeisters von Westberlin, Diepgen

  1. Zum nächsten Dokument Vorkommnisse westliche Besatzungstruppen (1)

    26. Februar 1985
    Information Nr. 82/85 über Aktivitäten, Vorkommnisse und rechtswidrige Handlungen von Angehörigen der in Westberlin stationierten westlichen Besatzungstruppen bei der Einreise und dem Aufenthalt in der Hauptstadt der DDR, Berlin, im Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1984

  2. Zum vorherigen Dokument Friedensseminar »Frieden konkret III« in Schwerin (1)

    21. Februar 1985
    Information Nr. 70/85 über das geplante sogenannte Friedensseminar von »Friedenskreisen« der evangelischen Kirchen in der DDR vom 1. bis 3. März 1985 in Schwerin